Wirtschaft

Von wegen große Welle Und wo bleibt jetzt der chinesische E-Auto-Tsunami?

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Der chinesische Konzern Great Wall Motor bietet in Deutschland den vollelektrischen Kleinwagen Ora Funky Cat an. Hier eine Werbetafel in Oldenburg.

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(Foto: picture alliance / JOKER)

Auf der IAA machte sich bei deutschen Autoherstellern im Herbst die Panik breit: Eine Elektroauto-Flut aus China kündigte sich an. Bislang ist davon jedoch nichts zu sehen. Doch schon im kommenden Jahr könnte der Pegel steigen.

Als sich die Autobauer Anfang September in München auf der IAA zum Branchentreff versammelten, schien es nur ein Thema zu geben: die Angst der Industrie vor einem regelrechten chinesischen Auto-Tsunami. E-Autobauer aus dem Reich der Mitte standen erstmals unübersehbar im Rampenlicht. BYD, SAIC oder Nio und ihre Stromer galten plötzlich als konkurrenzfähig und heimischen Marken technologisch ebenbürtig. Deutsche Hersteller wirkten dagegen wie Schnarchnasen in der Transformation vom Verbrenner zur Elektromobilität. Dutzende E-Autobauer aus China, die dort immer noch wie Pilze aus dem Boden schießen, schickten sich an, wie es schien, zügig den europäischen Markt zu erobern.

Doch wie es aussieht, war diese Panik verfrüht. Der Angriff auf die Jagdgründe der europäischen Autoriesen lässt anders als erwartet immer noch auf sich warten. Von einem triumphalen chinesischen Siegeszug ist bislang weder etwas zu spüren noch zu sehen. Nio rühmt sich zwar, fünf Fahrzeugmodelle erfolgreich auf den deutschen Markt gebracht zu haben. Aber die Verkaufszahlen sind bescheiden. Gerade einmal 1174 Neuzulassungen hat das Kraftfahrt-Bundesamt von Januar bis Oktober 2023 registriert. Der Marktanteil von nicht einmal 0,1 Prozent ist sogar einer der schwächsten Werte unter den chinesischen Wettbewerbern. BYD kam immerhin auf 3084 registrierte Neuwagen und Polestar auf 5742, was im Vergleich trotzdem homöopathisch ist. Der Anteil chinesischer Marken auf dem deutschen Automarkt insgesamt liegt nur bei sparsamen zwei Prozent.

Nio steht somit nicht nur für das neue Selbstbewusstsein der chinesischen Autobauer. Das Unternehmen verkörpert auch beispielhaft ihre Anlaufprobleme. "Die chinesischen Autobauer haben ihren Europa-Start groß angekündigt, konnten bislang aber nicht viel liefern. Zusammengenommen haben die großen Player aus China BYD, Great Wall Motor und Nio rund 8000 Fahrzeuge in den ersten zehn Monaten dieses Jahres in Deutschland verkauft", sagt Gregor Sebastian, Senior Analyst bei dem US-Forschungsinstitut Rhodium Group, ntv.de. Zwar sei der immense Handelsüberschuss im Autosektor der EU mit China "rasant zusammengeschmolzen". Ein Großteil dieser Exporte gehe aber auf das Konto westlicher Automarken, allen voran von Tesla. "90 Prozent der chinesischen E-Auto-Exporte nach Europa sind westliche Firmen, die teilweise, wie MG, heute in chinesischem Besitz sind." Die ehemalige britische Marke wurde vor Jahren bereits von SAIC gekauft.

Mögliche EU-Sanktionen, Verdrängungskampf, fehlende Schiffe

Fanfaren und Trommelwirbel sind erst einmal verstummt und der Angstschweiß in den Hochburgen in Wolfsburg, Stuttgart und München damit wohl auch vorerst getrocknet. Dass die Chinesen sich schwerer tun als erwartet, hat viele Gründe. Da sind zum einen die Probleme im eigenen Markt, der hart umkämpft ist. Nicht alle E-Autobauer in China werden in dem Haifischbecken E-Mobilität überleben. "Es gibt einen Rattenschwanz von Unternehmen in China, die darum kämpfen, überhaupt eine nachhaltige Größe zu erreichen", sagt Sebastian.

