Fußball

Mit Dardai blind in die Falle So wird Hertha BSC das Monster nie bezwingen

Pal Dardai soll es bei Hertha BSC wieder richten.

Pal Dardai soll es bei Hertha BSC wieder richten.

(Foto: imago images/Matthias Koch)

Oh, Hertha. Sandro Schwarz ist weg, aber mit dem neuen Trainer Pal Dardai begeht der BSC alte Fehler und thront weiter auf einem größer werdenden Scherbenhaufen. Dabei bräuchte es eine neue Identität im Verein - und dafür einen schmerzhaften Bruch.

Früher war es einfacher für die Herthaner. Klar, alles gut, das gab es nie so wirklich bei der Alten Dame. Aber dennoch gab es Zeiten, da ergaben selbst simpelste Fan-Gesänge Sinn: In Berlin, an der Spree - gibt's nur Hertha BSC. Olé! Die Herthaner wussten, wer ihr Verein ist, wofür er steht. Dass es für ganz oben vielleicht nicht reichen würde, aber das war in Ordnung. Manch einer rief schließlich auch: "HaHoHe, Hertha ist ok". Dass dafür Charlottenburger Charme herrschte und die Alte Dame eben nach Schultheiß oder Engelhardt vom Fass schmeckte. Dass dieser Hertha dieser leicht schrullige, aber liebenswerte Hauptstadt-Kult innewohnte.

Nun feuert Hertha BSC mit Sandro Schwarz den wievielten Trainer in der wievielten Saison? Egal, es zählt ohnehin niemand mehr mit. Oder was waren gleich die Highlights unter Tayfun Korkut oder Alexander Nouri? Nun soll Pal Dardai den Klub im Täglich-Grüßt-das-Murmeltier-Modus wieder retten. Allein das große Übel, das Monster, das Hertha mehr und mehr zersetzt, wird er kaum besiegen können.

Wieder hält ein Trainer keine komplette Saison beim Chaos-Klub durch. Das liegt natürlich an der Mannschaft wie am Coach. Aber darüber wabert eben dieser dunkle Schatten. Diese pechschwarze Wolke namens Hertha BSC. Durcheinander, Selbstüberschätzung, Wirrwarr, fehlende Qualität in allen Strukturen. Die Fans fragen sich schon länger: Was ist die Identität dieses Klubs? Wer ist Hertha BSC und wofür steht der Verein? Für welchen Fußball? Mit welchem Anspruch?

Hertha droht in Vergessenheit zu geraten

Charlottenburg und Schulle, das passt natürlich nicht mehr unbedingt in das Fußball-Business der Neuzeit. Dennoch schaffen es andere Vereine, sich ihre Eigentümlichkeiten selbst im absoluten Kommerz wenigstens teilweise zu bewahren. Aber wo ist sie hin, diese Alte Dame von der Spree? Wo es einst zumindest laut der Sprechgesänge nur den BSC gab, wo aber Union Berlin dem West-Klub nun bereits mehrere Jahre den Rang abgelaufen hat.

Hertha droht in Vergessenheit zu geraten. Wen kümmert der Verein noch abseits der Herthaner? Ein paar Jahre lang war man die Lachnummer der Liga, Klinsmann-Chaos und Big City Club sei Dank, nun interessiert in Fußball-Deutschland außerhalb von Hauptstadt und Speckgürtel nur noch das Überraschungsteam aus Köpenick und nicht der BSC.

Unter Fan-Liebling Kay Bernstein sollte dabei doch alles besser werden. Aber auch der neue Präsident aus der Kurve bringt keine Ruhe in den Chaos-Klub. Noch immer schafft Hertha nicht den nötigen Spagat zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Zwischen "Hauptstadt-Kult" und Millionenverein mit Investor. Dafür gelingt es ihm immer wieder mit beeindruckender Konstanz, sich selbst zugrunde zu richten. Nicht mal annähernde Kontinuität auf der Trainerposition. Keine kontinuierliche oder strategische Kaderplanung seit Jahren. Durch die vielen Wechsel auf der Trainerposition muss jeder neue Coach Spieler mitschleppen, die er gar nicht brauchen kann. Wo ist die Handschrift im Klub, damit auch ein Trainer seine eigene Identität mitbringen, integrieren und ausbauen kann?

Dass Hertha unter Sandro Schwarz zweitligareif kickte und die zweitmeisten Tore in der Bundesliga kassierte, machte das 2:5 auf Schalke noch mal überdeutlich. Eine Mannschaft ohne Leader (ein alternder Kevin-Prince Boateng muss diese Rolle übernehmen, weil niemand anders Führungsqualitäten mitbringt, und ist überfordert) taumelte über Monate immer weiter nach unten, ohne dass Schwarz den Fall aufhalten konnte. Auch der Trainer peitschte zu selten an, stand oftmals fast teilnahmslos an der Seitenlinie. Schwarz' Entlassung war so erwartbar wie folgerichtig - doch das eigentliche Übel keimt woanders und auch Dardai wird es kaum besiegen können.

