Hertha-Boss Bernstein bei ntv.de "Der Fall Lars Windhorst hat mir die Augen geöffnet"
16.01.2024, 16:40 Uhr
Kay Bernstein ist am 16. Januar überraschend verstorben.
(Foto: picture alliance / nordphoto GmbH / Engler)
+++ Dieses Interview wurde im vergangenen Juli geführt. Anlässlich des Todes von Bernstein bringt ntv.de es erneut. +++
Kay Bernstein, 42 Jahre alt, geboren in Marienberg, Sachsen. Aufgewachsen in Marzahn, im alten Ost-Berlin. Erste eigene Wohnung in Hohenschönhausen, Ausbildung zum Elektriker und Industriemechaniker, heute Inhaber einer Veranstaltungs- und Kommunikationsagenur. Groß wird Bernstein aber auch in den Stadien der Bundesliga. 1998 ist er Gründungsmitglied der Harlekins, er ist einer der ersten Hertha-Ultras, steht als Vorsänger in der Ostkurve des Berliner Olympiastadions, ist Fankativist, tritt für eine neue Kultur im Stadion ein. Aus der Kurve geht es für ein Jahrzehnt auf die Sitzplätze.
Im vergangenen Jahr wird er überraschend Präsident des Fußball-Bundesligisten Hertha BSC. Sein Vorgänger Werner Gegenbauer hatte sich mit dem Investor Lars Windhorst überworfen, er trat zurück. Bei den Neuwahlen setzt er sich gegen den CDU-Politiker Frank Steffel durch. Die erste Generation der Ultras kommt mit Bernstein ganz oben im System an. Für Hertha, den Klub, der Windhorsts 374 Millionen Euro verpulverte, geht es weiter bergab. Am Ende einer turbulenten Saison steht der Abstieg, sogar die Lizenz für die zweite Liga ist kurzzeitig in Gefahr.

Lars Windhorst (r.) und Fredi Bobic waren am Ende einer turbulenten Spielzeit nicht mehr bei Hertha BSC.
(Foto: picture alliance/dpa)
Trotzdem ist etwas im Westend passiert. Der Zuschauerschnitt ist im vergangenen Abstiegs-Jahr der höchste der Vereinsgeschichte, nach dem Fall in die zweite Liga ziehen die Mitgliederzahlen an, der Dauerkartenverkauf läuft über allen Erwartungen und Präsident Kay Bernstein hat keine Lust darauf, es dabei zu belassen. Er will einen anderen Blick auf den Fußball, der für ihn Kulturgut ist und aus den Hinterzimmern der Verbände zurück zu den Menschen kommen muss. Bernstein sagt: "Die Revolution hat längst begonnen."
ntv.de: Herr Bernstein, was denken Sie: Hat der "Kay aus der Kurve" daran gedacht, dass er zwei Jahrzehnte später Präsident und Notstandsverwalter von Hertha BSC sein wird?
Kay Bernstein: Nie im Leben. Nicht einmal im Ansatz. Dabei hat sich inhaltlich im Vergleich zu damals nicht viel geändert. Ob du jetzt einen Fankongress, Typisierungsaktionen, Choreos oder Auswärtsfahrten organisierst: Der Aktionsradius ist im Vergleich zu heute nicht viel anders - nur die Verantwortung ist eine andere. Meine Entscheidungen heute haben eine deutlich größere Tragweite. Aber die Aufopferung für diesen Verein, es immer besser machen zu wollen, das gab es schon immer. Als wir damals als Ultra-Gruppierung, die Harlekins, angefangen haben, waren wir unbequem und ausdauernd. Wir wollten für unsere Interessen einstehen. Die Leute haben verstanden, dass wir weder wieder verschwinden noch eine Modeerscheinung sind.
Welches Erbe haben Sie hinterlassen?
Mit der Ultraszene haben wir bei Hertha BSC ganz viel zum Positiven gewendet. Wir müssen uns nur zurückerinnern, wie Hertha in den 80er-Jahren und auch in den frühen 90er-Jahren war, wie dort die Fanszene geprägt war: Wir hatten das U-Bahn-Lied, die Affenlaute, die NPD hat Flyer vor dem Stadion verteilt. Wenn man sieht, wie bunt, lebendig und vielfältig Hertha heute ist, dann haben wir einen entscheidenden Teil dazu beigetragen. Rund um den Verein herrscht ein ganz anderes Gespür für gesellschaftliche Verantwortung. Das haben wir mit befeuert. Wir waren auf ganz vielen Ebenen Vorreiter, ohne dass wir wirklich wussten, was wir taten.
