
In Russland gab es seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine laut der Organisation OWD-Info mehr als 15.000 Festnahmen auf Demonstrationen. Hier ist eine Kundgebung in London zu sehen.
(Foto: IMAGO/ZUMA Wire)
Von unabhängiger Berichterstattung im Ukraine-Krieg können Russen nur träumen. Freie Medien sind in ihrem Land fast alle verboten, soziale Netzwerke sind blockiert, ausländische Medien haben sich längst zurückgezogen. Was bleibt, sind Staatsmedien, die eher "alternative Fakten" verbreiten.
Wer in Russland den Fernseher anschaltet, erfährt nichts über den Krieg in der Ukraine. Die Begriffe "Krieg", "Invasion" oder "Einmarsch" sind verboten. Stattdessen wird von einer "militärische Spezialoperation" gesprochen. Die Behörden behaupten, dass die Ukrainer die in ihrem Land lebenden Russen unterdrücken würden. "Die Berichterstattung in den offiziellen Medien ist, dass eine Demilitarisierung und eine Denazifizierung in der Ukraine unternommen wird. Dass man acht Jahre zugesehen hat, wie russische Bürger im Donbass angeblich von einer nationalistischen Regierung bedrängt, unterdrückt, getötet wurden und dass man sich jetzt gezwungen sieht, dort militärisch einzugreifen", sagt Tobias Rupprecht, Russland-Historiker am Berliner Exzellenzcluster "Contestations of the Liberal Script" im ntv-Podcast "Wieder was gelernt".
Anfang des Monats hat Russlands Präsident Wladimir Putin ein Mediengesetz unterschrieben, das die freie Meinungsäußerung noch weiter einschränkt. Wer angebliche "Falschinformationen" über die russischen Streitkräfte verbreitet oder zu Sanktionen aufruft, dem drohen Geldstrafen und im Extremfall bis zu 15 Jahre Gefängnis.
Viele ausländische Medien haben Russland deshalb verlassen. Die Regierung hat kremlkritische Medien verboten, wie den unabhängigen Fernsehsender Doschd oder den Radiosender Echo Moskwy. Die unabhängige Tageszeitung "Nowaja Gaseta" ist eine der letzten unabhängigen russischen Medien, hat aber im Internet ihre Berichterstattung über die Ukraine-Invasion gelöscht.
"Die meisten beziehen Informationen aus Staatsmedien"
Soziale Medien wie Twitter, Facebook und Instagram wurden blockiert, aber auch ausländische Medien, wie zum Beispiel die Internetseiten der Deutschen Welle und der britischen BBC. Die Menschen in Russland können sich also nicht mehr so einfach objektiv über den Ukraine-Krieg informieren. Möglich ist es aber immer noch - über Umwege. "Man kann zum Beispiel über den Messengerdienst Telegram, der nach wie vor nicht blockiert ist, in Russland Zugang zu Informationen bekommen. Man kann über VPN Zugang zu allen gesperrten Homepages bekommen. Das Problem ist nur, dass die meisten das nicht tun, sondern weiterhin ihre Informationen aus den Staatsmedien beziehen," berichtet Rupprecht.
In den Staatsmedien kommen andere Meinungen als die des Kreml nicht vor. Fakten werden verdreht, bis sie der russischen Propaganda entsprechen. Ein Beispiel ist der russische Bombenangriff auf eine Geburts- und Kinderklinik in Mariupol. Drei Menschen waren dabei Anfang des Monats gestorben, das Krankenhaus wurde zerstört. Die Vereinten Nationen haben bestätigt, dass die Klinik zur Zeit des Angriffs Frauen und Kinder versorgt hat. Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu dagegen sagte, es habe keinen Angriff gegeben. Der russische Außenminister Sergej Lawrow hat den Angriff zwar zugegeben, aber eine völlig andere Geschichte erzählt. Nämlich, dass die Klinik von Kämpfern des nationalistischen Asow-Bataillons besetzt war.
Auch in sozialen Netzwerken hat Russland Falschinformationen über diesen Angriff gestreut. Zum Beispiel wurde behauptet, die Fotos und Videos von schwangeren Frauen seien Fälschungen. Einer schwangeren ukrainischen Bloggerin wurde vorgeworfen, die Rolle von zwei unterschiedlichen schwangeren Frauen gespielt zu haben - eine Falschbehauptung, wie von mehreren unabhängigen Reportern verifiziert.
Berichterstattung entscheidend für Putins Machterhalt
Die Presse in Russland darf schon lange nicht mehr einfach schreiben, was sie will. Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen steht Russland auf Platz 150 von 180. Nach den Protesten rund um die die Duma- und Präsidentschaftswahlen 2011 hat die Regierung auch im Internet die Zensur noch einmal massiv verschärft. Wer kritisch berichtet, kann verhaftet und verurteilt werden.