Zudem sind die Investitionen in die neue Technologie hoch. Auch unterschiedliche Batterien spielen bei der Ausrollgeschwindigkeit eine Rolle. Nio beispielsweise setzt in seinen E-Autos auf Wechselakkus. In Deutschland gibt es bislang aber gerade mal sieben dieser Wechsellade-Stationen. In Ungarn hat Nio deshalb seit diesem Jahr eine Fabrik zum Bau dieser Anlagen. In ein bis zwei Jahren könnte Nio damit "das Gummi auf die Straße bringen", sagt Sebastian.

Doch der Verkauf von teuren E-Autos ist kein Selbstläufer. Erstaunlicherweise können Autos aus China preislich im Westen nicht unbedingt punkten. Denn Nio, BYD und Great Wall Motor haben sich mittlerweile an die Preise westlicher Anbieter angepasst. "Sie wollten das Image von niedrigen Preisen und schlechter Qualität ablegen und haben die Preise ordentlich angehoben. Das schreckt aber auch ab, weil man letztlich eine unbekannte Marke kauft", sagt Rhodium-Analyst Sebastian.

Hinzu kommt, dass niemand sagen kann, welche chinesischen Hersteller es mittel- beziehungsweise langfristig noch geben wird. Es wird definitiv zu einer Konsolidierung der chinesischen Autoindustrie kommen. Wo findet man perspektivisch Ersatzteile? Ein Gebrauchtwagen einer Marke, die es nicht mehr gibt, ist schwer zu verkaufen. "Die Käufer brauchen eine gewisse Sicherheit, dass diese Marke in drei Jahren überhaupt noch existiert", sagt Frank Schwope, Autoexperte und Lehrbeauftragter an der FHM Hannover, im Gespräch mit ntv.de. "Die Markenloyalität ist deshalb in Deutschland und in Europa hoch", pflichtet Sebastian bei. Im Zweifelsfall blieben die Autokäufer eher bei einem VW-Modell. Schwope sieht angesichts der wachsenden Konkurrenz aus China immerhin gute Chancen für die chinesischen Anbieter BYD, MG oder Geely. "Ich glaube, hier ist man ziemlich auf der sicheren Seite."

Als Bremsklotz wirkt aus Sicht der Experten auch, dass den Chinesen derzeit die Schiffe fehlen, um die Autos nach Europa zu transportieren. Diese werden jetzt zwar im großen Stil gebaut, aber es gibt einen Auftragsrückstand. Den aufzuholen, ist wichtig für China, weil der Eroberungszug bald auch nach Brasilien und Südostasien gehen soll.

Als Wellenbrecher könnte sich zudem die Untersuchung der EU zu den Subventionen für chinesische E-Autos herausstellen. In den nächsten zehn Monaten wird eine Entscheidung erwartet. Möglicherweise wird der Marktzugang für chinesische Marken dann noch zusätzlich durch hohe Anti-Dumping-Zölle erschwert.

Kommt nach der Durststrecke die Flut?

Selbst wenn es günstig läuft, rechnen Experten beim Ausrollen chinesischer Modelle im Westen eher noch mit einer Anlaufzeit von ein bis zwei Jahren. Jetzt komme es bei den Unternehmen darauf an, "ob sie das Kapital haben, eine Durststrecke von Monaten oder vielleicht auch ein bis zwei Jahren zu überbrücken", sagt Rhodium-Analyst Sebastian. Die politische und geopolitische Gemengelage habe das "Potenzial, die chinesischen Pläne über den Haufen zu werfen".

"Die Welle wird sich sukzessive ab den Jahren 2024 und 2025 aufbauen", prognostiziert Schwope. Ein Tsunami war aus seiner Sicht sowieso nicht zu erwarten. Die chinesischen Hersteller müssten Logistik-Kapazitäten sowie Vertriebsstrukturen aufbauen und Handelsgruppen suchen, über die die Fahrzeuge verkauft werden. Auch der Service müsste erst einmal gewährleistet sein. "Das war auch bei Tesla am Anfang schwierig", sagt der Auto-Experte.

Nicht nur für die chinesischen Hersteller, auch für die deutschen Autokäuferinnen und -käufer könnten die nächsten beiden Jahre entscheidend werden. Denn mit der Ankunft der Autobauer aus Fernost in Europa verbindet sich die Hoffnung, dass die Stromer künftig auch für schmalere Portemonnaies hierzulande erschwinglich werden könnten. Dafür müsste das Geschäft natürlich in Zukunft sprudeln, statt wie bislang nur dahinzuplätschern. Womöglich ist aber auch nicht gleich die befürchtete Flut nötig. Sondern ein stetiger Fluss. Konkurrenz belebt bekanntlich das Geschäft.

Quelle: ntv.de

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