DFL-Streit: Watzke fleht Fans an Wie Kind den deutschen Fußball verrückt macht
16.02.2024, 18:52 Uhr
Die Fans fordern Antworten von Martin Kind.
(Foto: picture alliance / Selim Sudheimer)
Die DFL steckt in einer Sackgasse: Immer wieder werden Spiele in den Fußball-Bundesligen wegen der Fan-Proteste unterbrochen. Hannover 96 erklärt an, dass die Abstimmung über den Investoren mit Absicht geheim gewesen sei. Und Martin Kind? Der lehnt die Debatten ab.
Es klingt furchtbar technisch: Der eingetragene Verein Hannover 96 hatte den Geschäftsführer der ausgegliederten Profi-Abteilung, Martin Kind, angewiesen, gegen den Investoreneinstieg bei der Deutschen Fußball-Liga (DFL) zu stimmen. Und doch ist es eine zentrale Frage bei den bundesweiten Fan-Protesten in den deutschen Stadien: Hat sich der Hörgeräte-Milliardär an die Weisung seines Vereins gebunden gefühlt? Hat er auch wirklich mit "Nein" gestimmt? Oder, worauf die Indizien deuten, doch mit "Ja"? Das wollte der NDR am Donnerstagnachmittag von ihm wissen.
Kind holt lange aus. Der 79-Jährige spricht über Formalitäten, etwa dass sich im Vorfeld keiner der 36 Gesellschafter gegen die geheime Abstimmung gewehrt habe. Und er spricht darüber, dass er irritiert gewesen sei, dass das Stimmverhalten anderer Klubs öffentlich wurde. "Geheim ist geheim", sagte Kind. "Wie ich gestimmt habe, das weiß nur ich. Alles andere ist Spekulation. Deshalb lehne ich eine Diskussion zu diesem Thema ab." Über eine Wiederholung müsse die DFL entscheiden, aber er sieht keinen Grund dafür. "Nach meiner Einschätzung ist es so, dass alles korrekt gelaufen ist."
Vor allem bleibt Kind aber eines: stur. Für ihn hat sich das Thema erledigt, das seit jener Abstimmung Mitte Dezember omnipräsent ist. Von den 36 Bundesliga-Klubs, die in der DFL organisiert sind, erhielt der Deal genau die notwendige zwei Zweidrittel-Mehrheit. Damit war Kinds Stimme also entscheidend - das rüttelt an der Glaubwürdigkeit der gesamten Abstimmung. Hinzu kommt: Der Mutterverein Hannover 96 e.V. hat die DFL offenbar sogar vorgewarnt, dass Kind sich nicht an die Weisung halten würde. In einer Erklärung hatten sie schwere Vorwürfe erhoben - etwa, dass die Abstimmung mit Absicht geheim war. Um so die Chancen zu erhöhen, dass es ein "Ja" für den gewünschten Investoreneinstieg gibt.
Nicht nur Geld
Der Konflikt beim Zweitligisten Hannover 96 ist ein Beispiel dafür, warum seit Wochen in deutschen Fußballstadien mit Tennisbällen und Süßigkeiten geworfen wird. Warum Schmähgesänge angestimmt werden. Warum selbst Fans von Rasenballsport Leipzig den modernen Fußball kritisieren. Warum Martin Kinds Konterfei in einem Fadenkreuz erscheint. Warum immer wieder Partien am Rande des Abbruchs stehen.
Schon lange geht es nicht mehr nur um den eigentlichen Deal, auf den sich die 36 Klubs in der geheimen Abstimmung verständigten. Der sah übrigens so aus: Der Investor liefert sofort etwa eine Milliarde Euro, im Gegenzug erhält er acht Prozent aus den Vermarktungsrechten der kommenden 20 Jahre. Das Geld soll nicht verheizt werden, sondern in die Digitalisierung und Internationalisierung fließen.
Die Hoffnung der DFL ist, dass dadurch auch die Vermarktungserlöse langfristig steigen. Die Fans sorgen sich, dass dadurch die Spieltage zerfleddert werden, damit mehr Spiele im TV laufen können. Sie sorgen sich auch, dass ihre Klubs plötzlich mit Geld aus Saudi-Arabien finanziert werden. Sie fürchten, dass ein Investor nicht nur sein Geld gibt, sondern auch mitreden will.