Sie wussten nicht, was Sie taten?
Niemand hat uns vorher gesagt: 'Ihr seid jetzt Ultra-Gruppe XY und trefft euch jetzt immer montags und besprecht dann die nächste Choreo.' Wir haben das einfach gemacht. Sozialarbeiter vom Fanprojekt haben uns zwar bei der Entwicklung geholfen, aber einen richtigen Plan hatten wir nicht.
Was hat die aktuelle Ultra-Generation von Ihnen gelernt?
Ich frage mich immer, ob die, die heute unten in der Kurve stehen, nachvollziehen können, unter welchen Umständen wir damals angefangen haben. Vielleicht müsste es sowas wie ein "Buch der Generationen" geben. Ein Buch, in dem festgehalten wird, was bewahrt werden soll. Denn es gibt alle vier, fünf Jahre einen Generationswechsel. Jede von ihnen startet unter einer anderen Ausgangslage. Die eine ist vielleicht mehr von aktiver Fanarbeit geprägt, die nächste mehr von Gewalt.
Sie haben Ende der 1990er angefangen. Das ist jetzt fast fünf Generationen her.
Das stimmt, das sind jetzt 25 Jahre. Wir müssen viel deutlicher machen, warum wir damals angefangen haben und vor allem: wofür. Es verschiebt sich gerade wieder viel. Ähnlich, wie es bei uns früher war: Wir fanden das damals total spannend. Es war ein riesengroßer Abenteuerspielplatz.
Inwiefern?
Wir sind freitags zum Blutspenden gegangen, um für das Wochenende irgendwie 30 Euro zusammenzubekommen. Das hatte dann gleich mehrere Vorteile: Blut und Plasma spenden ist ohnehin wichtig. Aber du brauchst danach auch weniger Bier und hattest gleichzeitig genug Geld für Eintrittskarten, ein Bahnticket und sogar noch ein Brötchen. Das war lange Zeit der Lebensinhalt: Auswärtsfahrten, Trainingslager, Choreos, die Gruppe. Jetzt ist das - bis auf die Verantwortung - ähnlich.
Als Sie in die Kurve gekommen sind, war die nicht leer. Es herrschten andere politische Einstellungen, es mussten Kämpfe ausgetragen werden. Kann Ihr erstes Jahr in einer Funktionärsrolle damit verglichen werden?
Total.
Auch hier sind Sie jemand, der von außen kommt und neue Ideen einbringt. Wurden Sie diesmal willkommen geheißen?
Dieses System, der Fußball, handelt sehr geschlossen. Neulinge oder Andersdenkende werden nicht immer mit offenen Armen empfangen. Nicht jeder freut sich sofort über neue Blickwinkel. Das, was wir damals an Skepsis, an Misstrauen und an fehlender Bereitschaft des Miteinanders erfahren haben, ist nicht verschwunden. Veränderungen sind nicht unbedingt das liebste Kind der Deutschen. Aus meiner Wahrnehmung kann das mit der Anti-Atomkraft-Bewegung verglichen werden, aus der die Grünen damals entstanden sind.
Wie das?
Bei mir ist es heute ein wenig wie bei den Grünen, die plötzlich in der Realpolitik gefangen sind. Die Pandemie und der Krieg haben die Welt stark verändert. Und so kämpfen wir - überspitzt gesagt - an unterschiedlichsten Fronten einen ganz ähnlichen Kampf. Wir können nicht mehr aufgehalten werden: Die Revolution hat schon begonnen.
Revolution? Wie meinen Sie das?
Wir sollten einfach mal fragen, wem der Fußball eigentlich gehört. Was haben wir für eine Verantwortung für das Spiel? Im Fußball ist ein monopolistisches System ohne Wettbewerb entstanden. Auf allen Ebenen. Mir fällt im Sport kein anderer legaler wirtschaftlicher Kreislauf auf, der ähnlich monopolistisch ist. Wir brauchen neue Regeln für einen nachhaltigen und wettbewerbsfähigen Fußball. Die gelten dann für alle. Keine Hinterzimmer mehr.
Kann das gelingen?