In den vergangenen 20 Jahren habe das Regime systematisch die Fernsehkanäle unter seine Kontrolle gebracht, sagt Rupprecht. Vor allem der Erste Kanal, der Perwy Kanal - populärster TV-Sender Russlands - sei zu einem Propagandasender geworden, unter direkter Kontrolle des Kremls. "In den 90er Jahren waren diese Fernsehsender in der Hand von Oligarchen. Die wurden enteignet, und der Staat hat sie sich unter den Nagel gerissen und systematisch verwendet, um Rückhalt für den politischen Umbau des Putinismus zu schaffen. Und das war leider sehr erfolgreich."
Die meisten Russen, zwei Drittel, informieren sich über das Fernsehen. Und dort wird eben überhaupt nicht objektiv über den Krieg berichtet. Das sei auch wichtig für den Machterhalt Putins, sagt Rupprecht. "Das, was für ihn letztendlich gefährlich werden könnte, ist ja, dass die eigene Bevölkerung in irgendeiner Form gegen ihn vorgeht. Oder noch wahrscheinlicher, dass Leute aus der russischen politischen Elite gegen ihn vorgehen. Das ist schon wichtig, da weiterhin eine Geschichte zu präsentieren, die die Leute glauben und die die Leute davon abhält, sich gegen das Regime zu wenden. Es ist für den Machterhalt Putins ganz entscheidend, dass diese Geschichte geglaubt wird."
Russen glauben eigenen Kindern nicht
Laut offizieller russischer Umfragen sind die meisten Russen für den Krieg in der Ukraine. Über 75 Prozent unterstützen die "Spezialoperation", weniger als 25 Prozent sind dagegen, hat Kremlsprecher Dmitri Peskow Anfang der Woche laut Agentur Interfax gesagt und sich dabei auf Statistiken und Umfragen berufen. Die Zahlen sind aber eher ein Zeichen dafür, wie gut Putins Propaganda funktioniert.
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Tobias Rupprecht berichtet im Podcast auch von eigenen Erfahrungen: "Ich kenne das von Bekannten, die mit der Familie zu Hause telefonieren und die Familie nicht glaubt, was die eigenen Kinder erzählen, weil sie so von der Darstellung im Staatsfernsehen überzeugt sind. Und es gibt mittlerweile sogar Geschichten von russischen Soldaten, die in der Ukraine in Kriegsgefangenschaft geraten sind und zu Hause bei der Familie anrufen und ihnen erzählen, was dort passiert ist. Dass das wirklich ein Krieg ist mit unfassbaren Gewalttaten. Und die Familie will das nicht glauben, obwohl es die eigenen Kinder erzählen."
In den Staatsmedien werden die russischen Soldaten für ihre Heldentaten gefeiert. Es wird andauernd behauptet, dass in der Ukraine alles nach Plan laufe. Die Opferzahlen seien nicht so hoch, wie sie vermutlich in Wirklichkeit sind. Bisher hat Moskau offiziell rund 500 Tote bestätigt. Am Sonntag war in einem Online-Artikel der kremlnahen russische Zeitung "Komsomolskaja Prawda" von rund 9900 getöteten russischen Soldaten die Rede. Der Artikel wurde später aber wieder gelöscht. Die Nato geht von 7000 bis 15 000 Toten aus. Die Kriegsverbrechen in der Ukraine versucht Russland ukrainischen Nationalisten in die Schuhe zu schieben.
Russland hat eigene Fähigkeiten überschätzt
Eigentlich ist die russische Armee zahlenmäßig und in Sachen Ausstattung der ukrainischen deutlich überlegen. Experten gehen aber davon aus, dass ihre Stärke international überschätzt wurde. Und Russland selbst hat sich anscheinend auch etwas vorgespielt, argumentiert Rupprecht. "Es gibt sehr viele Anzeichen dafür, dass das Regime Opfer seiner eigenen Propaganda geworden ist. Man hat seit 20 Jahren dieses System aufgebaut und Russland in einem Belagerungszustand präsentiert, umkreist von der NATO und von Feinden, die alle Russland nichts Gutes wollen. Und wenn man das über Jahre in die Welt hinausposaunt und selbst dann auch nur noch diese Form von Nachrichten bekommt, dann hat das auch so einen selbst verstärkenden Effekt."
Putin habe sich in den vergangenen zwei Jahren isoliert, habe sich vor allem mit Menschen umgeben, die noch radikaler denken als er und Dinge sagen, die er hören möchte, sagt der Russland-Historiker. Das habe sein Denken radikalisiert. "Das führt dann nicht nur zu so einer etwas verschobenen Sicht auf die Geschichte und auf die Entwicklungen um das Land herum, sondern auch zu einer Überschätzung der eigenen Fähigkeiten. Und das scheint wohl der Fall zu sein, was die militärische Macht Russlands angeht." Wahrscheinlich glaubt Putin seine Propaganda seit Jahrzehnten schon selbst.
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Quelle: ntv.de