Fußball

Berger befeuert Tor-Zweikampf Nach zwei Krebsdiagnosen schielt DFB-Torhüterin auf Nummer 1

Ann-Katrin Berger spielte gegen Österreich auch offensiv mit.

Ann-Katrin Berger spielte gegen Österreich auch offensiv mit.

(Foto: IMAGO/Eibner)

Kein Tor kassiert, aber zwei eingeleitet. Die Bilanz von Ann-Katrin Berger beim DFB-Spiel gegen Österreich kann sich sehen lassen. Schließlich ist sie Torhüterin. Die Frau, die schon zweimal an Krebs erkrankt war, will den von Horst Hrubesch eröffneten Kampf ums Tor nutzen.

Vor einiger Zeit sitzt Ann-Katrin Berger vier Tage lang allein in einem Krankenhaus-Zimmer. Zur Untätigkeit verdammt, muss sie abwarten - es gehört zu ihrem Kampf gegen den Schilddrüsenkrebs. 2017 hatte sie die Schockdiagnose erhalten, mit gerade einmal 26 Jahren. Sie hatte Tabletten mit niedrig dosiertem radioaktivem Jod geschluckt, das erkrankte Zellen des Schilddrüsengewebes absterben lässt. Weil sie aber selbst wegen der Tabletten radioaktiv strahlt, wird sie isoliert. Die härteste Etappe der Therapie, trotz sechseinhalbstündiger Operation: "Die Radiojodtherapie war das Schlimmste von allem, weil du einfach vier Tage lang in einem Zimmer sitzt und nichts machen kannst."

Der Kontrast von damals zu heute könnte nicht stärker sein. Am Dienstagabend strahlt sie beim letzten Spiel der DFB-Frauen vor den Olympischen Spielen. In der mit 43.953 Fans ausverkauften Arena in Hannover genießt Berger ihren Auftritt sichtlich. Sie steht im Tor, spielt zu Null - und trägt sich trotzdem mit zwei Torvorlagen in die Statistik ein. "Ich glaube, ich habe noch nie in meinem Leben zwei Vorlagen in einem Spiel gemacht, das ist schon ein bisschen verrückt." Beim 4:0-Sieg schickt sie Jule Brand in der 39. Minute in einen langen Solo-Lauf von der Mittellinie aus in Richtung österreichisches Tor, die Wolfsburgerin lässt Torhüterin Manuela Zinsberger keine Chance. Berger bereitet damit das 2:0 vor, wie in der Nachspielzeit dann auch noch den 4:0-Endstand. Ihr langer Abschlag an die Mittellinie landet bei Klara Bühl, die allen davonzieht und mit ihrem zweiten Treffer den souveränen Sieg perfekt macht.

Es ist das gerade einmal zehnte Länderspiel von Berger, ihr Debüt hatte sie Ende 2020 gegeben, war aber bislang nie an den gesetzten Torhüterinnen vorbeigekommen: Erst Almuth Schult, dann Merle Frohms bekamen den Vorzug vor der Frau, die Deutschland schon 2014 verließ. Um ihr Glück erst bei Paris St. Germain, dann bei Birmingham City und lange dem FC Chelsea suchte, ehe sie im April zum NJ/NY Gotham FC nach New Jersey in die US-amerikanische Liga wechselte.

"Ich war so wütend"

Ihr derzeitiges Leben ist ein krasser Kontrast zu den Tiefschlägen, die sie bereits erleben musste. Nach dem ersten Kampf gegen den Krebs musste sie diesen 2022 noch einmal aufnehmen. Der Krebs kehrte zurück, das weiß von der Diagnose bereits während der EM in England, bei der das DFB-Team Vize-Europameister wird. Sie hält die niederschmetternde Wahrheit vor ihren Teamkolleginnen geheim, will niemanden vom Sport ablenken. Als Nummer zwei hinter Merle Frohms kommt sie nicht zum Einsatz. Abreisen will sie aber nicht, "weil ich zu Hause verrückt geworden wäre", so die Schwäbin.

"Ich war so wütend. Ich hatte doch alles richtig gemacht: wenig Zucker, kein Alkohol, ausreichend Schlaf, viel Bewegung. Ich war super diszipliniert - und dann kriege ich wieder Krebs. Es hat sich zutiefst ungerecht und gemein und unfair angefühlt", sagte sie dem "Stern". Nach der erfolgreichen EM folgt wieder die Therapie, wieder das bange Warten, dass sie anschlägt. "Mein Opa hat mir geholfen. Er hat Bücher geschickt, damit ich ja so viel lesen kann, dass ich gar nicht so viel drüber nachdenke", sagte sie rückblickend RTL. Zwei Tage nach der zweiten Radiojodtherapie absolviert sie ein leichtes Training, drei Wochen später kehrt sie ins Teamtraining zurück.

