Fußball

Fans wüten bei Dardai-Debüt Hertha BSC zerbricht zum seelenlosen Scherbenhaufen

Pal Dardai muss sich mit Hertha auf den Abstieg einstellen.

Pal Dardai muss sich mit Hertha auf den Abstieg einstellen.

(Foto: picture alliance / contrastphoto)

Oh, Hertha: Das Debüt von Neu-Trainer Pal Dardai verkommt zum desaströsen Zweitliga-Auftritt. Die total verunsicherten Berliner gehen gegen Werder Bremen unter - und die Fans protestieren im Stadion. Kommt bald der große Knall?

Da ist er wieder. Pal Dardai. Der Hoffnungsträger. Der Fan-Liebling. Der alte Hertha-Haudegen. Der Retter? "Zurück in seinem Wohnzimmer begrüßen wir Paaaal", ruft der Stadionsprecher im Olympiastadion in Berlin. Ein lautstarkes "Dardaiii" schallt ihm aus der großen Schüssel entgegen. Der Coach, der zum dritten Mal den West-Berliner Klub, den Tabellenletzten vor dem Abstieg retten soll, läuft entspannt ein, klatscht ein Spalier von Kindern ab, winkt Freunden und Familie auf der VIP-Tribüne zu. Dann noch eine Umarmung von Maskottchen Herthinho und es geht los. Vorfreudig steht Dardai, dunkelblaues T-Shirt mit "Berlin Charlottenburg" Aufdruck und schwarze Jogginghose, mit verschränkten Armen zum Anpfiff an der Seitenlinie.

Das war es dann aber auch mit der Freude an diesem Samstagnachmittag. Werder Bremen zeigt der Hertha beim 4:2 (2:0) derart deutlich die Grenzen auf, dass spätestens jetzt jedem Blau-Weißen Angst und Bange und klar wird, dass der Abstieg aus der Fußball-Bundesliga nur noch von einem Wunder aufgehalten werden kann. Dardai hatte vor dem Spiel sogar die Fußballgötter um Hilfe gebeten, es hilft alles nichts. Nach einer desolaten offensiven und defensiven Mannschaftsleistung ist sein Team ein Scherbenhaufen - und die Fans proben schon mal den wütenden Protest für den Ernstfall.

"Ich war innerlich auf eine Niederlage vorbereitet", gibt Dardai nach der Partie zu. Kein gutes Zeichen im Abstieg. "Wir kriegen sofort ein Tor, die Mannschaft war blockiert. Der Druck war ein Riesenproblem, wir müssen dringend etwas tun, um die Blockade zu lösen." Seine Mannschaft sei einfach "nicht mutig" genug gewesen.

Der lange Marsch durchs Westend

Die Blockade beginnt schon Stunden vor dem Anpfiff, denn da feiert Werder bereits den ersten Sieg. Durch eine regelrechte Invasion. 10.000 Bremer feiern beim Fan-Marsch vor dem Spiel eine riesige Party. Mitten in Berlin. Die Herthaner versuchen zwar dagegenzuhalten, bei ihnen erscheinen aber nur etwa 4000. Auch das ausverkaufte Haus und das Kaiserwetter helfen der Alten Dame nicht. "Zerreißt euch endlich für Hertha BSC!" steht auf einem überdimensionalen Banner in der Ostkurve geschrieben. Die Fans bleiben aber zunächst draußen - erst nachdem die Mannschaft vom Warmmachen in die Kabine gegangen ist, stürmen sie ihre Plätze. Im Anschluss jubeln jedoch nur die schätzungsweise 25.000 Grün-Weißen in der Salatschüssel. Die Hertha-Fans sind trotz des Urgesteins an der Seitenlinie so sauer, dass es bei der nächsten Pleite knallen dürfte.

Die Bremen-Fans freuten sich über das Frühlingswetter in Berlin.

Die Bremen-Fans freuten sich über das Frühlingswetter in Berlin.

(Foto: picture alliance / nordphoto GmbH)

Der neue Trainer ist bekannt dafür, die Defensive zu stärken. Eigentlich. Denn gegen Bremen ist von Verbesserungen beim Tabellenletzten nichts zu sehen. Der Zauber des Hoffnungsträger ist nach der Großchance durch Dodi Lukebakio schnell verpufft (3.) Werder-Keeper Jiri Pavlenka pariert. Dardai reibt sich das Kinn. Und nur drei Minuten später führt Bremen und Hertha zerfällt. Marvin Ducksch schiebt nach feinem Steckpass von Jens Stage eiskalt ein, weil die Berliner mit Gestikulieren beschäftigt sind. Vor Werders Gegenstoß gibt es im Mittelfeld einen Zusammenprall zwischen Lucas Tousart und Mitchell Weiser, Dardais Männer reklamieren sträflicher Weise schon, bevor der Bremer Angriff ausgespielt ist und sind dadurch nicht konzentriert genug in der Defensive. Das 1:0 ist sinnbildlich für die zerstreute und unsicherer Saison. Dardai wirbelt mit ausgebreiteten Armen in der Luft.

