Fußball

Chaos-Abwehr bereitet Sorgen FC Bayern besiegt eigene Defensive mit "außergewöhnlicher Mentalität"

Kim (l.) und Upamecano sind Bayerns Sorgenkinder.

Kim (l.) und Upamecano sind Bayerns Sorgenkinder.

(Foto: picture alliance / SvenSimon)

Als den Spielern und Funktionären des FC Bayern die Erleichterung über das 3:2 in Wolfsburg ins Gesicht geschrieben steht, loben sie die neue Mentalität des Klubs. Doch die drei Punkte zum Auftakt der Fußball-Bundesliga-Saison verstärken die Sorgen in der Münchener Defensive.

An den Ufern des Mittellandkanals, dort, wo die vier Backstein-Schlote des VW-Werks das Herz der alten Republik markieren, begann an diesem Sonntag die womöglich spannendste Mission des europäischen Fußballs. Der 38-jährige Belgier Vincent Kompany soll den unter Thomas Tuchel auf Rang drei der Bundesliga-Tabelle abgestürzten deutschen Rekordmeister wieder aufmöbeln.

Der von der "Süddeutschen Zeitung" als "kleiner Cousin" von Bayer-Supertrainer Xabi Alonso in den deutschen Fußball eingeführten Trainer stolperte mit einem 3:2 (1:0) beim VfL Wolfsburg auf die Bundesliga-Bühne. Es war ein weiterer Sieg der Bayern gegen das Team aus Ost-Niedersachsen. In den letzten 19 Ligaspielen gelangen dem Rekordmeister 17 Erfolge, bei nur zwei Unentschieden.

Kompany beaufsichtigt nun das Münchener Glück.

Kompany beaufsichtigt nun das Münchener Glück.

(Foto: picture alliance / Teresa Kroeger/RHR-FOTO)

Was aber in den ersten 45 Minuten so verheißungsvoll begonnen hatte, entwickelte sich Anfang der zweiten Halbzeit binnen kürzester Zeit zu einem Flächenbrand. Befeuert durch individuelle Fehler der Verteidiger Sacha Boey und Minjae Kim verlor der FC Bayern die Kontrolle über das Spiel, die erst durch die Einwechslung von Thomas Müller wiedererlangt wurde. Mit etwas Glück langte es so zu einem Sieg an diesem Augustnachmittag.

Hohes Pressing macht Bayern früh nervös

Es waren drei Punkte gegen die Unruhe, die jedoch auch Sportdirektor Christoph Freund in den Katakomben nicht beiseite wischen wollte. Zu unsicher wirkte die Defensive der Bayern in den wenigen Momenten, in denen Wolfsburg sie hoch anlief und sie früh presste.

Was sich in der ersten Halbzeit andeutete, als Kim und Dayot Upamecano in Pressingsituationen große Unsicherheit bewiesen, fand früh in der zweiten Halbzeit Bestätigung auf der Anzeigetafel. Der Dreiklang aus dem elfmeterreifen Foul Boeys und seinem mangelhaften Positionsspiel als Rechtsverteidiger, einem wilden Ballverlust Kims vor dem 1:2 und auch in einem Fehlpass Upamecanos fand kurze Zeit später seine Krönung. Der blieb letztlich ohne Folgen.

"Wir hatten gesagt, dass wir eigentlich sehr zufrieden sind mit dem Kader. Aber natürlich haben wir jetzt zwei Verletzte, das haben wir registriert, viel darf hinten nicht mehr passieren", erzählte Sportdirektor Freund in den Wolfsburger Katakomben über die Abwehrsorgen. "Das Transferfenster ist noch fünf Tage offen."

Überangebot in der Zentrale

Dabei haben die Bayern um Sportvorstand Max Eberl in diesem Sommer bereits kräftig gewirbelt. Josip Stanisic kam aus Leverkusen, Hiroki Ito aus Stuttgart. Beide Verteidiger sind verletzt. Mit Matthijs de Ligt und Noussair Mazraoui gingen gleich zwei Verteidiger nach England zu Manchester United. Die Personaldecke ist dünn, auch weil Jonathan Tah bislang nicht aus Leverkusen zu den Bayern gewechselt ist. Es ist ein Nichttransfer, der auch die Verbindungen zwischen Meister und Rekordmeister hat deutlich abkühlen lassen.

Der "Holding Six" Palhinha blieb in Wolfsburg nur die Bank.

Der "Holding Six" Palhinha blieb in Wolfsburg nur die Bank.

(Foto: picture alliance / SvenSimon)

Weil auch Joshua Kimmich keine Option als Rechtsverteidiger ist und wohl auch der Österreicher Konrad Laimer, der Neuzugang Joao Palhinha (ohne Einsatz in Wolfsburg), Leon Goretzka sowie Youngster Aleksandar Pavlović für die Zentrale geplant sind, hat der FC Bayern ein Überangebot im Mittelfeld. Und weniger Möglichkeiten in der Defensive. Je offensiver die Ausrichtung, desto stärker die Spieler. Die Defensiv-Aussetzer in Wolfsburg warfen da nur neue Frage auf.

Monumentale Kader-Aufgaben in dieser Saison

Die Münchener stehen ohnehin vor gewaltigen Aufgaben in dieser Saison. Sie wollen nicht nur die alten Machtverhältnisse im deutschen Fußball wiederherstellen, sondern natürlich auch Ende Mai 2025 das Finale Dahoam 2.0 spielen. Das Finale der Champions League ist dann in der Stadt.

