Video gibt Rätsel auf Jüngster Schoigu-Auftritt nur ein Fake?
28.03.2022, 18:55 Uhr
Wenn das Video echt ist, hatten Shoigu und sein Führungsstab daran sichtbar kein Vergnügen.
(Foto: Russisches Verteidigungsministerium)
Nachdem Sergej Schoigu zwei Wochen von der Bildfläche verschwunden ist und es heißt, er habe einen Herzinfarkt erlitten, veröffentlicht der Kreml ein Video, in dem Russlands Verteidigungsminister eine Sitzung leitet. Doch Details des Clips lassen Zweifel an dessen Echtheit aufkommen. Zu Recht?
Am Wochenende hat die Putin-Regierung ein Video veröffentlicht, das Verteidigungsminister Sergej Schoigu bei einer Sitzung mit seinem Führungsstab zeigen soll. Das wäre grundsätzlich nicht weiter erwähnenswert, doch Shoigu war seit dem 11. März nicht mehr in der Öffentlichkeit gesehen worden.
Gerüchte, er sei wie einige andere Männer aus Putins Machtapparat einer "Säuberung" zum Opfer gefallen, machten die Runde. Aus der ukrainischen Regierung hieß es, der 66-Jährige habe einen Herzinfarkt erlitten, als er von Wladimir Putin zusammengestaucht worden sei. Also alles nur Falschmeldungen? Nicht unbedingt, einige Details des Videos lassen an dessen Echtheit beziehungsweise Schoigus Machtposition zweifeln.
Der Sohn eines tuwinischen Vaters und einer russischen Mutter galt als eines der wenigen Mitglieder der russischen Regierung, denen nach Beginn der Ukraine-Invasion noch ein gewisser Einfluss auf Präsident Putin eingeräumt wurde. Schoigu, der schon unter Boris Jelzin Karriere machte, ist seit 2012 im Amt und wurde von Putin unter anderem als Modernisierer der Armee und Architekt der Krim-Annexion geschätzt. Doch nachdem klar wurde, dass das russische Militär offensichtlich nicht die propagierte Hightech-Armee ist und der Einmarsch in die Ukraine zum Desaster zu werden droht, könnte Schoigu in Ungnade gefallen sein.
Es wäre wohl nicht der erste Schoigu-Fake des Kreml
Möglicherweise der erste Versuch des Kreml, die seltsame Abwesenheit des Verteidigungsministers zu kaschieren, war am vergangenen Donnerstag eine Videokonferenz, die Putin mit seinem Sicherheitsrat hielt. Auf dem Display des Präsidenten taucht als Teilnehmer oben links nach einem anfänglichen Flackern auch der Verteidigungsminister auf. Doch nicht nur der Aussetzer von Schoigus Bild war verdächtig. So stellte unter anderem der Journalist und Russland-Beobachter Kevin Rothrock fest, dass vom Hintergrund bis zu Anzug und Krawatte alles exakt so aussah wie bei Schoigus Auftritt am 11. März. In Großaufnahme und mit Ton wurde der Verteidigungsminister nicht gezeigt.
Am Samstag folgte dann mit dem Video der von Schoigu geleiteten Sitzung des Verteidigungsministeriums ein offenbar plausibleres Lebenszeichen des Ministers. Doch wenn man die Aufnahme näher betrachtet, wirkt die Veranstaltung selbst für russische Verhältnisse sehr merkwürdig und einige Details sind sogar mögliche Indizien für eine Fälschung.
Inhalt der Rede spricht für Echtheit
Das, was Schoigu sagt, könnte er größtenteils auch schon zwei Wochen früher gesagt haben. Ein Abschnitt scheint allerdings zu belegen, dass die Rede tatsächlich erst vor wenigen Tagen gehalten wurde. Das russische Verteidigungsministerium hat auf Facebook eine Zusammenfassung auf Englisch gepostet. Darin heißt es: "Darüber hinaus wurden Änderungen des Gesetzes 'über die Veteranen' gebilligt, wonach die Teilnehmer an einer besonderen Militäroperation in der Ukraine als Kampfveteranen anerkannt werden." Ein entsprechender Entwurf wurde zwar bereits am 1. März eingebracht, das Gesetz wurde allerdings erst am vergangenen Mittwoch verabschiedet.
Es könnte theoretisch auch sein, dass ihm die Worte per Deepfake in den Mund gelegt wurden. Möglicherweise hat er die Rede auch an einem anderen Ort aufgenommen und wurde nachträglich in das Video hineinmontiert. Sein Führungsstab hätte dann im Sitzungszimmer vor einem leeren Sessel gesessen.
