Nach Gespräch mit NFL-Coach Nagelsmann will eine Revolution auf dem Platz
18.09.2021, 11:07 Uhr
Julian Nagelsmann denkt über seinen nächsten Schritt nach.
(Foto: imago images/MIS)
Julian Nagelsmann ist erst 34 Jahre alt. Er wird noch einige Jahre im Fußball arbeiten. Da verwundert es nicht, dass er sich Gedanken um die Entwicklung des Spiels macht. Der Bayern-Trainer will sich bei anderen Sportarten etwas abschauen. Auch um seine Arbeit zu erleichtern.
Was waren das nur für schöne Zeiten? Damals unter klinischen Corona-Bedingungen. Keine störenden Fans, die den Fußball von außen beeinflussten. Anweisungen, die jeder im Stadion hören kann. Paradiesische Zustände für Trainer und Spieler. Nicht für die, die über Emotionen kommen. Aber gewiss doch für die, die jedes Detail ausarbeiten, jeden Spielzug planen und von außen beeinflussen wollen. Paradiesische Zustände also für den damaligen Leipzig-Trainer Julian Nagelsmann, der zwar auch von den Emotionen lebt, sich jedoch auch über sein In-Game-Coaching einen Ruf erarbeitet hat.
Nun ist es seit einiger Zeit so: Die Fans sind zurück in den Stadien. Noch nicht alle, zumindest nicht in Deutschland, nicht in der Bundesliga. Doch auch da sorgen die maximal 25.000 Zuschauer für einen Lärmpegel, der die Kommunikation erschwert, verändert, manchmal sogar unmöglich macht. Die Trainer müssen nun wieder ihre Spieler zu sich beordern, um ihnen Anweisungen zu erteilen. Wertvolle Sekunden gehen verloren, Kraft geht für Läufe an die Außenlinie drauf. Das muss nicht sein, sagt Nagelsmann jetzt. Er hat da eine Idee. Was ist, wenn die taktischen Hinweise in Zukunft als Audio-Signale über das Spielfeld schweben?
Der 34-Jährige orientiert sich an der NFL, am American Football. Im Gespräch mit der "Münchener Merkur" erklärt er: "Football ist ein Teamsport. Allein deswegen gibt es schon eine Parallele zum Fußball. Football ist unglaublich weit bei der Technologie in der Kommunikation mit Spielern. Sprich: Der Quarterback hört den Trainer auf dem Feld. Football ist unglaublich weit in der Spezialisierung von Trainern auf Mannschaftsteile. Da kannst du als Fußballtrainer unglaublich viel rausziehen."
Früchte der US-Partnerschaft
Gewonnen hat Nagelsmann diese Erkenntnisse nicht nur in den ersten Spielen auf dem Weg zurück zur Normalität, sondern auch nach einem Austausch mit Andy Reid, dem Head-Coach der Kansas City Chiefs. Dort gehört Clark Hunt zu den Eigentümern. Und der ist ein großer Fußball-Fan. Der 56-Jährige gehörte zu den einflussreichsten Köpfen in der Frühphase der Major League Soccer, der US-amerikanischen Profi-Liga und er ist immer noch Eigentümer des FC Dallas, der seit langen Jahren eine Partnerschaft mit Bayern München pflegt. Da geht es um Spielerentwicklung, um Jugendförderung und eben auch um den Austausch von Ideen.
Dazu kam es also in der vergangenen Woche. Ideen wurde ausgetauscht, und Julian Nagelsmann trug später einige Gedanken vor. Besonders eben den zur Kommunikation zwischen Trainer und Spieler. Er sagte: "Das ist etwas, was wir im Fußball unbedingt brauchen. Idealerweise auch mit einer Verbindung zurück, dass der Spieler mit den Trainern kommunizieren kann: Es ist extrem laut im Stadion, du hast kein Stop-and-Go-Spiel wie im Football. Es gibt kein Time-Out, es gibt nur die Halbzeitpause, um taktische Dinge mit den Spielern zu besprechen."
Eine derartige Kommunikation ist in den DFL-Statuen jedoch momentan nicht vorgesehen. Aber Nagelsmann ist kein Innovationsfeind. War er noch nie. Nicht bei Hoffenheim, nicht bei Leipzig und jetzt eben auch nicht bei den Bayern. Er will den Fußball entwickeln. Und kann sich "etwas" im Trikot vorstellen, dass Spielern und Trainern zu jeder Zeit Kommunikation erlaubt. Auch wenn die Zuschauer brüllen, das Stadion kocht und niemand mehr irgendwas versteht. Das "Etwas" im Trikot macht es möglich. Ein derartiger Vorstoß hätte in Deutschland aktuell eher weniger Chancen, auch wenn Nagelsmann Traditionen aufbrechen will, wie er sagt. Praktisch also, dass der Partnerclub in den USA spielt. Dort ist der Fußball ein anderer, ein jüngerer und nicht mit dem schweren Ballast der Jahre beladen. Damit sich Spieler und Trainer endlich wieder verstehen, auch wenn die Kurve tobt.
Quelle: ntv.de