Die letzten Verbliebenen im Kader, Müller und Neuer, stehen nur noch bis Ende der Saison unter Vertrag. Auch Leroy Sané, Kimmich und Linksverteidiger Alphonso Davies weisen dieses Datum bislang ebenfalls als Enddatum ihres Wirkens in München aus. Es ist noch nicht bekannt, wie es weitergehen soll. Auch Jamal Musiala steht nur ein weiteres Jahr, bis 2026, unter Vertrag. Es geht in dieser Saison auch darum, neue Gesichter für den FC Bayern zu etablieren.

Viele alte Gesichter werden schon bald Geschichte sein. Vielleicht hängen die Weltspieler Neuer und Müller noch ein Jahr dran. Vielleicht auch nicht. "Wenn wir die Saison mit dem neuen Trainerteam und mit neuem Schwung erfolgreich bestreiten, bedeutet das ja auch für mich, dass es Spaß macht und wenn es der Spaß da ist, dann geht’s für mich auf jeden Fall weiter", sagte zum Beispiel Neuer in einem "Kicker"-Interview, das wenige Stunden vor dem Saisonstart in Wolfsburg online ging.

Ein Sieg der Mentalität

Die Sache mit dem Spaß. Niemand will den verlieren in dieser Saison. Nicht noch einmal soll Leverkusen nahezu höhnisch lächelnd mit der Meisterschale wegrennen, nicht noch einmal soll es gleich acht Niederlagen hageln. Die erste dieser Saison, direkt zum Auftakt in Wolfsburg, konnten die Bayern nur knapp vermeiden. Später lobten sie ihre Mentalität, ihre Resilienz und waren glücklich über den Erfolg. "Die Mentalität, die Basis, die am wichtigsten ist, war hinten raus super", freute sich Rekordspieler Müller nach seinem 709. Einsatz. Harry Kane sagte bei ESPN: "Letztes Jahr gab es Spiele, da haben wir geführt, sind dann in Rückstand geraten und nie wirklich zurückgekommen. Das haben wir heute gemacht."

Dieser Pass kam an: Gleich spielt Patrick Wimmer (l.) auf Lovro Majer (nicht im Bild). Dann steht es 2:1 für Wolfsburg.

Dieser Pass kam an: Gleich spielt Patrick Wimmer (l.) auf Lovro Majer (nicht im Bild). Dann steht es 2:1 für Wolfsburg.

(Foto: picture alliance / Bahho Kara/Kirchner-Media)

Dabei hatte den Rekordmeister Ralph Hasenhüttls Wolfsburg anfangs vor keine große Aufgabe gestellt. Nicht nur, dass sie kaum Pässe spielen konnten. Nein! Auch die wenigen Bälle, die sie spielten, kamen nicht an. Nach 40 Minuten hatten sie 100 Pässe gespielt, nur 66 davon waren überhaupt angekommen. Keiner hatte den Rekordmeister in Verlegenheit gebracht. Die Zuschauer auch nicht. Nach dem Spiel schimpfte Hasenhüttl auch über das stille Publikum, das den Bayern keine Angst einflößen konnte.

Wie erst auch die Spieler des VfL Wolfsburg. Wenn sie durch die Mitte rannten, um den Ball wenigstens so nach vorne zu treiben, blieben sie an den Prellböcken Kimmich (rechts) und Pavlovic (links) hängen. Die beiden DFB-Stars sammelten die Bälle tief ein und bauten das Spiel auf. Auch Musiala zeigte sich immer wieder zwischen der Abwehr. Die einzige Möglichkeit der Wolfsburger bestand zur Pause darin, dass die Bayern sich selbst fachgerecht zerlegen würden. Das taten sie und verstärkten so die Sorgen des FC Bayern nur wenige Tage vor Ende des Transferfensters.

Das alte Herz der Bundesliga schlägt noch

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Der Test bei den Mittellandkanalanreinern ging fast gründlich in die Hose. Noch einmal hatte sie Müller mit seinem Irrwitz retten können. Noch einmal hatten sie ein Spiel drehen können, was ihnen, wie Harry Kane auf ESPN bemerkte, im letzten Jahr unter Tuchel vielleicht nicht gelungen wäre. Doch das Jahr 2023/2024 darf kein Maßstab für die Mannschaft des neuen Trainers Kompany sein. Soviel ihnen dieser Tage offensiv zuzutrauen ist, sosehr der Neuzugang Michael Olise das Spiel schon mitprägte, so kompliziert dürfte die Zusammensetzung der Abwehrreihe werden.

Mächtige Aufgaben für Kompany, der nach dem Spiel natürlich die positiven Dinge sah. "Ich bin sehr glücklich mit der ersten Halbzeit. Das war etwas, auf dem man aufbauen kann", sagte er. "Es ist naiv, zu glauben, dass es ein einfaches Spiel wird, wenn der Gegner nach der Pause nach 20 Sekunden trifft. Am Ende des Tages möchte ich die außergewöhnliche Mentalität des Teams herausstellen." Das alte Herz des deutschen Fußballs schlägt noch. Es pocht nur längst nicht so aufregend wie das der Leverkusener.

Quelle: ntv.de

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