Anatolische Ahnen Ötzi sah ganz anders aus als gedacht
16.08.2023, 17:00 Uhr Artikel anhören
Künstlerische Darstellung des Gletschermanns: Die Analyse des Erbguts von Ötzi zeigt, wie er tatsächlich aussah.
(Foto: Max Planck Institute for Evolutionary Anthropology/dpa)
Die bisherigen Darstellungen zeigen Gletschermann Ötzi hellhäutig und mit langen Haaren. Einer Rekonstruktion anhand einer detaillierten Genanalyse zufolge sah er aber ganz anders aus: glatzköpfig und mit sehr dunkler Haut. Seine Ahnen stammen zum überwiegenden Teil aus Anatolien.
Glatze, dunkle Augen und eine sehr dunkle Haut: Eine detaillierte Genomanalyse verrät, wie die Gletschermumie Ötzi zu Lebzeiten aussah - und korrigiert damit frühere Studienresultate. Die Ahnenlinie des Mannes, der um 3250 vor Christus in den Tiroler Alpen lebte, reicht demnach direkt zurück auf jene ersten Bauern, die vor etwa 8000 bis 9000 Jahren aus dem Nahen Osten nach Europa kamen. Das berichtet ein Forschungsteam aus Deutschland, Italien und Österreich im Fachblatt "Cell Genomics".

Mumie des Gletschermanns Ötzi.
(Foto: Marco Samadelli-Gregor Staschitz/Südtiroler Archäologiemuseum/EURAC/dpa)
Mit einem Alter von mehr als 5000 Jahren ist Ötzi die mit Abstand älteste Gletschermumie weltweit - und die bestuntersuchte sowieso. Seit seiner Entdeckung in den Ötztaler Alpen im Jahr 1991 versuchen Forscher den gefrorenen Überresten möglichst viele Erkenntnisse zu entlocken. Schon im Jahr 2012 hatte ein Forschungsteam im Fachblatt "Nature Communications" Resultate einer Genomanalyse vorgestellt. Die lassen sich nun - nach der Analyse von DNA, die ebenfalls aus einem Beckenknochen isoliert wurde - zum Teil nicht mehr halten.
Erbgut zu 91,4 Prozent von anatolischen Zuwanderern
Dazu zählt vor allem die Abstammung: Die neue, wesentlich verbesserte Sequenzierung des Erbguts zeigt, dass das Genom von Ötzi zu 91,4 Prozent von anatolischen Zuwanderern stammt. Diese frühen Ackerbauern kamen ab vor etwa 9000 Jahren aus dem Nahen Osten und brachten die bis dahin unbekannte Landwirtschaft nach Europa. Die übrigen 8,6 Prozent von Ötzis Erbgut stammen von europäischen Wildbeutern.
Von den Viehnomaden, die aus der südeurasischen Steppe kamen und weite Teile Europas besiedelten, fehlt dagegen im Genom jegliche Spur. Dass die 2012 veröffentlichte Erbgut-Analyse Spuren dieser Zuwanderer fand - immerhin 7,5 Prozent -, führen die Autoren nun auf Verunreinigungen der damals untersuchten DNA zurück. Das passt auch besser zur Chronologie, denn diese Viehhirten aus Steppe nördlich des Schwarzen Meeres erreichten Mitteleuropa generell erst vor etwa 4900 Jahren - also Jahrhunderte nach Ötzis Tod.
Rekordverdächtige Abstammung

Ötzi war laut der Genomanalyse viel dunkelhäutiger, als bisher angenommen wurde.
(Foto: Max Planck Institute for Evolutionary Anthropology/dpa)
Ötzis Abstammung ist demnach rekordverdächtig: Denn obwohl bereits Hunderte Gene seiner Zeitgenossen sequenziert wurden, hat er die meisten bäuerlichen Ahnenanteile. Das Forschungsteam schließt daraus, dass Ötzi aus einer relativ isolierten Bevölkerung in den Alpen stammt, die nur wenig Kontakt zu anderen europäischen Gruppen hatte.
"Wir waren sehr überrascht, im neuen Ötzi-Genom keine Spuren der osteuropäischen Steppenhirten zu finden, auch der Anteil der Jäger-und-Sammler-Gene beim Ötzi ist sehr gering", erklärt Ko-Autor Johannes Krause, Direktor am Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie. "Genetisch sieht er so aus, als seien seine Vorfahren direkt aus Anatolien gekommen."
Dazu passt das zusätzliche Resultat, dass Ötzi sehr dunkle Haut hatte - wesentlich dunkler als der Teint heutiger Südeuropäer. Demnach gleicht die Hautfarbe etwa jener der heutigen Mumie. "Es ist der dunkelste Hautton, den man in europäischen Funden aus derselben Zeit nachgewiesen hat", betont Ko-Autor Albert Zink, Leiter des Instituts für Mumienforschung bei EURAC Research in Bozen. "Man dachte bisher, die Haut der Mumie sei während der Lagerung im Eis nachgedunkelt, aber vermutlich ist, was wir jetzt sehen, tatsächlich weitgehend Ötzis originale Hautfarbe."
Fortgeschrittene Glatze
Auch der Umstand, dass an der eigentlich gut erhaltenen Mumie kaum Kopfhaar gefunden wurde, geht offenbar nicht auf die Jahrtausende im Eis zurück, sondern darauf, dass der dunkeläugige und ursprünglich schwarzhaarige Ötzi genetisch bedingt stark zu Haarausfall neigte und wohl eine fortgeschrittene Glatze hatte.
Weitere Erkenntnisse: Ötzi hatte eine genetische Veranlagung zu starkem Übergewicht und zu Diabetes Typ 2. Beides kam wohl aufgrund seines aktiven Lebensstils nicht zum Tragen.
Auch wenn man nun mehr über Ötzis Aussehen weiß, bleibt eine Frage offen: Ob der Gletschermann ein typischer Vertreter der damaligen Alpenbevölkerung war, ist unklar. Um das zu ermitteln, müsste man mehr Genome aus jener Zeit und Region analysieren.
Quelle: ntv.de, Walter Willems, dpa