Klopp über Fußball-Wahnsinn "Dann sind das alles Formel-1-Autos in Fußballschuhen"
21.09.2023, 11:37 UhrDer Bundestrainer-Posten? Die Europa League? Die Lage beim FC Liverpool? Im Interview mit RTL/ntv spricht Jürgen Klopp über alle akuten Themen der Fußballwelt. Und auch über die enormen Summen, die derzeit dort fließen.
Eine Aussage fällt Jürgen Klopp regelmäßig auf die Füße. Im Sommer 2016 war die Welt noch eine andere. Joachim Löw coachte die deutsche Fußball-Nationalmannschaft ins EM-Halbfinale. Nur Leute, die sich wirklich damit auskennen, wussten über das SARS-CoV-Virus Bescheid. Und Großbritannien gehörte noch zur EU. In diese Zeit fiel einer der spektakulärsten Transfers der Fußballwelt: Der Franzose Paul Pogba kehrte für 105 Millionen Euro von Juventus Turin zu Manchester United zurück.
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Damals war das für einen Fußballer eine ungewöhnlich hohe Summe und erst der zweite 100-Millionen-Euro-Transfer überhaupt. Auch für Jürgen Klopp, der sich im Sommer 2016 auf seine erste volle Saison mit dem FC Liverpool vorbereitete, war das überwältigend. Angesprochen auf den Pogba-Wahnsinn sagte er: "Wenn man einen Spieler für 100 Millionen Pfund holt und er sich verletzt, dann geht alles den Bach runter. Der Tag, an dem das der Fußball ist, mache ich den Job hier nicht mehr. Selbst wenn ich das Geld hätte, würde ich es anders machen."
Diese Sätze sind nun mehr als sieben Jahre her. Seitdem hat sich auch die Fußballwelt rasant gewandelt. Auch der FC Bayern blätterte 100 Millionen Euro für Harry Kane, den Kapitän der englischen Nationalmannschaft, hin. Schon vor fünf Jahren durchbrach Neymar in einem komplett verrückten Transfersommer auf seinem Weg nach Paris die 200-Millionen-Euro-Schallmauer. Doch Klopp bleibt dabei. Diese Summen sind zwar "passiert, aber es ist keine Normalität", sagt er im RTL/ntv-Interview. Es gebe einige 100-Millionen-Transfers, "aber es ist nicht die Basissumme, von der wir ausgehen". Der Fußball habe sich jedoch "wahnsinnig" entwickelt.
Klopp: "Das war wirklich ein Schluck aus der Pulle"
Heute gehört auch der FC Liverpool zu diesem Kosmos mit den absurden Transfersummen. Mit Dominik Szoboszlai (70 Millionen Euro), Alexis Mac Allister (42), Ryan Gravenberch (40) und Wataru Endo (20) gaben die Reds im Sommer insgesamt 172 Millionen Euro aus. Möglich wurde das auch durch die Einnahmen aus Saudi-Arabien. Für Fabinho und Jordan Henderson flossen insgesamt 60,7 Millionen Euro.
Doch das ist bei Weitem nicht der Gipfel: Für Darwin Núñez überwiesen die Reds im vergangenen Sommer bereits eine Ablöse von 80 Millionen Euro, die mit Boni auch die 100er-Marke überschreiten kann. Schon damals musste Klopp viel Hohn über sich ergehen lassen. In diesem Sommer war Liverpool dann kurz davor, Moises Caicedo zu verpflichten. Auch bei dem Mittelfeldmann von Brighton stand eine Ablöse von mehr als 100 Millionen Euro im Raum. Die Klubs waren sich schon einig, Caicedo wollte jedoch unbedingt zum FC Chelsea. Am Ende bekamen die Londoner den Zuschlag.
Verglichen mit Klopps Anfangszeit beim BVB sind das schwindelerregende Summen. Als er 2008 nach Dortmund gekommen war, zahlte der aus einer Finanzkrise kommende Klub für Mats Hummels und Neven Subotic damals jeweils fünf Millionen Euro. "Und es war richtig viel Geld", erinnert sich Klopp. Ähnlich sei es auch bei Robert Lewandowski gewesen, der 2010 zur Borussia kam. Der erste größere Transfer war dann der Armenier Henrikh Mkhitaryan, der Mittelfeldmann kostete fast 30 Millionen Euro. "Das war wirklich ein Schluck aus der Pulle und das ist es bis heute geblieben", sagt Klopp.