Die Ostkurve pfeift erst und schweigt dann. Aggressivität hatte Dardai gefordert und Hertha ist in den ersten Minuten tatsächlich gut in den Zweikämpfen, haut sich rein in jedes Duell. Doch nach dem 1:0 fällt die Körperspannung mehr und mehr ab. Dazu sind die Zuspiele in die Spitze viel zu ungenau. Dardai grifft Mitte der ersten Hälfte zur Wasserflasche und steht dann wieder mit verschränkten Armen vor der Bank. Als Torwart Oliver Christensen sich einen Abspielfehler leistet, hebt der Coach entschuldigend den Arm, als hätte er den Fehlpass gespielt.

Hertha hilflos wie der Berliner Senat

"Wir brauchen die Fans. Ich weiß, dass es sehr schwer ist. Ich bin selber Hertha-Fan, mir tut das auch weh. Ich würde auch pfeifen, glaube ich. Aber ob es uns hilft, weiß ich nicht. Und wenn wir Hertha lieben, so wie wir es sagen, müssen wir es probieren", sagt Kevin-Prince Boateng nach dem Spiel in der Mixed Zone. Er ist der einzige Spieler, der sich stellt. "Wir labern zu viel", kreidet er die vielen Weckrufe unter der Woche an, auf die keine Taten folgten. Mann müsse endlich mal wieder "zu null" spielen.

Marvin Ducksch traf in Abwesenheit von Nationalstürmer Niclas Füllkrug.

Marvin Ducksch traf in Abwesenheit von Nationalstürmer Niclas Füllkrug.

(Foto: picture alliance / nordphoto GmbH / Kroeger)

Davon ist der BSC heute meilenweit entfernt. Ab der 27. Minute nimmt die Talfahrt so richtig ihren Lauf. So viel Platz ist Werder sonst nicht gewöhnt. Weiser und Christian Groß dürfen sich am rechten Strafraumeck den Ball zupassen. Groß, nicht bekannt für sein feines Füßchen, wird überhaupt nicht am Flanken gehindert und in der Mitte kann Ducksch unbedrängt zum 2:0 ins lange Eck köpfen. Dardai Trainer bleibt erstarrt an der Seitenlinie stehen. Vielleicht weiß er schon, dass es heute noch viel dicker kommt. Denn nun agiert Herthas Abwehr (mal wieder), verzeihen Sie das billige Wortspiel, hilflos wie der Berliner Senat. Zweitligareif. Die Mannschaft kollabiert regelrecht. Keine Ordnung, viel zu viel Platz für Werder, Schwierigkeiten in der Abstimmung. Offensiv passiert wenig. Die Bälle werden früh verloren.

"Wir wollen euch kämpfen sehen, wir wollen euch siegen sehen", schallt es aus der Ostkurve. Aber Hertha schleppt sich nur in die Kabine. Überstehen die letzten Minuten der ersten Halbzeit nur, weil Bremen Chance über Chance versiebt. Hertha strauchelt, Hertha schwimmt. Und hat zu diesem Zeitpunkt Glück nur mit zwei Toren zurückzuliegen. Mit dem Halbzeitpfiff schnappt sich Dardai seine Jacke und stapft frustriert in die Katakomben.

Kapitaler Fehler zum 0:4

Führungsspieler hatte der neue Trainer gesucht, wie er mehrmals betonte: Ein überforderter Tolga Cigerci versucht, das Spielgeschehen zu ordnen. Weder er noch irgendein anderer Spieler kann der Partie der Berliner keine Ruhe verschaffen, geschweige denn ihr seinen Stempel aufdrücken. In der Pause wird Cigerci für Boateng vom Platz genommen. Dardai versucht es mit Positivität, beklatscht die ersten Aktionen der zweiten Hälfte lautstark.

