
Die Förderung und Verflüssigung von Erdgas in der Arktis ist aufgrund der extremen Witterungsbedingungen enorm komplex.
(Foto: picture alliance/dpa/TASS)
Flüssiges Erdgas ist für viele Länder die Brücke zu den erneuerbaren Energien. Auch Russland möchte profitieren, doch das Vorzeigeprojekt im hohen Norden muss seinen Dienst vor wenigen Wochen einstellen. Arctic LNG 2 ist der Ort, an dem westliche Sanktionen trotz Schattenflotten greifen.
Im Juli 2023 weiht Wladimir Putin in einem kleinen Dorf in der nordrussischen Region Murmansk die russische Zukunft ein: In einem Trockendock genehmigt er den Transport der ersten riesigen Erdgasverflüssigungsanlage von Arctic LNG 2 zur Halbinsel Gydan im hohen russischen Norden. Mehr als drei Jahre Bauzeit und knapp 20 Milliarden Euro stecken in dem Mammutvorhaben, das Russlands Position als Energiegigant sichern soll.
Arctic LNG 2 ist ein Schlüsselprojekt für den russischen Präsidenten, denn auch im Kreml weiß man, dass Erdgas ein längeres Haltbarkeitsdatum als Erdöl hat. Speziell im asiatischen Raum möchten viele Staaten es als günstige und nicht ganz so schmutzige Brückentechnologie auf dem Weg ins Zeitalter der erneuerbaren Energien nutzen. Doch Russland kann Staaten wie China schlecht an sein nach Westen ausgerichtetes Pipelinenetz anschließen. Die Lösung ist Erdgas, das im hohen russischen Norden gewonnen, anschließend verflüssigt und mit Tankern durch die arktischen Gewässer zu den Kunden im Süden transportiert wird.

Die erste Verflüssigungsanlage von Arctic LNG 2 steht im Juli 2023 im Trockendock.
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Doch nur 16 Monate nach der feierlichen Einweihung ist die Feierstimmung vorbei. Das Wirtschaftsportal Bloomberg berichtet, dass Betreiber Nowatek die Erdgasförderung bei Gydan im November fast vollständig eingestellt hat. Bereits im Oktober wurde der Betrieb der riesigen und bisher einzigen Verflüssigungsanlage von Arctic LNG 2 gestoppt. Denn in den Wochen zuvor zeichnete sich bereits ab: Putin wird das Flüssigerdgas seines Prestigeprojekts nicht los - anders als beim Öl greifen die westlichen Sanktionen.
"Dieses Projekt zerstören"
Schon kurz nach dem russischen Angriff auf die Ukraine ist Arctic LNG 2 ins Visier der Sanktionsjäger in Europa und den USA geraten. Im Mai 2022 - nur drei Monate nach Kriegsbeginn - verbot die EU europäischen Firmen, Technik zur Erdgasförderung an russische Kunden zu liefern.
Im Jahr darauf zogen die USA nach und ließen keinen Zweifel daran aufkommen, was das Ziel ihrer Maßnahmen ist: Putins Einkünfte aus Energiegeschäften sollen "systematisch reduziert" werden, erklärte Geoffrey Pyatt im November 2023 im US-Kongress. Der Diplomat leitet die Abteilung für Energieressourcen im US-Außenministerium und nahm bei der Anhörung kein Blatt vor den Mund. "Wir arbeiten so hart wie möglich daran, den Trend ausbleibender Einnahmen zu beschleunigen" sagte er. "Arctic LNG 2 ist das Flaggschiff-Projekt. Es wurde mit dem Ziel ins Leben gerufen, Russland zum größten LNG-Exporteur der Welt zu machen. Unser Ziel ist es, dieses Projekt zu zerstören".
"Unsere Politik funktioniert"
Doch anfangs sah es so aus, als würden die LNG-Sanktionen wie die Öl-Sanktionen im Sande verlaufen, obwohl sich internationale Partner wie Total Energies aus Arctic LNG 2 zurückzogen. Anfang des Jahres, nur zwei Monate nach den klaren Aussagen von Diplomat Pyatt, nahm Nowatek wie geplant vor der Gydan-Halbinsel die von Putin eingeweihte Verflüssigungsanlage in Betrieb. Über den Sommer wurde die Erdgasförderung laut Bloomberg hochgefahren und im Hintergrund bereits eine neue Schattenflotte nur für LNG-Lieferungen zusammengestellt, die das verflüssigte Erdgas in alle Ecken der Welt bringen sollte.