Krebserkrankte leben jahrelang in erhöhter Alarmbereitschaft, erst nach fünf Jahren gelten sie aus medizinischer Sicht geheilt, die Sorge vor der Rückkehr der Erkrankung aber bleibt auch danach. Regelmäßige Kontrollen begleiten Berger, halten sie aber weder vom Leben noch vom Sport ab. Und sie hat ein klares Ziel vor Augen: bei den Olympischen Spielen nicht nur dabei zu sein, sondern auch zu spielen.

Hrubesch eröffnet Tor-Kampf

Etwas überraschend hatte Bundestrainer Horst Hrubesch nach der erfolgreichen Olympia-Qualifikation eine Torhüterinnen-Diskussion entfacht. Dabei hatte sich Frohms nichts zuschulden kommen lassen, ihre Bilanz bei 52 Spielen im DFB-Tor ist top, auch beim Vize-Meister VfL Wolfsburg ist sie Stammtorhüterin ohne gewichtige Patzer. Hrubesch aber will allen eine Chance geben: "Wir haben drei, vier, fünf gute Torhüter insgesamt in der Liga", sagt er nach dem Sieg gegen Österreich. Drei sind aktuell beim Team dabei, Stina Johannes ist die Dritte im Bunde, sie kam im Juni im EM-Qualifikationsspiel in Polen (1:3) zu ihrem Debüt. "Wir wollten alle nochmal im Tor sehen", erklärt Hrubesch seine Wechsel.

Womöglich hat Frohms diese Situation verunsichert, bei der 0:3-Pleite am Freitagabend in Island patzte sie beim ersten Gegentor, wirkte auch im restlichen Spiel nicht so souverän wie sonst. Vor der Partie hatte sie im "Kicker" betont, alles getan zu haben, was in ihrer Macht liegt, sie habe ihre Leistung gezeigt. Für sie ist die Situation natürlich hart: "Das ist sein Recht als Trainer. Da muss ich eine Entscheidung nicht nachvollziehen können, sondern ich muss mit ihr umgehen können."

Berger nutzte ihre Chance gegen Österreich. "Ich spiele Fußball, um auch auf dem Platz zu stehen. Ich glaube, ich habe mir das heute erarbeitet und jetzt kommt es auf den Trainer an, was er entscheidet", sagt sie selbstbewusst. Ihr Wechsel im April zum Gotham FC hat ihr noch einmal einen Aufschwung gegeben. "Es ist auch das Selbstvertrauen, dass ich von meinem Trainer in Amerika bekommen habe. Ich kann machen, was ich möchte, Hauptsache ich kassiere kein Tor. Das zahlt sich aus, es macht einfach Bock, wieder Fußball zu spielen."

Entscheidung erst in Marseille

Anders als die Bundesliga läuft die Saison in den USA auch in den Sommermonaten. Berger hat keine Pause, absolvierte noch am 7. Juli ein Spiel. Die National Women's Soccer League ist anders gestaltet, die Saison ist noch in vollem Gange, pausiert jetzt aber wegen der Olympischen Spiele. Für die amtierenden Meisterinnen vom Gotham FC und die weiteren Teams geht es im August mit der Saison weiter, ehe im November dann die Finals folgen. Ende November steht fest, ob Berger in ihrer Debüt-Saison den Meistertitel feiern kann.

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Das Spiel in den USA ist viel schneller, konstatiert sie, das musste sie dazulernen, ihr Spiel umstrukturieren. Die Erfahrungen aus England und den USA, wo die wohl stärkste Liga der Welt um den Titel konkurriert, bringen sie weiter, so die 34-Jährige. Das helfe letztlich auch dem Team. Gedulden müssen sie und die 29-jährige Frohms sich noch bis unmittelbar vor dem Olympia-Auftaktspiel gegen Australien (25. Juli, 19 Uhr). Die endgültige Entscheidung, wer in Marseille anfängt, "werden wir in Marseille treffen", so Hrubesch.

Ann-Katrin Berger wäre natürlich bereit: "Bei Olympia mitzuspielen, ist ein überragendes Gefühl, macht richtig Stolz. Mit meiner Vorerkrankung macht es mich noch stärker. Natürlich wäre es jetzt die Kirsche auf dem Sahnehäubchen, wenn ich spielen könnte." Da rückt die tagelange Isolation ganz weit in den Hintergrund.

Quelle: ntv.de

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