Fußball

Eichin und der Osterdeich-Klüngel Werder schließt letzte Lücke in Wagenburg

(Foto: imago/nph)

Es ist der viel gepriesene Zusammenhalt der Werder-Familie, der Bremen letztlich den Klassenerhalt in der Fußball-Bundesliga sichert. Und der geht über alles. Das muss nun auch Sportchef Thomas Eichin erfahren.

Es ist der 14. Mai im Bremer Weserstadion. Es läuft die 88. Minute. In einem kollektiven Kraftakt drücken die Spieler des SV Werder Bremen den Ball über die Linie. Das Tor bedeutet den Klassenerhalt. Eine Stadt gibt sich endgültig der Ekstase hin. Es ist keine neue Episode für die Vereinschronik - es ist ein ganzes Kapitel. Erstmals sei wohl ein Klassenerhalt auf den Zuschauerrängen errungen worden, schreibt später die "Süddeutsche Zeitung". Es ist keine Versöhnung von Verein und Fans - es ist eine Verschmelzung. War die bedingungslose Unterstützung der Vorwochen ein Antrag, ist dieser Samstag Hochzeit und Hochzeitsnacht in einem.

Und der Verein liefert anschließend im Tagesrhythmus weitere Schlagzeilen fürs Herz: Torjäger Claudio Pizarro verlängert um ein Jahr. Der seit Monaten verletzte Mittelfeldspieler Philipp Bargfrede zieht einen Tag später nach. Doch es gibt einen Mahner: Sportgeschäftsführer Thomas Eichin stöhnte praktisch noch mit dem Abpfiff, dass er einen solch nervenaufreibenden Abstiegskampf nicht noch einmal erleben wolle. In den kommenden Tagen soll die Saison analysiert werden. Was Eichin meint: Der SV Werder Bremen hat ein Trainerproblem. Und zwar schon länger.

Skripnik ist seit 20 Jahren da - Eichin seit drei

Doch auch Eichin hat ein Problem: Der 46-jährige Übungsleiter Skripnik ist seit mehr als 20 Jahren Vereinsmitglied und ehemaliger Spieler. Sein Spitzname lautete früher "Beckham der Ukraine". Eichin ist hingegen im dritten Jahr in Bremen und hat nie für den Klub auf dem Platz gestanden. In Bremen ist so etwas von Bedeutung. Ein Blick auf das sonstige Personal im Verein macht dies deutlich. Skripniks Co-Trainer Torsten Fings spielte jahrelang für den Verein. Aufsichtsratschef Marco Bode lief als Profi nie in einem anderen Verein auf und war bis vor wenigen Wochen Rekordtorschütze an der Weser. Die U-19 wird vom langjährigen Aktiven Mirko Votava betreut. Vereinslegende und Europameister Dieter Eilts leitet den Nachwuchsbereich. Im Hintergrund, so heißt es immer wieder, ziehen der ewige Manager Willi Lemke und Ehrenpräsident Klaus-Dieter Fischer die Fäden.

Dem 49-jährigen Eichin indes fehlt der Stallgeruch. Er trat im Februar 2013 die Nachfolge des nach Wolfsburg abgewanderten Klaus Allofs an - noch so eine Vereinsikone. Eichin gab sich von Beginn an als harter Sanierer - ohne Gefühlsduselei. Nicht wenige waren damals froh, dass der Verein sich öffnet und vom Klüngel abrückt. In einer seiner ersten Amtshandlungen bereitete er nach Jahren des schleichenden Niedergangs die Trennung vom bis dahin unantastbaren Double-Trainer Thomas Schaaf vor. Offiziell geht der knorrige Übungsleiter, der seit Jahrzehnten im Verein ist, letztlich freiwillig. Der frühere Gladbacher Eichin - so scheint es - nimmt dem Verein eine unangenehme, aber nötige Aufgabe ab. Nur Monate zuvor hatte Lemke im Wissen um Allofs Demission noch laut über einen unbefristeten Vertrag für die Identifikationsfigur Schaaf nachgedacht.

Trainer und Finanzen - Eichin hat nur Baustellen

Eichin installiert als Nachfolger den Trainer Robin Dutt. Es wird sein erster großer Irrtum. Diesen will er im Oktober 2014 korrigieren. Dem Vernehmen nach mit Bruno Labbadia. Der Aufsichtsrat um Bode drückt Skripnik durch - bis dahin U23-Coach. In Bremen träumen sie mit der Personalie von einer neuen Ära wie unter Schaaf. Tatsächlich aber bleibt der Verein Dauergast in der Abstiegszone.