Warum starren alle vor sich hin?
Dafür spricht, dass die meisten Anwesenden nie in Richtung Schoigus, sondern mit starren Gesichtern auf den Tisch oder auf Akten blicken. Zu ihnen gehört auch Stabschef Waleri Gerasimow, der zur Linken des Verteidigungsministers sitzt. Er wurde wie Schoigu 2012 in sein aktuelles Amt berufen, gilt wie er als Architekt der Krim-Annexion und genoss bisher wie der Verteidigungsminister das Vertrauen Putins. Und Gerasimow war ebenfalls seit dem 11. März von der Bildfläche verschwunden.
Kein Indiz für einen Fake dürften die Uhren von Schoigu und Teilnehmern der Sitzung darstellen. Die von einigen Twitter-Nutzern als Beweis gezeigten Vergrößerungen sind sehr verpixelt, weswegen der Sekundenzeiger mit Stunden- oder Minutenzeiger verwechselt werden kann. Wahrscheinlich zeigen die Uhren die gleiche Zeit an.
Verdächtige Pixel
Apropos verpixelt: Schon verdächtiger erscheint die Tatsache, dass Schoigu in dem Video an Uniform oder Haaren mehr Artefakte hat als die Personen neben ihm. Weil es nicht das gleiche Ausgangsmaterial ist? Vielleicht. Eventuell liegt es aber auch daran, dass sich der Verteidigungsminister wenigstens ein wenig bewegt, während seine Nebensitzer fast zu Statuen erstarrt sind. Weil sich der Stuhl auch mal mitbewegt (Sekunde 34), kann man zumindest davon ausgehen, dass Schoigu in ihm sitzt und nicht hineinmontiert wurde.
Ein Indiz für eine Manipulation könnte sein, dass das Verteidigungsministerium offenbar die Metadaten frisiert hat. Ein Nutzer hat das von der staatlichen Agentur RIA Novosti auf Telegram gepostete Video überprüft und festgestellt, dass die Zeitstempel alle auf 0 gesetzt wurden.
Eher für einen schlechten Schnitt spricht, dass die Militärs zur Rechten des Ministers nach 1:40 exakt die gleiche Position einnehmen wie über eine Minute zuvor. In beiden Einstellungen ist Schoigu nicht im Bild.
Vampir-Effekt oder falscher Winkel?
Was die Nutzer in den sozialen Medien am meisten bewegt, sind Spiegelungen in den Glasabdeckungen von Bildern, die an der Holzvertäfelung des Zimmers hängen. Anscheinend ist der Minister darin nicht zu sehen, während die ihn flankierenden Fahnen oder andere Anwesende zu erkennen sind.
Winkel und Abstand der Kamera könnten allerdings erklären, warum man Schoigu nicht sieht. Außerdem steht genau an der Stelle vor einem der Bilder eine Statue, wo man Schoigus Spiegelung vermuten könnte. In einer Einstellung scheint man mal den Minister im Glas zu erahnen, es könnte aber auch ein anderer Militär sein. Die von einem Twitter-Nutzer ausgemachte Spiegelung eines leeren Sessels stammt dagegen ziemlich sicher von einem nicht besetzten Sitzplatz gegenüber des Bildes.
Trotz Herzinfarkt vorgeführt?
Letztendlich könnte das Video eine Fälschung sein, es ist aber auch gut möglich, dass es echt ist. Wenn das der Fall ist, stellt sich die Frage, in welchem Zustand Schoigu ist. Eine russische Ärztin sagte ntv.de, für sie habe der Minister tatsächlich einen Herzinfarkt beziehungsweise -anfall gehabt. Sie schließe das aus der Art, wie er in dem Video spreche. Dies könne man nicht faken, sagte sie.
Das lässt weiteren Raum für Spekulationen. Ist Schoigu also noch nicht am Ende, hält tapfer die Stellung und arbeitet mit Stabschef Gerasimow hinter den Kulissen an einem Plan - wie immer dieser aussehen mag? Oder will Putin nur den Schein wahren und hat seinen Verteidigungsminister vorgeführt, um seine Gegner zu verwirren? Dafür würden die starren, betretenen Blicke des Führungsstabs sprechen. Vielleicht ahnen sie aber auch, dass die Sache für die meisten von ihnen nicht gut enden wird. Man weiß es nicht.
Quelle: ntv.de