Die Frage ist doch: Wie konsequent gehen wir diesen Weg? Die Revolution ist unaufhaltbar. Je schneller und konsequenter wir den Weg gehen, desto größer wird der Wettbewerbsvorteil. Ich allein kann diese Veränderungen im Fußball nicht anführen. Ich muss mich um meinen eigenen Verein kümmern. Das macht es so schwer. Am Ende habe ich gerade andere Prioritäten.
Sie wurden auch aufgrund der turbulenten Umstände bei Hertha BSC überhaupt erst ins Amt geweht. Waren Sie davon überrascht, wie sehr Sie sich anpassen mussten an dieses Chaos im Verein?
Mir war klar, dass es auf der Geschäftsstelle viel antrainiertes Verhalten gibt. Womit ich nicht gerechnet habe, waren die Krisen, die das Tagesgeschäft geprägt haben. Ich war viel damit beschäftigt, Krisen zu bewältigen. Lars Windhorst ist da ein gutes Beispiel. Wir waren - dachten wir - auf einem guten Weg. Es gab vertrauensbildende Maßnahmen, wir haben neue Wege der Kommunikation gefunden, Verabredungen getroffen.
Aber dann flog die Shibumi-Akte auf: Windhorst gab eine Medienkampagne gegen Ihren Vorgänger, Werner Gegenbauer, in Auftrag.
Es hat schon früher angefangen: Heute wissen wir, dass Windhorst mit meiner Wahl angefangen hat, den Verkauf seiner Anteile vorzubereiten. Wir haben trotzdem versucht, die Kommunikation neu aufzusetzen. Mit der Akte wurde uns bewusst: Wir sind kläglich gescheitert. Damit war eine rote Linie überschritten.
Wie haben Sie daraus gelernt?
Der Fall Windhorst hat mir die Augen geöffnet: Wie weit einige Personen gehen, um ihre Macht zu zementieren. Mir wurde klar, dass ich in einem Kreislauf gelandet bin, in dem es um sehr viel Geld geht, der zum Teil auch nicht fair spielt. Es ist ein korruptes System. Wenn es ums Geld geht, gibt es ganz viele, die mitreden wollen.
Sie meinen hier nicht nur Windhorst?
Das meine ich im größeren Sinne. Dazu müssen wir nur auf die FIFA, die UEFA, auf die Verbände schauen. Es wird von oben so vorgelebt. Das System wird so gelebt. Überall.
Um sehr viel Geld ging es auch bei der Investoren-Entscheidung der DFL. Der Plan war es, die Medienrechte teilweise zu veräußern. Die DFL-Spitze erhoffte sich durch einen Investor dann etwa zwei Milliarden Euro. Die Hertha-Mitglieder haben sich gegen den Deal ausgesprochen. Wie hat Hertha abgestimmt?
Wir sind den Mitgliedern gefolgt und haben mit Nein gestimmt. Sie waren aber nur ein Teil der Entscheidung, die Geschäftsführung der andere. Wir waren inhaltlich einer Meinung. Uns ging es gar nicht um die Frage, ob wir Investoren in der DFL wollen. Sondern darum, wo wir mit dem deutschen Fußball hinwollen. Die DFL wollte jedoch nur über die Vermarktung sprechen und nicht, wo das Geld im Wirtschaftssystem landen soll. Es wurde nur gesagt: Wir brauchen neues Kapital.
Klingt wie bei Hertha BSC in den vergangenen Jahren.
Ich finde, wir sind da bei Hertha BSC ein warnendes Beispiel. Wir wissen, wovon wir hier reden und dass es nicht immer die beste Entscheidung für die Zukunft ist, einfach neues Geld ins System zu pumpen. Beim DFL-Plan nun war nicht einmal klar, welche Geschäftsführung das umsetzen soll. Es war der zweite Schritt vor dem ersten. Niemand hat hinterfragt, ob die alten Verteilungsschlüssel noch gerecht sind.
Ist in der Liga eine gewisse Grundpanik zu spüren gewesen, dass sie ihre Wettbewerbsfähigkeit in diesem sich schnell verändernden Markt verlieren könnte? Dass also erst das Geld kommen musste und dann der Plan?
Das müsste man die handelnden Personen fragen. Ich glaube schon, dass es viel mit dem sehr brüchigen Wirtschaftssystem zu tun hat, in dem sich der Fußball bewegt. In der Pandemie wurde klar, wie abhängig man von den Zahlungen der TV-Anstalten ist. Wer weiß, was uns vielleicht in den nächsten zwei, drei Jahren bevorsteht? Wir müssen diese Abhängigkeiten minimieren und nicht mehr am Tropf der TV-Anstalten hängen. Darauf allein darf unser Wirtschaftssystem nicht aufbauen.
