
In Deutschland arbeiten vergleichsweise viele Menschen in Teilzeit. Meistens sind es Frauen. Ihr Wissen, ihre Fähigkeiten fehlen der Wirtschaft - oft an besonders schmerzlichen Stellen. Die Abwesenheit der Frauen ist nicht immer logisch zu erklären.
Die Rente der Babyboomer zieht düster am Horizont herauf, der Fachkräftemangel prasselt bereits auf all die herein, die ein Haus bauen, die essen gehen wollen oder eine neue Frisur. Es müsse mehr gearbeitet werden in Deutschland, fordern viele da. Nur, wo soll die Arbeit herkommen? Die drei Standardantworten: Spätere Rente, Zuwanderung oder mehr Vollzeit.
Tatsache ist: In Deutschland arbeiten vergleichsweise viele Menschen in Teilzeit; deutlich über dem Durchschnitt in der EU oder der OECD. Die Teilzeitquote ist in den vergangenen Jahren leicht gestiegen. Knapp ein Drittel der in Deutschland Beschäftigten arbeitete vergangenes Jahr weniger als die in ihrem Betrieb für Vollzeitbeschäftigte vorgesehenen Wochenstunden. Das können je nach Fall 35 Stunden sein oder auch nur 15 - die Statistik macht hier keinen Unterschied.
Was beim Thema den Unterschied macht, ist augenfällig. Die Hälfte aller angestellten Frauen arbeitet in Teilzeit, bei den Männern ein gutes Achtel. Ist ein Kind im Spiel, verschärft sich der Kontrast weiter: Zwei Drittel aller Mütter arbeiten in Teilzeit - und nicht einmal ein Zehntel der Väter.
Teilzeit: Männer bilden sich, Frauen wechseln Windeln
Es gibt sehr unterschiedliche Gründe, warum Menschen nicht in Vollzeit arbeiten, aber die Familie ist ein gewichtiger. Dass die Betroffenen keine Vollzeitstelle finden würden, spielt dagegen kaum eine Rolle. Was die meisten Menschen in der Teilzeit hält, unabhängig vom Geschlecht: Der Wunsch, in Teilzeit zu arbeiten - viele wollen schlicht nicht in ein Vollzeitverhältnis wechseln. Dieser Grund dominiert vorwiegend in der Altersgruppe der 45- bis 64-Jährigen - neben körperlichen Einschränkungen.
Jüngere Menschen nennen hauptsächlich Aus- und Weiterbildung sowie die Kinder, wenn sie gefragt werden, was sie von einer Vollzeittätigkeit abhält. Die beiden Punkte sind dabei klar nach Geschlecht aufgeteilt: Während Männer oft angeben, Bildungsmaßnahmen bänden sie, verweisen Frauen auf die Betreuung und Pflege von Kindern oder Angehörigen.
Diese Aufteilung wirkt lange nach: Frauen arbeiten in Deutschland bis ins Rentenalter hinein häufiger in Teilzeit als Männer. Darauf verweist Katharina Spieß im Gespräch mit ntv.de - die Direktorin des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung sagt: "Wenn Frauen erstmal in Teilzeit waren, bleiben sie häufig dabei - auch wenn die Kinder nicht mehr betreut werden müssen." Schuld sind die Finanzen genauso wie die Bilder in den Köpfen.
Wegen der höheren Teilzeitquote gibt es bei Frauen wesentlich mehr Arbeitskraft zu mobilisieren als bei Männern. Das wiederum wirkt sich auch auf das Aktivierungspotenzial aus, dass verschiedenen Branchen zur Verfügung steht: Während die niedrige Teilzeitquote in männlich dominierten Handwerksberufen kaum Personalreserven verspricht, arbeiten in weiblich dominierten Berufen viele in Teilzeit - hier könnte es Arbeitskraftschätze zu heben geben.
"In der Regel ist es eben die Frau"
Dafür sind Betreuungsangebote zentral. Die Rechnung sei denkbar einfach, sagt Katharina Spieß: "Wenn das Kind nicht betreut ist, ist es oft schwierig, dass beide Eltern in Vollzeit erwerbstätig sind." In der Regel sei es dann die Frau, die in Teilzeit arbeite.
Deutschland selbst ist für den Zusammenhang zwischen Kinderbetreuung und der Arbeitszeit von Frauen ein eindrückliches Beispiel, ein einzigartiges. Die deutsche Teilung hat ein Freiluftlabor geschaffen, eine Gesellschaft, die betreuungstechnisch doppelt verwurzelt ist: Auf der einen Seite das Erbe der DDR, verordnete Vollbeschäftigung, die Kinder früh im Hort, Mütter und Väter auf der Arbeit. Auf der anderen Seite das Vermächtnis der alten Bundesrepublik, das bürgerliche Ideal des männlichen Hauptverdieners, die Kinder zu Hause bei der Frau, die wiederum am Herd.