Aber nur sechs Minuten nach Wiederanpfiff verfällt seine Mannschaft erneut in den Tiefschlaf. Werder spielt sich den Ball am Strafraum ungestört zu, bis Anthony Jung von links flankt. Ducksch hat Zeit genug, um die Kugel traumhaft mit der Brust anzunehmen und in einer Bewegung mit links zum 3:0 in die Maschen zu hauen. Während Bremens Trainer Ole Werner Jubelsprünge macht und Dreierpacker Ducksch vor die Bremer Kurve flitzt, gönnt sich ein frustrierter Dardai den nächsten Schluck Wasser. In der 63. Minute der endgültige Schock. Das 4:0 fällt aus einer eigentlich absolut ungefährlichen Situation: Der eingewechselte Agustin Rogel schiebt den Ball völlig unnötig zu Keeper Christensen, der ihn anschließend an Weiser verliert. Der Bremer Flügelflitzer muss nur noch einschieben.

Anschlusstreffer nur Begleiterscheinung

Vor dem Spiel bot sich noch ein geschlossenes Bild, das änderte sich aber bald.

Vor dem Spiel bot sich noch ein geschlossenes Bild, das änderte sich aber bald.

(Foto: picture alliance/dpa)

Bereits jetzt verlassen einige Hertha frustriert das Stadion. Selbst in der Ostkurve. Dort fliegen auch reihenweise Becher auf die blaue Laufbahn. Es entsteht ein spontaner Fan-Protest: Die Ultras drehen dem Spielfeld ihren Rücken zu. Daran kann auch das 1:4 durch Ngankam nichts ändern (68.). In der Ostkurve jubelt niemand. Werder lässt nach der dominanten Führung nach und bietet nun Räume an. Immerhin, ein wenig Wiedergutmachung für manchen Hertha-Fan, wenngleich nicht für die hartgesottenen: Veljkovic holt Ngankam von den Beinen und Schiedsrichter Robert Schröder zeigt sofort auf den Punkt. 2:4 durch Dodi Lukebakio (79.).

Geht da etwa noch was? Dardai bleibt ruhig an der Seitenlinie. Gibt Zeichen, dass seine Spieler mehr reden sollen. Aber es folgt nun kein großes Aufbäumen. Kein Dauerdruck, kein Anrennen. "Zerreißt euch", hatten die Fans gefordert. Davon ist in dieser Schlussphase nichts zu sehen. Werder nimmt wieder die Zügel in die Hand, lässt keinen Zweifel aufkommen, wer heute die bessere Mannschaft ist. Was ist mit dieser Hertha los? Der Auftritt wirkt seelenlos. Blutleer. Wie kann man Dardai dieser Truppe noch Mut einimpfen für die verbleibenden fünf Partien?

Hoffnung für Hertha: Es geht zu den Bayern

Dardai klatscht nach dem Schlusspfiff mit allen auf der Bank ab, versucht anschließend kurz, seine Spieler auf dem Feld wieder aufzurichten. Dann geht es auch schon zum ersten Interview. Seine Mannschaft steht da noch fassungslos am Mittelkreis. Der Stadionhit "Nur nach Hause" von Kult-Sänger Frank Zander wird eingespielt - es singen diesmal lediglich die Bremer mit. Die Verbliebenen in der Ostkurve pfeifen ihr Team aus, als es in die Kurve kommt. Becher fliegen. Gesten, dass die Spieler bloß abhauen sollen. Nach 20 Sekunden verlassen die sie die Kurve wieder, die Fans klatschen höhnisch.

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Welch ein desaströser Fehlstart in die Mission Klassenerhalt. Herthas ehemaliger Sportdirektor Arne Friedrich sagte unter der Woche über den neuen Trainer: "Pal wird das Team stabilisieren." Dardai selbst hatte gesagt: "Das Wichtigste ist der Fokus." Das seelenlose Spiel gegen Bremen wirkt beinahe wie eine Persiflage auf diese Aussagen. Der Coach kann auch sein neuntes Bundesliga-Spiel gegen Werder nicht gewinnen, Hertha ist nun seit sieben Bundesligaspielen sieglos. Die Fans wüten, der Abstieg rückt immer näher. Der große Knall zwischen Klub und Anhängern steht kurz bevor. Arme Hertha, armer Hoffnungsträger.

Erschöpft räumt Boateng am Ende in den Katakomben ein: "Nach heute bin ich ein bisschen ohne Energie." Kein gutes Zeichen. Immerhin, nächste Woche geht es für Pal Dardai gegen einen einfacheren Gegner: Den FC Bayern, den unter seinem neuen Trainer Thomas Tuchel derzeit jeder mal schlagen darf.

Quelle: ntv.de

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