Während der Corona-Pandemie wurde viel von Nachhaltigkeit und Demut gesprochen. Doch der DFL-Deal deutet an, dass nicht viel passiert. Wie erklären Sie sich das?
Weil das System noch nicht implodiert ist, weil es um lebenserhaltende Maßnahmen geht, darum, irgendwie weiterzumachen. Niemand setzt den Fußball einmal auf Notbetrieb und schaut, was wir brauchen, was dieses System braucht, und hinterfragt, wie dieser Wirtschaftskreislauf funktioniert.
Was würden Sie anders machen?
Wäre es nicht möglich, diesen Prozess ganzheitlich neu zu denken und zu schauen, wie die Vereine besser wirtschaften? Wir sollten das Ziel haben, über übergreifende Themen zu sprechen. Mit Blick auf Ökonmie: Man könnte prüfen, wie viel Ertrag ein Verein mit jedem eingesetzten Euro holt. Und dann könnte der wirtschaftlich nachhaltigste Klub das meiste Geld bekommen. Wir sollten über einen Salary Cap diskutieren, über Beraterhonorare und auch darüber, dass man bei Vereinen, die gegen den Abstieg spielen, vielleicht fünf Prozent der Spielergehälter einbehält. Damit bei einem Abstieg keiner der Mitarbeiter seinen Arbeitsplatz verliert, nur weil auf dem Rasen nicht "performt" wurde. Aus ökologischer Sicht sollten wir über die Anstoßzeiten sprechen. Wieso spielen nicht alle Klubs wieder samstags um 15:30 Uhr? Dann kommen auch die Auswärtsfans noch mit der Bahn nach Hause.
Sind das für Sie realistische Zukunftsszenarien?
Solange die Maschine läuft, ohne dass sie gegen die Wand fährt, fehlt mir der Glaube, dass sich wirklich etwas ändert. Die Pandemie hat gezeigt, wie sehr das System am seidenen Faden hängt. Es ist verwunderlich, dass dann nicht alle Alarmglocken angehen und das System repariert wird.
Woran liegt das?
Es sind zu viele alte Kräfte am Werk, die Veränderungen gar nicht wollen.
Kann das System mit den 36 DFL-Mitgliedern und ihren unterschiedlichen Meinungen innerhalb dieser Klubs überhaupt revolutioniert werden?
Ja. Wenn es um Verantwortung und nicht um Wirtschaftlichkeit geht. Wenn auf andere Parameter geschaut wird. Das könnten das DFL-Präsidium und die Aufsichtsratsmitglieder beschließen. Sie könnten die alten Verteilungsschlüssel wegwerfen und auf einen Mix aus Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit gehen. Wir hätten sofort eine andere Verteilung, was die Wettbewerbsfähigkeit wiederum befeuert.
Ist die Bundesliga zu sehr auf den internationalen Wettbewerb fixiert? Muss sich der deutsche Fußball hinterfragen?
Davon wäre ich großer Fan. Wenn Nachhaltigkeit und Jugendarbeit zum Beispiel nach vorne gestellt werden, dann brauchst du im ersten Schritt nicht viel mehr. Aber das ist dann wieder die Frage: Wie werden die Gelder wofür verteilt und wie läufst du diesem brüchigen System nach? Sobald eine Mannschaft europäisch spielt, muss sie den Kader aufblähen. Der Fußball ist in diesem Hamsterrad gefangen. Entweder willst du da rein und bist auch bereit, ins Risiko zu gehen oder eben nicht. Der deutsche Fußball muss sich fragen: Was ist der deutsche Fußball? Für wen ist der deutsche Fußball da und was haben wir da für eine Verantwortung?
Wie würden Sie diese Fragen für sich beantworten?
Dass ich über den Weg der Verantwortung gehen würde und nicht über den Weg "höher, schneller, weiter!". Wir müssen davon wegkommen, dass wir die nächste Kapitalspritze brauchen, um über die Runden zu kommen.
Auch Hertha musste diese Saison nachschießen. Das hat dann der neue Investor übernommen. War es für Sie nach dem Abgang von Windhorst schmerzhaft, mit 777 Partners zu verhandeln? Gerade in dem Wissen, dass der Verein anders überhaupt nicht saniert werden kann?
