Fußball

LKW-Ladung voll Hiobsbotschaften Verzweifelter BVB irrt vogelwild durch den "Wahnsinn"

Das Gesicht der BVB-Krise: Emre Can.

Das Gesicht der BVB-Krise: Emre Can.

(Foto: IMAGO/Eibner)

Borussia Dortmund schiebt den ganz großen Frust. Auf den kolossalen Einbruch bei Real Madrid folgt eine Pleite beim FC Augsburg. Mit der Niederlage verabschieden sich die Schwarzgelben vorerst von allen höheren Ambitionen. Am Trainer rütteln sie aber nicht.

Emre Can war gerade einmal fünf Minuten auf dem Platz, da ging das Spiel für Borussia Dortmund verloren. Eine Flanke von der linken Angriffsseite der Augsburger klärte der Kapitän des BVB äußerst sorglos. Sein Laissez-faire wurde zur perfekten Vorlage für Alexis Claude-Maurice, der diese mit einem wunderbaren Schuss veredelte. Der kleine Stürmer spielte zum ersten Mal in der Fußball-Bundesliga von Beginn an. Es gab schlechtere Anlässe für eine solche Gala. Denn er hatte zum zweiten Mal an diesem Abend getroffen. Es stand nun 2:1 für die Gastgeber. Dabei blieb es auch. Und die Dortmunder verabschieden sich vorerst mal von allen höheren Ambitionen, die sie in dieser Saison doch verfolgen wollten. Die Gegenwart heißt Mittelmaß statt Meisterkandidat.

Erst das Spiel bei Real Madrid, als die mögliche Sensation in der Champions League nach der Pause zum Debakel wurde (aus einem 2:0 wurde noch ein 2:5), und nun das. In der Fremde sind die Schwarzgelben schüchtern wie eine Hauskatze beim ersten Freigang. Tapsige Schritte, unsichere Blicke (erste Hälfte in Madrid ausgeklammert). Nun kann man sich bei Katzen sicher sein, dass sie ihren Weg gehen. Das kleine Raubtier bricht eben immer raus. Aber wer mag bei den Borussen derzeit darauf wetten, dass sich nicht nur im heimischen Stadion eine Macht bleiben, sondern ihren Beutezug auch erfolgreich auf anderen Plätzen fortsetzen? 12 der 13 eingesammelten Punkte gab's in Dortmund. Und selbst die waren bislang eher wackelig zustande gekommen, gegen den VfL Bochum, gegen den FC St. Pauli. Die Auswärtsbilanz ist dagegen uneingeschränkt eine Katastrophe.

"Das ist absoluter Wahnsinn"

FC Augsburg - Borussia Dortmund 2:1 (1:1)

Tore: 0:1 Malen (4.), 1:1 Claude-Maurice (25.), 2:1 Claude-Maurice (50.)
Augsburg: Labrovic - Matsima (82. Bauer), Gouweleeuw, Schlotterbeck - Wolf (75. Koudossou), Jakic, Giannoulis - Onyeka (82. Maier), Rexhbecaj - Tietz (75. Essende), Claude-Maurice (82. Kabadayi). - Trainer: Thorup
Dortmund: Kobel - Ryerson (68. Kabar), Anton (46. Can), Schlotterbeck, Bensebaini - Sabitzer (46. Groß), Felix Nmecha (63. Beier) - Malen (88. Campbell), Brandt, Gittens - Guirassy. - Trainer: Sahin
Schiedsrichter: Wolfgang Haslberger (St. Wolfgang)
Gelb-Rote Karte: Kabar (Dortmund) wegen wiederholten Foulspiels (90.+9)
Gelbe Karten: Giannoulis (2), Tietz (2), Gouweleeuw (4) - Bensebaini (4)
Zuschauer: 30.660 (ausverkauft)

Und so irrt der BVB durch eine frühe große Krise in der Post-Edin-Terzic-Zeit, der sich als Vizechampion (okay, den Titel gibt's nicht) in der Königsklasse verabschiedet hatte. Emotional arg mitgenommen von einer zermürbenden Zeit, in der sich immer wieder dem Vorwurf ausgesetzt sah, seinen Spielplan nicht umgesetzt zu bekommen. Ein paar, die es böse mit ihm meinten, fanden gar, dass er gar keinen Spielplan habe. Nuri Şahin, sein ungeduldiger Co-Trainer, übernahm bereitwillig, wünschte sich Zeit und verbreitete Hoffnung auf neue Großtaten. Die gibt es unter seiner Regie bislang aber nur selten. Die surreale Europapokal-Gala gegen Celtic Glasgow (7:1) steht als uniques Spaßereignis über 90 Minuten. Der zweiten Lust-Halbzeit gegen Bochum standen 30 schockierende Minuten am Anfang gegenüber. Das Debakel (ein 0:3 war nah) war näher als die große Show.

Für die aber waren die Dortmunder in diesem Sommer ausgerüstet worden. Als neue Attraktionen wurden unter anderem Superstürmer Serhou Guirassy, Spielmacher Pascal Groß und DFB-Hoffnungsträger Maxi Beier gekauft. 80 Millionen gab der Klub aus. Das war eine Kampfansage. Der BVB wollte die aus dem Gleichgewicht geratenen Machtverhältnisse in der Liga wieder gerade rücken. Devot formuliert: Es sollte nach der ruckeligen vergangenen Runde mindestens wieder in die Top drei gehen - und auf nicht Platz sieben nach acht Spieltagen. Denn auch in Dortmund weiß man, was das bedeutet: Krisen-Gerede! Und natürlich ganz besonders laut und emotional um Sahin. Dem wurden unter der Woche seine defensiven Wechsel gegen Real tüchtig um die Ohren gepfeffert.

