Fußball

Folgenreiche Kroos-Rückkehr Nach der EM kollabiert die deutsche Fußball-Nationalmannschaft

Toni Kroos soll bei der EM für deutsche Erfolge sorgen.

Toni Kroos soll bei der EM für deutsche Erfolge sorgen.

(Foto: Federico Gambarini/dpa)

Toni Kroos kehrt zurück ins DFB-Team. Das ist eine gute Nachricht, der Weltmeister von 2014 ist auch im Herbst seiner Karriere einer der besten Fußballspieler der Welt. Kroos' Comeback hat radikale Folgen, Teile der Zukunft des DFB-Teams sind vorerst abgesagt.

Sie haben wirklich alles versucht, um die deutsche Fußball-Nationalmannschaft wieder in die Spur zu bekommen: In endlosen Taktik-Variationen haben sich die Bundestrainer Hansi Flick und Julian Nagelsmann in den vergangenen drei Jahren verzettelt. Dreier-, Vierer- oder Fünferkette? Nichts brachte dem deutschen Spiel nachhaltig Stabilität.

Vom Erfolg haben sich Deutschlands Elitekicker ohnehin schon lange verabschiedet. Mann um Mann warfen Nagelsmann und Flick also ins Rennen, zwischenzeitlich galt der Dortmunder Marius Wolf als großer Hoffnungsträger, Kai Havertz avancierte plötzlich zum Linksverteidiger. Eine belastbare Formation fand sich nie. 16 Debütanten unter Flick, 4 schon unter Nagelsmann. Testspiele gingen reihenweise verloren, die Fans wandten sich ab: Das DFB-Team versank zur Unzeit - die desaströse Wüsten-WM von Katar im Nacken und die Heim-EM vor Augen -immer tiefer in der Depression.

Mit der Rückkehr von Toni Kroos scheint unausweichlich: Mit dem Abpfiff ihres letzten Turnierspiels wird die deutsche Fußball-Nationalmannschaft kollabieren. Julian Nagelsmann, der selbst nur einen Vertrag bis zum Ende des Turniers hat, wird seinen EM-Kader gnadenlos auf Kante nähen. Eine Zukunft hat dieses Gebilde nicht. Für die Zeit danach gibt es keine Vision, es zählt nur das Heimturnier.

"Davon kann sich jeder verabschieden"

Torwart Manuel Neuer hat sich nach seiner schweren Beinverletzung durch die Reha zurück ins deutsche Tor gequält, Kapitän İlkay Gündoğan hatte schon mehrfach mit dem Abschied aus dem DFB-Team geliebäugelt. Die 2014er-Weltmeister Mats Hummels, Thomas Müller und nun Toni Kroos, die in der wachsenden Verzweiflung reaktiviert wurden, um die Träume von einem halbwegs versöhnlichen Turnier ein bisschen zu befeuern, sind nicht die Zukunft des deutschen Fußballs.

Es gibt starke Indizien, dass die hochbegabte Generation, die nach 2014 übernehmen sollte, schon Vergangenheit ist. Leon Goretzka, Joshua Kimmich, Serge Gnabry, Leroy Sané - der viel gerühmte Jahrgang 1995/96 - sie alle sind großartige Fußballer, allerdings allesamt durch den Absturz des DFB-Teams als Nationalspieler beschädigt. Ihre Krise ist eng mit der des FC Bayern verwoben. Der deutsche Fußball-Rekordmeister steuert seit mindestens anderthalb Jahren durch unruhige Gewässer. Dabei fraß er zwei Trainer - erst Nagelsmann und zuletzt Thomas Tuchel.

Die Rückkehr von Toni Kroos manifestiert den Zweifel. Es ist auf den ersten Blick eine sehr deutsche Art von Aufbruchstimmung, einem 34-jährigen Nationalmannschafts-Ruheständler das DFB-Team auszuliefern. Auch Eingeständnis dessen, dass die Idee schon mit der viel bejubelten Rückkehr von Thomas Müller vor der EM 2021 nur leidlich gut geklappt hatte. Er sei "definitiv nicht der Heilsbringer. Davon kann sich jeder direkt verabschieden", sagte Kroos selbst: "Man darf nicht denken, dass wir durch diesen Kniff zum Favoriten werden. Das ist Quatsch."