"Saudi-Arabien hat nicht geholfen"
Es seien nur die Auswüchse größer geworden. "Saudi-Arabien hat jetzt natürlich nicht geholfen", erklärt er. "Und auch Chelsea, wie auch immer das System funktioniert, hilft in England auch nicht. Weil sie alles überbieten können und das fast auch immer tun." Die Blues haben seit der Übernahme im Frühjahr 2022 durch Todd Boehly fast eine Milliarde Euro auf dem Transfermarkt ausgegeben. "Aber das ist jetzt kein Vorwurf", sagt Klopp weiter, "sondern einfach eine Entwicklung und hängt immer mit den jeweiligen Verhältnissen zusammen." Aber es sei tatsächlich so, dass die Entwicklung weiter fortgeschritten sei, "und ich die hundertprozentig so nicht vorhergesehen habe".
Wie es von dort aus weitergeht, da wagt auch Klopp keine Prognose. "Wenn sich das Spiel in den nächsten 20 Jahren so verändert, wie es sich in den vergangenen 20 Jahren verändert hat, dann fehlt mir die Vorstellungskraft, wie das aussehen soll." Es sei Wahnsinn, was in den vergangenen zwei Dekaden passiert sei. "Immer mehr Tempo, so viele Dinge sind passiert. Und, wenn das nochmal so geht: Wow, keine Ahnung, dann sind das alles Formel-1-Autos in Fußballschuhen, die dann über den Platz laufen." Das werde der heute 56-jährige Klopp dann aber aus einer anderen Perspektive beobachten.
Und dennoch: Es sind gewaltige Summen, die derzeit durch die Fußballwelt geistern. "Das kann man natürlich kritisch sehen. Das ist ja nichts, womit wir was zu tun haben. Es ist ja nicht so, dass es Geld ist, das anderweitig sonst wo investiert werden würde." Das sei Geld, das im Fußball produziert werde - "wie auch immer, und da wird es auch ausgegeben. Es ist ein superschwieriges Thema und es gibt viel wichtigere Dinge als Fußball". Es sei zudem nicht so, dass Klopp jeden Tag aufwache und denke: "Oh, das war jetzt ein 100-Millionen-Transfer." Die Welt habe viel größere Probleme, als das Geld, das im Fußball ausgegeben wird. "Wenn das Geld, dabei helfen würde, die zu lösen, dann sollten wir nochmal darüber nachdenken." Er scheint das zu bezweifeln.
Klopp baut Liverpool 2.0
Sowieso stehen gerade andere Themen im Fokus. Derzeit verpasst Klopp seinem Klub ein Update, auch deshalb steht für ihn die Bundestrainer-Frage nicht zur Debatte. "Wir arbeiten gerade an Liverpool 2.0", sagt er. "Wir wollen noch mal richtig angreifen." Und in seinem achten Jahr eben nicht nur mal schauen, wie lange es noch geht. Deshalb passe der DFB-Posten gerade nicht. Ohnehin sei Julian Nagelsmann, der mutmaßlich den Job so gut wie sicher hat, "eine ganz tolle Lösung".
In der Premier League startete die Klopp-Elf erfolgreich: Mit 13 Punkten aus fünf Spielen stehen die Reds auf dem dritten Tabellenplatz, nur zwei Punkte hinter Meister Manchester City. Und eine weitere Mission startet am Abend um 18:45 gegen LASK (RTL+ und im ntv.de-Liveticker): die Europa League. "Für uns ist es wirklich wichtig, dass wir uns in den Wettbewerb verlieben", sagt Klopp. "Wir müssen diese eine Mannschaft sein, gegen die niemand spielen möchte. Wenn die ein Mal gegen uns gespielt haben, muss das für die Gegner so unangenehm werden, dass die nie wieder gegen uns spielen wollen." Dafür brauche Klopp eine Mannschaft, die komplett brennt, die Lust darauf hat. Sein Job sei es, genau dafür zu sorgen. Wie gut ihm das gelingt, wird sich am Abend das erste Mal zeigen. Nicht, dass ihm diese Aussage auch wieder auf die Füße fällt.
Quelle: ntv.de