Aber das ist nie passiert. Bisher jedenfalls. Kein russischer LNG-Tanker habe einen internationalen Abnehmer gefunden, erklärte Pyatt Ende Oktober in einem Interview mit Bloomberg und bestätigte damit entsprechende Medienberichte. "Unsere Politik funktioniert", sagt der Diplomat. "Wir stimmen uns eng mit unseren Partnern in den G-7-Staaten und in den Häfen ab, die Ziele für das Flüssigerdgas von Arctic LNG 2 sein könnten. Ich kann nicht über zukünftige Sanktionsmaßnahmen spekulieren, aber ich verspreche: Wir achten sehr genau darauf, wohin die sanktionierten russischen Ladungen gehen."
Putin fehlen Schiffe
Der Knackpunkt für Putin und Arctic LNG 2 sind trotz der neuen Schattenflotte die Schiffe. Denn außerhalb der Sommermonate werden für den Transport des flüssigen Erdgases im hohen russischen Norden Tanker der Eisklasse benötigt, die in arktischen Gefilden nicht stecken bleiben.
Sechs Tanker dieser Art hat Nowatek laut dem britischen "Economist" schon weit vor Kriegsbeginn in Südkorea bestellt, außerdem 15 bei einem russischen Schiffsbauer. Drei Tanker hat die südkoreanische Werft auch schon gebaut, darf sie aber nicht übergeben oder verkaufen, ohne Ärger mit den USA zu bekommen. Die russische Fertigung wurde durch westliche Sanktionen ebenfalls gestoppt: Der Werft fehlen wichtige Bauteile. In absehbarer Zeit kann sie lediglich 2 der 15 Tanker fertigstellen - zu wenig für einen Dauerbetrieb in den Wintermonaten.
Auch die Schattenflotte ist keine große Hilfe, auch wenn die Arktis in diesem Winter nicht zufrieren sollte. Denn die US-Sanktionen richten sich ausdrücklich gegen Arctic LNG 2. Die USA wissen somit ganz genau, wo sie ungewöhnliche Schiffsbewegungen mit Satelliten aus dem Weltall beobachten müssen. Regelmäßig landen deswegen neue Schiffe, Einzelpersonen und dubiose Firmen auf der Sanktionsliste und schrecken potenzielle Abnehmer wie Indien ab: Überraschend erklärte die indische Regierung im September, dass sie kein Flüssigerdgas von Arctic LNG 2 kaufen wird. "Etwas, das mit weitreichenden Sanktionen belegt ist, fassen wir nicht an", hieß es aus Neu-Delhi.
Warten auf Käufer
Ob Indien bei dieser Haltung bleibt oder wie beim russischen Öl doch noch zugreift, wenn Russland die Preise für das verflüssigte Erdgas nur weit genug senkt, wird sich zeigen. Aber Wladimir Putin steht unter Zeitdruck. Der Kremlchef will bereits in zehn Jahren ein Fünftel des weltweiten LNG-Marktes kontrollieren. Doch während Russland Großkunden wie Indien verliert, baut die Konkurrenz in den USA, Katar und Saudi-Arabien ihre Kapazitäten massiv aus.
Nach jetzigem Stand ist die Lage eindeutig: Die Hälfte der Tanker, die mit Flüssiggas von Arctic LNG 2 beladen wurden, hat ihre Ladung an der russischen Küste eingelagert. Die anderen lungern in asiatischen Gewässern herum und warten auf Käufer.
Dieser Text ist eigentlich ein Podcast: Welche Region schickt nur Verlierer in den Bundestag? Warum stirbt Ostdeutschland aus? Wieso geht dem Iran das Wasser aus? Welche Ansprüche haben Donald Trump und die USA auf Grönland?
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Quelle: ntv.de