Belgrad offenbart Transferfehler Pizarro soll Kölner Sturmkrampf lösen
29.09.2017, 13:53 Uhr
Claudio Pizarro im Trikot des 1. FC Köln - vor wenigen Jahren hätte Jörg Schmadtke dafür Audienzen geben können. Nun versucht der Manager des Fußball-Bundesligisten lediglich, die sommerliche Einkaufsenttäuschung zu reparieren.
Als die Schlussphase im Stadion zu Müngersdorf anbrach, wurde das Elend auch über die Lautsprecher deutlich: "Ihr schadet damit anderen, lasst uns ein Fußballfest feiern." Es brannte ein roter Bengalo in der Südkurve, nicht zum ersten Mal während dieses Spiels. Immer wieder ertönte auch der serbische Kollege, der wohl eine ähnliche Mahnung an die Gäste von Roter Stern Belgrad aussprach. Aber es lag nicht an den Fans, dass es am Donnerstag kein Fest auf dem Rasen wurde an diesem ersten Kölner Europapokalheimspielabend seit 25 Jahren.
Die Zuschauer blieben beim 0:1 erstaunlich geduldig: Als offenbar wurde, dass die von Trainer Peter Stöger erdachte Überraschungsformation ein Desaster war; als die Serben nach einer halben Stunde zum Schuss in den Winkel eingeladen wurden; sogar, als es mit dem verdienten Rückstand in die Pause ging. Das Problem der Kölner sind nicht die Fans. Das Problem ist, dass der Tabellenletzte der Bundesliga kaum Tore erzielt - zwei in bislang acht Spielen.
Nun soll Claudio Pizarro helfen, dass das besser wird. Der Stürmer hat einen Arbeitsvertrag unterschrieben, der ein Jahr gelten soll. Stöger sagte, der Peruaner sei "ein Stürmer mit einem starken Torabschluss und eine Persönlichkeit, die unserer Mannschaft gut tut". Pizarro, der die Rückennummer 39 bekommt, gab zu Protokoll: "Der FC ist ein großer Traditionsverein, dem ich mit meiner Qualität und meiner Erfahrung in der aktuellen Situation weiterhelfen möchte."
Verzweiflungstat oder Transfercoup?
Die Kölner holen also den in Bremen nicht weiterbeschäftigten Altmeister aus der Rente - vor ein paar Jahren noch hätte Manager Jörg Schmadtke in diesem Fall Audienzen am Geißbockheim abhalten müssen, um dankbare Pilger in Rot-Weiß zu empfangen. Das erste Spiel nach der Arbeitslosigkeit für seinen neuen Verein wäre Pizarros letztes als 38-Jähriger: Am Sonntag kommt RB Leipzig in den Kölner Westen, am Dienstag hat der mit 191 Treffern erfolgreichste ausländische Torschütze der Bundesliga-Historie Geburtstag. Seine Verpflichtung mutet wie Verzweiflung an und ist ein Zeichen des Eingeständnisses. Schmadtke setzte im Sommer ausschließlich auf Perspektivspieler, sie haben die Erwartungen nicht erfüllen können.
Wären die Kölner nicht von der besten Platzierung seit Jahrzehnten verblendet gewesen, der Klub hätte sich viel früher kritische Fragen anhören müssen. Auf der anderen Seite hat(te) das Vertrauen Gründe: Kölns Ex-Stürmer Anthony Ujah war eine Wette, sie wurde mit Toren ausgezahlt. Anthony Modeste kam für ihn, war als Risiko eingestuft worden - er brachte die Europaliga-Qualifikation, und ging dann im Tausch gegen viel Geld. Und Jhon Córdoba? Kam, erzielte einen Treffer in dieser Saison, den Kunstschuss beim FC Arsenal, und brachte seither nichts Zählbares mehr.