Parallel muss Eichin die Finanzen sanieren. Bei den Transfers halten sich kluge Verpflichtungen und teure Fehlgriffe in etwa die Waage. Nach Jahren wird es nach dieser Saison mit teils tiefroten Zahlen wieder einen kleinen Gewinn geben. Stadionumbau, Fehlkäufe und ein teurer Kader haben das Festgeldkonto jedoch nahezu aufgefressen. Erneut musste Eichin aufräumen.

Ein Stoiker: Trainer Vikotr Skripnik.

Ein Stoiker: Trainer Vikotr Skripnik.

(Foto: dpa)

Schlimmer wiegt jedoch, dass an der erfolgsverwöhnten Weser die sportliche Situation unbefriedigend bleibt. Zudem ist der Ukrainer Skripnik spröde, sein Deutsch holprig. Was anfangs als liebenswerte Marotte sogar zu einem lokal erfolgreichen Rap-Song verarbeitet wird, legen ihm Fans und Beobachter zunehmend negativ aus. Gleiches gilt für seine stoische Ruhe am Spielfeldrand. Egal, ob Sieg oder Niederlage - der 46-Jährige malträtiert stoisch seine Kaugummis. Seine Hände sind zumeist tief in den Hosentaschen vergraben. Skripnik wirkt lethargisch.

Abseits des Platzes aber reagiert der Ukrainer längst dünnhäutig und zunehmend aggressiv. Berichte über mehrere Rücktrittsangebote machen die Runde. Der Verein aber lässt ihn nicht. Nach der Niederlage gegen Augsburg verliert dann Eichin die Fassung und schießt den Trainer verbal waidwund. Der Rauswurf scheint nur noch eine Frage von Stunden. Die Stimmung ist auf dem Tiefpunkt. Es droht der Bruch zwischen Verein auf der einen und Fans und Öffentlichkeit auf der anderen Seite. Es wäre der Super-GAU.

Die alte Garde tritt auf

Doch dann die Wende: Die Werder-Familie besinnt sich. Skripnik bleibt Trainer - wahrscheinlich gegen Eichins Willen. Der muss zurückrudern. Für den Trainer haben angeblich auch die Spieler interveniert. Zudem - und das ist ebenso wichtig an der Weser - erfolgt der Schulterschluss mit den Fans. Mit ihrer beispiellosen Unterstützung holt der Verein aus den folgenden drei Heimspielen neun Punkte. Hinzu kommt ein Zähler aus der Partie in Köln. Am Ende steht der frenetisch gefeierte Klassenerhalt.

Doch die lokalen Medien scheren aus dem Jubel aus: Es mehren sich Berichte über einen Bruch von Teilen der Mannschaft mit dem Trainer. Von einer Machtübernahme durch Teile des Teams ist die Rede. Training und Taktik? Angeblich längst nicht mehr Sache des Übungsleiters. Eichin vermeidet in dieser emotionalen Zeit ein Bekenntnis zu Skripnik - und steht längst auf verlorenem Posten.

Sein Dilemma: Er kann den Trainer nicht entlassen. Es braucht angeblich eine Mehrheit im Aufsichtsrat. Bei einer Patt-Situation habe Chef Bode doppeltes Stimmrecht, heißt es. Und die Frontlinien sind erst nach dem Wochenende nochmals nachgezogen worden. Ehrenpräsident Fischer fragt nach dem Klassenerhalt, ob denn der Trainer immer ausreichend vom Verein unterstützt worden sei. Es ist eine Breitseite gegen Eichin. Aufsichtsratschef Bode streichelt ebenfalls die grün-weiße Seele.

Nun schmeißt Eichin das Handtuch. Der erfolgshungrige und zupackende frühere Gladbacher gibt auf. Und der Verein? Beruft Frank Baumann - Kapitän der Double-Mannschaft. Ebenso wie Eilts und Bode ist er Ehrenspielführer des Vereins. Nach seiner aktiven Zeit arbeitete er übrigens lange als Assistent von Eichin - bevor er überraschend eine Auszeit nahm. Damals war übrigens hinter vorgehaltener Hand von Unstimmigkeiten zwischen ihm und Eichin die Rede. Nun hat ihn die grün-weiße Familie wieder zurück in ihren Schoß geholt. "This ist Osterdeich", heißt es seit dem 6:2-Geniestreich gegen Stuttgart. Alles andere aber auch.

Quelle: ntv.de

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