Es gibt eine große Gefahr

Mit ihm kommt jemand zurück, den zumindest die lähmenden letzten Krisenjahre des DFB-Teams kaum beschädigt haben. Jemand, der ein gewaltiges Ansehen überall auf der Welt hat - allen voran bei Real Madrid. Niemand spielt seit zehn Jahren bei den Königlichen, ohne selbst zur Weltklasse zu gehören. In Spanien schwärmen sie von demjenigen, dem Trainer Carlo Ancelotti jüngst "Top-Klasse" attestierte. Mit dem vielleicht größten Klub der Welt gewann er viermal die Champions League und ist auf bestem Wege, zum fünften Mal in der Königsklasse zu triumphieren. Es wäre sein sechster Titel, mit dem Bayern-Titel von 2013, der ewige Rekord des Spaniers Francicso Gento wäre eingestellt.

Nagelsmann zeigt mit der Rückholaktion Kroos', dass er für dieses Turnier alles dem Leistungsprinzip unterordnet. Am 14. Juni gegen Schottland soll wirklich die beste Mannschaft auf dem Platz stehen, die der deutsche Fußball derzeit zu bieten hat. Egal, was war. Egal, was kommen könnte. Und doch: Das wirklich allerletzte Aufleben der Rio-Helden stellt den Bundestrainer vor ein schwieriges Puzzle. Die Gefahr ist groß, dass für diejenigen, denen die Zukunft des DFB-Teams gehören wird, kein Platz mehr sein wird.

Unter Weltmeistertrainer Joachim Löw war Kroos einer der mächtigsten Nationalspieler seiner Mannschaft. Der 34-Jährige wird im deutschen Mittelfeld sofort eine Chefrolle einnehmen. Mit dem Comeback des Weltmeisters verändert sich die Hierarchie und die Statik in der deutschen Mannschaft radikal. Und das vor allem in der Schaltzentrale der deutschen Nationalmannschaft: auf der Sechs. Dort, wo er auch bei Real Madrid die Spiele wie ein Feldherr lenkt.

Wohin mit Wirtz und Musiala?

Doch damit wird es kompliziert. Im zentralen Mittelfeld gibt es drei Plätze, das deutete Nagelsmann mehrfach an - und die meisten davon sind schon vergeben. Trotz seiner aktuellen Formschwäche wird Kapitän İlkay Gündoğan gesetzt sein. Eine Doppel-Sechs Kroos/Gündoğan ist nahezu ausgeschlossen. Gündoğan wird eine Position nach vorne rücken und auf der Acht oder der Zehn spielen. Damit bleibt nur ein freier Platz: der eines der defensiven Sechsers. Joshua Kimmichs Zeit im deutschen Mittelfeld dürfte zu Ende sein, der Bayern-Profi wird auf die rechte Abwehrseite rücken.

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Wenn Gündoğan die offensivste Position im Mittelfeld bekommt, vertreibt er damit mindestens einen der beiden aufregendsten Fußballer, die das Land derzeit zu bieten hat. Wohin mit Florian Wirtz und Jamal Musiala? Der Fußball-Zauberer Wirtz ist gerade auf dem Weg, mit Bayer Leverkusen die ewige Tyrannei des FC Bayern zu brechen. Musiala, der lange Zeit unter akuter Formschwäche litt, hatte sich zuletzt wieder gefangen. Das Puzzle bekommt zudem neue Teile dazu, sollte Rio-Held Müller noch einmal eine Hauptrolle bei der Heim-EM bekommen.

Doch alle diese taktischen Dinge rücken in den Hintergrund. Nagelsmanns Plan ist alternativlos: Der Bundestrainer hatte schwer an Kroos gebaggert, bis der dem Werben nachgab und sein Comeback verkündete. Der Spielmacher von Real Madrid ist ohne Zweifel der beste deutsche Spieler auf seiner Position, auch mit 34 Jahren verkörpert der Passkönig absolute Weltklasse. Es wäre fahrlässig gewesen, kampflos auf den Routinier zu verzichten. "Weil ich Bock darauf habe", kehre er zurück, sagt Kroos. Toni Kroos ist wieder Teil der deutschen Fußball-Gegenwart, das ist bei allen offenen Fragen eine gute Nachricht für die dauerwankende deutsche Mannschaft. Ist die Gegenwart vorbei, steht die Zukunft in den Sternen.

Quelle: ntv.de

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