Hinten sicher stehen und vorne hilft Anthony Modeste, dies war das Erfolgsrezept der vergangenen Saison. Mit diesen Gewissheiten und der Tatsache, dass vorne auch in schlechten Spielen immer mal ein Tor aus dem gefühlten Nichts fällt, agierte die Mannschaft mit einem nahezu ständigen Selbstverständnis für die eigenen Fähigkeiten. In der aktuellen Saison trat Stögers Team dann anders und gemäß ihrer letztjährigen Platzierung auf: Nicht mehr hinten reinstellen und spekulieren, sondern Ballbesitz sichern und mit kontrollierter Offensive zum Erfolg kommen. Doch Modeste ist nicht mehr da - und damit die Torgefahr weg. Erzielt der Gegner einen Treffer, kann ihn niemand ausgleichen. Córdoba ist ein Bulle, aber nach seinen fünf Toren für Mainz auch keine Torgarantie. Dazu kommt die wacklige Defensive.
Der Riesenfehler des Managements
Keinen weiteren Stürmer zu holen war ein Fehler des Managements. Mit dem gebürtigen Kölner Mark Uth war sich der FC im Sommer bereits einig, aber Hoffenheim wollte ihn nicht abgeben. Auch das Mittelfeld blieb nahezu identisch. Die 35 Modeste-Millionen aus China wurden ausgegeben für: Cordoba, Sturm, 17 Millionen Euro; Jannes Horn, linker Verteidiger, 7 Millionen Euro; Jorge Meré, Innenverteidiger, 7 Millionen; Joao Queirós, Innenverteidiger, 3 Millionen; dazu kamen der ablösefreie 19-jährige Tim Handwerker (ebenfalls linker Verteidiger), sowie der 17-jährige zentrale Mittelfeldspieler Nikolas Nartey aus der eigenen Jugend.
In der zweiten Halbzeit gegen Belgrad war zu beobachten, welches Potenzial im Team steckt, wenn Schlüsselspieler die Partie an sich reißen. Guirassy und Meré blieben draußen, Leonardo Bittencourt und Yuya Osako brachten den offensiven Überraschungsmoment zurück ins Kölner Spiel. Durch den Regen unter Flutlicht zeigten aber auch die anderen Kölner auf dem Rasen ein völlig anderes Gesicht. Der FC war plötzlich bissig, warf sich in die Gegenspieler, kontrollierte das Geschehen und lief Angriff um Angriff auf den guten serbischen Torwart.
Als Bittencourt die ersten beiden Male bis zur Grundlinie vor der Heimtribüne durchkam, forderte er das Publikum zur Unterstützung auf. Die folgte; auch, weil es auf dem Platz wild wurde: zweimal Pfosten von Jojic, einmal von Bittencourt, einmal Latte, mehrere verhinderte Großchancen. Einzig ein abgezockter Stürmer im Strafraum fehlte. Nach dem Schlusspfiff kam Applaus von den Rängen, weil es eben Europapokal war, aber ebenso wegen des Prädikats: verloren, aber stets sehr bemüht.
Manager Schmadtke hat bereits eingestanden, dass er nicht das glücklichste Händchen bei seinen Transferentscheidungen im Sommer hatte. Pizarro, eine Legende bei Werder Bremen und verdienter Stürmer beim FC Bayern, soll die Abschlussschwäche des FC nun abmildern. Nur weil er vertragslos war, ist der Altmeister überhaupt eine Option. Die Frage bleibt, warum ihn kein anderer Verein wollte.
In der Winterpause, wenn Spielerwechsel von anderen Klubs wieder erlaubt sind, wird Köln nachlegen müssen, um einen Absturz aus internationalen Sphären in die deutsche Zweitligaprovinz zu verhindern. Für Fußballfeste auf europäischem Rasen ist es dann allerdings zu spät. Das letzte Gruppenspiel des Wettbewerbs findet am 7. Dezember in Belgrad statt. Vermutlich mit Bengalos auf den Tribünen.
Quelle: ntv.de