Und es wird nun nicht leiser werden. Wie könnte es auch? Seine Forderung nach einem Auswärtssieg wurden schließlich aufs Übelste konterkariert. Und war es die Spezialeinheit "defensive Aufgaben", die ihren Dienst nicht tat. Wie schon bei den Königlichen in Madrid. "Das ist absoluter Wahnsinn, wie wir hier Gegentore kassieren, so viel Aufwand betreiben und am Ende mit leeren Händen dastehen", klagte Sahin. "Wir begleiten nur beim 1:1, statt zuzustechen. Wie wir da verteidigen, das geht nicht." Nationalspieler Nico Schlotterbeck war in der Szene der Angesprochene. Später war's dann Can, der in dieser Saison schon reichlich Kritik zu hören bekam.

Beim Gang zur Kurve hagelte es laute Pfiffe. Und die Dortmunder Verantwortlichen warfen sich in den Staub: "Wir müssen der Situation standhalten und gemeinsam da durchgehen" mahnte Sahin. "Wir sind dran! Wir sind die, die liefern müssen - nur wir! Wir sind gerade sehr verkopft, das muss runterwandern, damit wir mit dem Bauch Fußball spielen." Aber passt es überhaupt (noch) zusammen. Sahin sagt: "Ich habe nicht das Gefühl, dass die Mannschaft mich hängen lässt. Natürlich erwartet man was, wenn man in Führung geht, es war alles gut, es ging alles auf. Aber darum, dass die Jungs mich im Stich lassen, darum geht es ja gar nicht." Das bezweifelt zumindest Sky-Experte Dietmar Hamann: "Ich habe das Gefühl, dass jetzt nach zehn Spielen die Situation eingetreten ist, dass viele Spieler diesen Trainer nicht mehr wollen."

Wer sind eigentlich Mané, Lührs und Wätjen?

In Dortmund ist die Stimmung umgeschlagen. Sahin ist längst nicht mehr der Hoffnungsträger. In den hiesigen Foren ist man bereits bereit, ihm den Weg zum Ausgang zu weisen. Die Tür dort aber bleibt vorerst verschlossen. Die Klubführung, namentlich Sportdirektor Sebastian Kehl, ist (noch) längst nicht bereit, den Dortmunder Jungen Sahin aufzugeben. Sein "vollstes Vertrauen" in den unerfahrenen Trainer sei unerschüttert, bekannte Kehl: "Es gibt keine Alternative dazu, weiter hart zu arbeiten. Wir marschieren gemeinsam weiter." Und dann lenkte er den Druck um: "Die Verantwortlichkeiten liegen am Ende schon auf dem Platz." Die Spieler müssen liefern?

Aber welche eigentlich? Almugera Kabar (der flog in der Nachspielzeit noch vom Platz)? Filippo Calixte Mané? Yannik Lührs? Kjell Wätjen? Nein, liebe Leser, sind werden an dieser Stelle nicht veräppelt. Diese Spieler waren in Augsburg dabei, Kabar wurde eingewechselt, die anderen waren als Optionen vorgesehen. Aber warum? Weil zu viele Stars verletzt sind (unter anderem Karim Adeyemi und Yan Couto) und auf den Haufen der schlechten Nachrichten wurde in dieser Woche noch eine ganze LKW-Ladung draufgekippt. In Madrid verletzte sich Niklas Süle, in Augsburg erwischte es dann Marcel Sabitzer, Waldemar Anton und Julian Ryerson. Sie alle mussten raus und werden im Pokalspiel nächste Woche gegen den VfL Wolfsburg wahrscheinlich nicht mitmachen können.

"Ich vertraue dem Trainer hundertprozentig"

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Die Not steigt, der Druck auch. Und so kündigte Kehl eine weitere kritische Aufarbeitung der aktuellen Situation an. "Wir laufen in der Liga hinterher", sagte er und klang sehr beunruhigt. Derweil sparten die Protagonisten nicht mit kritischen Tönen am eigenen Tun. "Es gibt so viele Warum- und Wieso-Fragen, ich kann sie nicht beantworten", sagte etwa Julian Brandt und wirkte reichlich fassungslos: "Das habe ich noch nie erlebt, seit ich hier bin." Man müsse wieder "von ganz vorne anfangen", bei den "Basics. Das ist ein vernichtendes Urteil über die Arbeit der vergangenen Wochen. Nach einem Rückstand sei einfach "jeder mit sich selbst beschäftigt." Aber es müsste ganz anders sein: "Ein Tau ist zusammen leichter zu ziehen als alleine. Wir müssten eigentlich synchron schwimmen, aber das kriegen wir nicht hin. Es ist alles vogelwild und verwirrend auf dem Platz."

Dass gerade deshalb Führung gefragt sei, weiß Brandt. "Aber wie führt man?", fragte er nachdenklich in die Runde. "Tritt man jemanden um?" Spaß, ergänzte der Offensivspieler, mache das so zumindest keinen. Vor allem die Diskrepanz zwischen mächtig zuhause und machtlos auswärts bereitet den Dortmundern Kopfzerbrechen. "Wenn wir wüssten, woran es liegt, würden wir es ändern", versicherte Schlotterbeck. Zweifel am Trainer gibt es aber offenbar nicht. Auf Nachfragen zu Sahin antwortete Brandt: "Ich vertraue dem Trainer hundertprozentig."

Quelle: ntv.de

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