Stressforscher gibt Tipps Was tun gegen die Corona-Angst?
24.03.2020, 12:11 Uhr
Gegen die Angst vor dem Virus hilft, mit seinen Mitmenschen darüber zu reden, rät Stressforscher und Psychiater Mazda Adli.
(Foto: AP)
Die Ausbreitung des Coronavirus versetzt viele Menschen in Angst. Mit ntv.de spricht Stressforscher Mazda Adli darüber, warum sich Verunsicherung derzeit in der Bevölkerung ausbreitet und wie man die eigene Angst in den Griff bekommt.
ntv.de: Herr Adli, die sich ausweitende Coronavirus-Pandemie verunsichert Menschen, manche haben sogar regelrecht Angst. Eine gesunde Reaktion?
Prof. Mazda Adli: Es ist ganz nachvollziehbar, dass in einer solchen Zeit Unsicherheit aufkommt und bei vielen Menschen auch Ängste, bei einigen sogar sehr starke Ängste. Angst ist ja grundsätzlich kein krankhaftes Gefühl, sondern eines, das zu unserem Leben dazugehört. Aber wir Psychiater und Psychotherapeuten erleben im Moment, dass die Ängste, die manche Menschen haben, ein enormes Ausmaß annehmen. Einige geraten sogar hellauf in Panik. Das sind dann oft irrationale Ängste, die auch zu irrationalem Verhalten führen, wie zum Beispiel Hamsterkäufen.

Prof. Dr. med. Mazda Adli ist Chefarzt der Fliedner Klinik Berlin und Leiter der AG Affektive Störungen an der Charité - Universitätsmedizin Berlin.
(Foto: privat)
Kann diese Angst auch ansteckend sein?
Ja. Wir sehen derzeit, wie sich starke Ängste sehr schnell in der Bevölkerung ausbreiten. Emotionen sind grundsätzlich ansteckend, Angst ganz besonders. Das ist im Moment auch das Tückische an der Angst. Wenn sie sich so schnell ausbreitet, dann wird auch die Angst zum Virus. Das ist das Problem.
Ängstliches Verhalten Einzelner trägt also zur Verbreitung der Angst bei?
Ja, so kann man sich das vorstellen. Das wird zusätzlich befördert durch die enorme Präsenz des Themas und gleichzeitig die immer noch für den Einzelnen so schwer bezifferbare Gefahr durch dieses unsichtbare Virus. Das macht es zu einer problematischen Mischung. Auch das Gefühl, dass wir einer Gefahr hilflos ausgesetzt sind, ohne sie beeinflussen zu können, treibt diese Angstspirale in die Höhe und macht die Angst umso ansteckender.
Sie sprachen von enormer Präsenz - bedeutet das, dass die starke mediale Berichterstattung ein Problem ist?
Nein. Wir müssen ja mit Informationen versorgt werden. Aber es kommt eben sehr darauf an, wie die Berichterstattung erfolgt. Wenn man Schlagzeilen liest, die eine Katastrophenmeldung nach der anderen verbreiten, macht das den Menschen Angst. Was wir vielmehr brauchen, ist eine gute, ruhige, verständliche und sachliche Vermittlung der Information. Wir brauchen eine Berichterstattung, die es ermöglicht, das eigene Risiko zu beziffern. Die das Infektionsgeschehen verständlich macht und die vor allem Dingen auch klarmacht, dass wir einer wachsenden Gefahr nicht heillos ausgeliefert sind.
Was können Menschen tun, um die eigene Angst in den Griff zu bekommen?
Der Austausch, das Thematisieren von eigener Angst, kann da schon sehr helfen. Und wenn man sieht, wie andere Menschen vielleicht gelassener und trotzdem verantwortungsvoll mit der Unsicherheit umgehen, kann das die eigenen Ängste relativieren und man kann zu einem Perspektivwechsel kommen. Wenn man sehr belastet ist durch Ängste, kann man außerdem versuchen, die Gedanken mal von dem Thema abzuwenden. Auch, indem man den Griff zu Nachrichtenportalen reduziert. Man sollte zudem versuchen, sich in der derzeit häufig größeren Freizeit mal ganz bewusst auf andere Themen zu konzentrieren. Man kann sich etwa in ein Buch vertiefen, in einen Film oder in Musik, sodass man auch emotional "entlüften" kann.
Wie kann man seinen Mitmenschen helfen, bei denen man feststellt, dass sie verängstigt sind?
Schritt eins wäre zuhören, die Ängste ernst nehmen und sie auch annehmen. Sowie akzeptieren, dass der andere belastet ist und Angst hat. Ängste, die einem anvertraut werden, sollte man nicht einfach übergehen. Schritt zwei wäre, eine alternative Sichtweise anzubieten. Also wenn man selber etwas ruhiger und besonnener mit der Situation umgeht, kann man die eigene Sichtweise anbieten. Und Schritt drei wäre, dem anderen zu helfen, die Gedanken mal ganz von dem Thema zu entfernen und zeitweise auf andere angenehme Themen zu lenken.
Wenn Eltern derzeit Ängste plagen, sollten sie diese gegenüber ihren Kindern verbergen, um sie nicht zu verunsichern?
Kinder merken, wenn die Eltern ängstlich sind. In der Kommunikation mit Kindern ist es gut, ruhig zu bleiben. Eigene Ängste sollte man eher mit Lebenspartnern oder Freunden thematisieren. Gleichzeitig ist es auch gut, wenn man dafür sorgt, dass die Kinder wiederum eigene Fragen und Unsicherheiten loswerden können und nicht zum Beispiel Falschinformationen aufliegen, die in sozialen Medien kursieren. Ein strukturierter Alltag tut ebenfalls gut. Und es sollte sich nicht alles zu Hause um das Corona-Virus drehen, sondern man sollte sich mit Kindern auch mal in andere Themen vertiefen.
Man beobachtet derzeit neben ängstlichen Menschen auch solche, die überraschend gelassen reagieren, was bis hin zu offensichtlich verantwortungslosem Verhalten führt. Warum reagieren Menschen so unterschiedlich?
Das hat aus meiner Sicht mit unterschiedlichen Bewältigungsmechanismen zu tun. Manche finden vermeintlich eine Bewältigung darin, dass sie das Thema und damit die Gefahr verharmlosen und verdrängen oder auch komplett ausblenden. Und das kann leider zu verantwortungslosem Verhalten führen.
Sind Ängste eine Typfrage? Oder kann die Angst jeden befallen?
Wir erleben gerade, dass Menschen, die sowieso etwas mehr zur Unsicherheit neigen und ängstlicher sind, besonders von Angst betroffen sind. Das Gleiche gilt für Menschen, die schon eine psychische Erkrankung haben, wie eine Depression. Starke Ängste kommen aber auch bei Menschen auf, die ein hohes Bedürfnis danach haben, alle Dinge immer unter Kontrolle zu halten und die Abweichungen von der Routine schlecht aushalten. Wer ein sehr hohes Kontrollbedürfnis hat, tut sich auch etwas schwerer, mit neuen Situationen und vielleicht auch mit Risikosituationen umzugehen. Das hat dann aber nichts mit fehlender psychischer Stabilität zu tun.
Mit Mazda Adli sprach Kai Stoppel
Quelle: ntv.de