Ja und nein. Meine Sozialisierung, meine Prägung, mein Wertegerüst, meine Vorstellung, wie ich mir den Fußball wünsche, haben es nicht leicht gemacht. Aber es ging nicht um mich. Es ging um den Verein. Deswegen fiel es mir andererseits nicht schwer. Wir müssen auch festhalten: Wir haben 777 Partners nicht an Bord geholt, sondern Lars Windhorst hat seine Anteile an Joshua Wander [Anm.d. Red.: der Geschäftsführer und Gründer des Unternehmens] aus Miami verkauft, was für uns positiv war. Er hätte auch einen Scheich, einen Oligarchen in seinem Netzwerk finden können.
Hatten Sie andere Möglichkeiten?
Wir waren in einer Abhängigkeit. Die alte Klubführung hat sich entschieden, ganz viele Anteile dieses Vereins an einen Investor zu verkaufen. Uns waren die Hände gebunden. Wir konnten nur ehrlich nach Miami fliegen und 777 Partners sagen, dass, wenn sie die Anteile von Windhorst kaufen, sie auch zusätzlich 100 Millionen Euro in den Apparat investieren müssen. Ansonsten hätte es nicht funktioniert.
Der neue Investor hat mehr Rechte als Windhorst, greift auch tiefer in die sportlichen Belange ein. Kann Hertha BSC von diesem Modell der Multi-Club Ownership trotzdem profitieren?
Total. Ein neuer Blickwinkel, ein neuer Austausch und auch neue Reibung. Die Unterschiedlichkeit der Meinung kann uns helfen, die besten Entscheidungen für Hertha BSC zu treffen. Wir sind hier viel zu lange im eigenen Saft geschwommen und haben gedacht, dass wir wissen, was wir tun.
777 Partners ist eine Private-Equity-Gesellschaft. Was bedeutet das für Hertha BSC?
Aus so einer Chance wie Hertha BSC Kapital zu schlagen, ist deren Geschäftsmodell. Das ist legitim. Weil sich die Welt nun einmal so weit gedreht hat, dass wir an diesem Punkt sind. Die Frage ist jetzt: Wie geht man inhaltlich, kommunikativ damit um? Und wie sehr ist das natürlich bei 777, wie bei jedem Private-Equity-Unternehmen, eine Wette auf die Zukunft: Fällt irgendwann vielleicht die 50+1-Regel? Dann hätten sie die Anteile relativ günstig bekommen. Im Moment ist es aber so: Wenn wir erfolgreich sind, dann ist es 777 auch.
Kurz nach der Übernahme war unter anderem von Gesprächen zwischen 777 Partners und Saudi-Arabien zu lesen. Kann Hertha BSC sich dagegen wehren, wenn 777 Partners eine weitere Partei an Bord holt?
Wir konnten vertraglich reglementieren, dass wir einen Riegel vorschieben können, an wen Anteile [von Hertha] zukünftig verkauft werden. Aber wir können nicht darauf Einfluss nehmen, welchen Anteilseigner 777 Partners sich in ihre Gesellschaft holt.
Halten Sie ein Hertha BSC ohne Investor in zehn Jahren für erstrebenswert, vielleicht sogar realistisch?
Auf jeden Fall ist das erstrebenswert. Die Frage ist: Wie hat sich bis dahin die Zeit verändert? Was passiert zukünftig? Wann sind die Anstoßzeiten, wie hat sich der Fußball bis dahin verändert? Wir müssen überlegen, wo wir herkommen. Die 80er, die 90er, das Sommermärchen 2006, die Wüsten-WM im vergangenen Winter bis hin zur Super League. Wohin hat der Fußball sich eigentlich aufgemacht? Ich kann nicht in die Glaskugel schauen. Aber für uns muss es erstrebenswert sein, finanziell unabhängig zu sein und selbstständig zu wirtschaften.
Zum Abschluss noch eine Frage: Was braucht der Fußball?
Mehr Ehrlichkeit, mehr Demut, mehr Bekennen zu dem, was der Fußball ist: ein Kulturgut! Die Menschen lieben dieses Spiel, für sie ist das Stadion Heimat. Der Fußball braucht einen verantwortungsvollen Umgang gegenüber den Menschen, die diesen Fußball ausmachen, den Fans.
Mit Kay Bernstein sprachen Sebastian Schneider und Stephan Uersfeld
Quelle: ntv.de