Das Herz des deutschen Fußballs
Bei all diesen Fragen geht es um den Kern des deutschen Profifußballs und warum die DFL in einem tiefen Dilemma steckt. Ganz unromantisch ist er auf Seite neun der DFL-Statuten versteckt und wird dort nicht mal beim geläufigen Namen genannt: die 50+1-Regel. Egal, wie groß der Klub und wie mächtig der Investor: Am Ende haben die Mitglieder das Sagen. Zwangsläufig führt das zu Konflikten, denn überspitzt gesagt hat natürlich die Kegelabteilung andere Interessen als die ausgegliederte Profifußball-Aktiengesellschaft.
DFB-Präsident Bernd Neuendorf nannte die Regel die Garantie dafür, "dass die Bundesliga nicht zu einem Spielball der Investoren wird". Sie ist für ihn "der Garant für die Akzeptanz unseres Sports in der Gesellschaft". Und darum geht es auch bei der Frage, warum es wichtig ist, wie Martin Kind abgestimmt hat. Im Sinne der 50+1-Regel hätte er mit "Nein" stimmen müssen.
Nur, wie raus aus dem Schlamassel? Hans-Joachim Watzke, DFL-Aufsichtsratschef, appellierte an die Kurven. "Ich bitte die Fan-Szenen an dieser Stelle, den Eskalationspunkt nicht weiterzutreiben! Unser Gesprächsangebot steht, wir alle sind natürlich bereit, diese Gespräche zu führen", sagte der 64-Jährige im "Bild"-Interview: "Wir müssen uns alle unserer Verantwortung für den deutschen Fußball bewusst sein. Bringt man ein Spiel zum Abbruch, schadet man massiv dem eigenen Verein."
"Sie haben unsere roten Linien akzeptiert"
Watzke ist Befürworter des Deals, er sorgt sich um die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Klubs. Kritiker entgegnen, dass die anderen Ligen schon lange enteilt seien und eine Milliarde Euro dafür ohnehin nicht ausreiche, um etwa England einzuholen. Zudem argumentieren sie, dass es möglicherweise die bunten und lauten Fan-Kurven sind, die den deutschen Fußball vom Fußball in anderen Nationen unterscheidet.
In dem Interview versuchte Watzke auch, etwaige Sorgen zu zerstreuen. "Über allem steht: Wir dürfen und werden uns an keinen Partner verkaufen!", erklärte er. Einer der beiden möglichen Investoren, Blackstone, hatte sich bereits unter der Woche aus dem Verfahren zurückgezogen. Offiziell habe es "verschiedene Gründe" gegeben. Berichten zufolge sollen auch die vielfältigen und vehementen Proteste der Fans eine Rolle gespielt haben.
Verblieben ist damit nur noch ein Interessent. "CVC weiß, dass es bei uns null Einfluss geben wird. Null! Es wird keine neuen Anstoßzeiten und nichts dergleichen mit uns geben!", sagte Watzke. Ihre Aufgabe sei es, dass Fans auf der ganzen Welt erreicht würden. "Sie haben alle unsere roten Linien akzeptiert und wollen nicht im Ansatz unseren Fußball reformieren - dafür sind wir selbst zuständig!"
Die Frage ist, wie die DFL nun aus dieser Sackgasse wieder rauskommt. Täglich steigt die Zahl der Klubs, die mit einer Neuabstimmung liebäugeln. Der 1. FC Köln hat nun auch den Antrag angekündigt, erneut über den Investoreneinstieg abzustimmen. Bislang schloss DFL-Präsidiumsmitglied Axel Hellmann das aus. Watzke deutete zumindest an, dass sollte das Gefühl schwinden, es gebe eine Mehrheit unter den Klubs, "werden wir unser Votum sicher nicht gegen deren Willen geben". Dann entstehe eine neue Situation und es wäre auch eine neuerliche Abstimmung möglich.
Quelle: ntv.de