Auf der Kitakarte zeigt sich noch immer, wo einst die Grenze verlief. Betrachtet man die Ganztagsbetreuungsquote für unter 3-Jährige, ist der Kontrast am deutlichsten: In den ostdeutschen Landkreisen werden im Schnitt fast die Hälfte aller Kinder mehr als sieben Stunden am Tag in Einrichtungen betreut. In den westdeutschen Landkreisen trifft das nur auf jedes achte Kind zu. Von den 3- bis 5-Jährigen sind im Osten durchschnittlich gut drei Viertel in Ganztagsbetreuung, im Westen knapp 40 Prozent.
Spannend hierbei: Die Ost-West-Unterschiede tauchen nur auf, sieht man sich die Zahlen zur Ganztagsbetreuung an. Im Kindergarten, im Hort oder der Tagesstätte sind die meisten Kinder, egal ob Ost oder West; die entscheidende Frage ist: wie lange? Die einfache Antwort: im Osten den ganzen Tag, im Westen nur bis zum Mittagessen. Genau das erlaubt Frauen im Osten mehr Lohnarbeit.
Seit der Wiedervereinigung hatten die erwerbstätigen Frauen im Osten immer deutlich die Nase vorn, was die durchschnittliche Wochenarbeitszeit angeht. Über die letzten zwanzig Jahre waren es im Schnitt mehr als viereinhalb Stunden pro Woche, die die ostdeutsche Frau länger auf Arbeit war als die westdeutsche. Bei den Männern liegt die Differenz unter zwanzig Minuten.
Natürlich hängt die Erwerbstätigkeit von Frauen nicht nur vom Betreuungsangebot ab. Ein weiterer entscheidender Faktor: die Finanzen. Gehaltsunterschiede und Steuervorteile halten viele Frauen in Teilzeit oder ganz vom Arbeitsmarkt weg. Elena Herold forscht am Münchner ifo-Institut zu Steuer- und Finanzpolitik: "Oft hat der Mann ein höheres Einkommen", sagt Herold, "auf das wollen Familien nicht verzichten". Logisch, dass die Frau sich um Haushalt und Kinder kümmert. Hinzu kommt: "Wenn man auf das Einkommen der Frau verzichtet, gibt es zusätzlich steuerliche Vorteile", sagt Herold im Gespräch mit ntv.de.
Familien mit klassischem Hauptverdiener-Modell belohnt Deutschland mit einem vergleichsweise moderaten Steuersatz. Das Ehegattensplitting kritisiert die Organisation der Industriestaaten OECD deshalb schon seit Jahren: Es biete kaum Anreize für Zweitverdienerinnen und Zweitverdiener, mehr zu arbeiten. Die nimmt auch das Modell Minijob, sagt Katharina Spieß.
"Teilzeit und Führung schließt sich oft aus"
Herold verweist auf eine Studie einiger Kollegen am ifo-Institut, die durchgespielt haben, was passieren würde, schaffte Deutschland das Ehegattensplitting und die Minijobs ab: Mit mehr als Hunderttausend neuen Arbeitskräften auf dem Markt rechnen die Forscher. Der Großteil davon Frauen.
Die Steueranreize und das unzureichende Betreuungsangebot verhindern nicht nur eine regere Teilnahme von Teilzeitkräften am Arbeitsmarkt. Sie bremsen die Karrieren von Frauen aus: "Teilzeit und Führung schließen sich oft aus", sagt Familienforscherin Spieß. Dabei müsse das gar nicht so sein. Für Spieß handelt es sich um eine Frage der Einstellung: Die deutsche Gesellschaft müsse sich beispielsweise an die Idee geteilter Führungspositionen erst gewöhnen - das betreffe Unternehmen genauso wie deren Personal.
Der Fachkräftemangel werde das Thema aber in Zukunft weiter vorantreiben, zeigt sich Spieß zuversichtlich: "Wer Führungskräfte haben will, für den werden solche Modelle attraktiver." Herold verweist auf die Nobelpreisträgerin Claudia Goldin und fügt hinzu: Zum nötigen Kulturwandel gehöre auch, dass Überstunden und ständige Verfügbarkeit nicht mehr ausschlaggebend für Beförderungen sind. "Weil das Menschen benachteiligt, die Kinder haben oder weniger flexibel sind", erklärt die Forscherin.
"Bestmögliche Möglichkeiten" für "bestmögliche Arbeitskräfte"
Die Kulturfrage lässt sich laut Herold noch breiter stellen. US-Studien etwa belegten einen großen Einfluss traditioneller Rollenbilder darauf, wie stark Mütter ihre Arbeitszeit reduzierten: Eltern sollten Zeit mit ihren Kindern verbringen, sie aufziehen. Für die Kinder ist die Mutter zuständig. Der Mann sollte mehr verdienen.
Die Wirkung dieser Normen läuft teilweise sogar dem finanziellen Kalkül entgegen. Herold erzählt, sie beobachte in ihrer Forschung auch Familien, in denen die Frauen Hauptverdienerinnen sind: "Da macht es ökonomisch wenig Sinn, dass die Frauen Arbeitszeit reduzieren." Und dennoch - "wir sehen trotzdem, dass meistens die Frauen sich um die Kinder kümmern".
Quelle: ntv.de