Hertha tappt in die Endlos-Falle

Jetzt also wieder das Hertha-Urgestein. Der Retter in der Not. Pal Dardai, das duftet immerhin wieder ein wenig nach der alten Hertha. Gulaschkanone und ungarischer Rotwein statt frisch Gezapftem am Tresen zwar. Gut möglich, dass seine Kantigkeit und seine Emotionen die Berliner dennoch zum ja nicht allzu weit entfernten rettenden Ufer pushen. Aber ein Gulasch macht noch keine Stadion-Wurst: Der abermalige Dardai ist trotz (oder wegen) Fußball-Romantik und Nostalgie sicherlich nicht das, was die Hertha braucht. Die großen Probleme im Klub wird er nicht aufarbeiten, die spielerische Handschrift, die der Verein so dringend benötigt, und eine neue Identität wird er nicht etablieren können.

Dardai ist Typ Feuerwehrmann. Typ Arbeiter. Typ Mittelmaß. Nicht Typ Architekt. Oder gar Typ Hoffnungsträger. Das erklärte er sogar selbst, etwa im August 2021 nach der 0:5-Pleite gegen den FC Bayern: "Wahrscheinlich sucht Hertha BSC seit langem einen großen Trainer. Pal ist ein kleiner Trainer, ein netter Trainer, er hilft aus so lange, wie es sein soll." Nun ist das Pal'sche Murmeltier zurück. Hertha geht statt eines Neustarts also einen risikoarmen Weg, weil der neue alte Trainer und sein Auftreten seit Jahrzehnten bekannt ist (zu zwei Amtszeiten noch 373 Partien als Spieler für den Klub), der wenig Erfolg verspricht. Zwar kennt er die Mannschaft und kann mit seinem diszipliniertem Defensivfußball den Klassenerhalt möglich machen, aber unter ihm entwickelte sich Hertha bisher nie zu einer attraktiv auftretenden Mannschaft: biederer Fußball, fehlende spielerische Elemente, taktische Schwächen. Nun geht Dardai dennoch in seine dritte Amtszeit als Hertha-Trainer.

Hertha tappt abermals in die Endlos-Falle. Immer wieder scheitert es am Monster der eigenen Probleme. Soll heißen: Abstieg irgendwie verhindern. Ein, vielleicht zwei Jahre Platz elf in der Tabelle. Dann wieder Abstiegskampf. Dann wieder Dardai feuern. Im Verein ändert sich nichts, Identitätsbildung gleich null. Oder soll diese ewige Tristesse etwa Hertha BSC von der Spree sein? So bitter ein "Neustart" auch wäre (der wievielte wäre es eigentlich?), aber der Scherbenhaufen Hertha lässt eigentlich keine andere Wahl. Wohlgemerkt: Es müsste ein echter Wiederaufbau her. Schon oft sollte beim BSC alles anders werden, geändert hat sich an den problembehafteten Strukturen auch mit neuem Personal nie etwas. Nun geht es im Murmeltier-Modus weiter in Richtung Abgrund.

Wiedererweckung der Alten Dame

Am kommenden Samstag läuft Werder Bremen im Olympiastadion auf. Auch die Hanseaten taumelten lange in Richtung 2. Liga, bis der Abstieg schließlich nicht mehr zu verhindern war. Und siehe da: Der Neustart, wenngleich schmerzhaft, hat gutgetan. Hat zusammengeschweißt. Hat neue Kraft, ja neue Identität freigesetzt. In Bremen weiß man, dass man auch in den kommenden Jahren kleinere Brötchen backen muss. Das wäre doch was für die Hertha, wo Anfang 2021 der damalige Chef der Geschäftsführung, Carsten Schmidt, posaunte: "Wir wollen die größte Aufholjagd, die der deutsche und vielleicht der internationale Fußball je erlebt hat."

Schmidt ist natürlich nicht mehr da, aber auch ohne grandiose Big-City-Fantasien hat Hertha eben noch nicht den Weg zurück in die gesunde Spur gefunden. Wer weiß, vielleicht macht es Hertha dem SVW nach - ohne eine abermalig verkorkste Saison samt knapper Rettung - und baut über den Umweg Unterhaus etwas Richtiges, etwas Echtes in der Hauptstadt auf. Die Wiedererweckung der Alten Dame. Als ein Klub, der sich nicht selbst überschätzt, der eine passende Strategie und eine realistische Erwartungshaltung hat, und der - wie auch immer das gelingen mag - sich wieder eine Identität aufbaut. Der Duft des Westends, der selbst bei 777-Partners-Millionen noch in der Luft liegt, aber eben doch neu und frisch daherkommt.

Dardai ist dafür nicht der richtige Trainer. Monster hin oder her. Und so dürfte es noch dauern, bis es in der Hauptstadt wieder voller Überzeugung heißt: In Berlin, an der Spree - gibt es Hertha BSC.

Quelle: ntv.de

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