Fußball

Kolossaler Zerfall mit Ansage Hertha BSC stürzt in den schwarzen Schlund der 2. Liga

Boateng kann es nicht fassen: Hertha BSC steigt ab.

Boateng kann es nicht fassen: Hertha BSC steigt ab.

(Foto: IMAGO/Matthias Koch)

Die Hertha steigt ab. In der 94. Minute zerbricht der BSC mit Ansage. Pal Dardai führt den ehemaligen "Big City Club" in die 2. Liga, weil Investoren-Millionen, Führungsprobleme und eine Schar von Trainern und Spielern nur Unglück über den Verein bringen. Die Zukunft ist düster.

Auwacka, Hertha, jetze isset passiert. Die Alte Dame ist mal wieder im Unterhaus angekommen. Und wie: Es sieht am sonnigen Nachmittag in Berlin tatsächlich zunächst nach einem blau-weißen Fußballwunder aus, aber dann folgt der Last-Minute-Schock: Nach einem ganz späten Gegentreffer in der 94. Minute beim 1:1 (0:0) im Heimspiel gegen den VfL Bochum steigt der BSC am 33. Spieltag in die 2. Liga ab. Es ist der erste Gang nach unten seit dem Aufstieg 2013 und der siebte insgesamt, nur den 1. FC Nürnberg (9) und Arminia Bielefeld (8) erwischte es öfter.

Lucas Tousart (63.) hatte Hertha in Front gebracht, Keven Schlotterbeck schoss Hertha am Ende der fünf minütigen Nachspielzeit in die 2. Liga. Das Alles-oder-Nichts-Spiel gegen Bochum nach Führung und großem Kampf vergeigt, die komplette Saison vergeigt. So bitter es ist, das ist mittlerweile typisch für den BSC. Die vergangenen zehn Jahre in der ersten deutschen Spielklasse verliefen durchschnittlich, die jüngsten vier Spielzeiten aber waren das pure Chaos. Und so erfährt der Hauptstadtklub einen Abstieg mit Ansage. Ein langsamen, aber schmerzhaften Sturz in den schwarzen Schlund der 2. Liga. So wirklich überrascht ist niemand. Aufgrund von Fehlern an allen Ecken und Enden. Nicht nur trotz Investitionen in Millionenhöhen- sondern wegen.

Ohne Plan kaufte die Alte Dame zuletzt ein. Nach dem Prinzip: Irgendeiner wird schon zünden, einfach erstmal kaufen. Erinnern Sie sich noch an Nemanja Radonjić, Fredrik Björkan oder Omar Alderete? Nein? Kein Problem, sie gingen so schnell, wie sie kamen. Von vielen vergessen, von einigen verdrängt, aber: Ja, auch ein Rio-Weltmeister namens Sami Khedira spielte vier Monate für die Hertha. Kaum jemand erinnert sich an all die Spieler, auch die Trainernamen rauschen vorbei. In den vergangenen vier Jahren hießen sie: Ante Covic, Jürgen Klinsmann, Alexander Nouri, Pal Dardai, Tayfun Korkut, Felix Magath, Sandro Schwarz und jetzt wieder Pal Dardai.

Chaos mit Windhorst und Gegenbauer

Der ewige Herthaner führt den Klub nun in die zweite Liga. Er hatte ihn in seiner ersten Amtszeit zwischen Februar 2015 und Juni 2019 stabilisiert, aus einem Kellerteam eines gemacht, das in guten Jahren um den Europapokal mitspielen konnte. Zweimal traten sie mit Dardais Ergebnisfußball sogar die Reise nach Europa an. Einmal scheiterten sie in der Qualifikation, einmal in der Gruppenphase. Doch plötzlich passte der kontrollierte Defensivansatz nicht mehr. Das war im Sommer 2019. Damals kam das Geld über den Verein und mit ihm die großen Probleme.

Der Einstieg des umstrittenen Investors Lars Windhorst beim damals schon über seinen Möglichkeiten wirtschaftenden Hauptstadtklub war der Beginn einer in der Bundesliga bislang beispiellosen Talfahrt. 375 Millionen Euro flossen auf das Konto der Hertha, die das Geld nun mit beiden Händen zum Fenster rauswarf und die Kontrolle über die Kostenseite verlor. Auf dem Platz vernichteten die Spieler ihre Werte durch konstant desolate Leistungen, auf der Führungsebene des Vereins brach Chaos aus. Im Osten der Stadt startetet Union Berlin einen beispiellosen Aufstieg und schwang sich schon bald zur sportlichen Nummer eins in der Hauptstadt auf.

Im Westend verlor Präsident Werner Gegenbauer die Kontrolle über den Klub, Finanz-Geschäftsführer Ingo Schiller den Überblick über die Ausgaben. Die von Windhorst installierten Augen Jürgen Klinsmann und Jens Lehmann waren bald Geschichte. Auf den Geschäftsführer Sport Michael Preetz, der noch Ende der 2010er Jahre vom "Kicker" zum besten Einkäufer der Liga gewählt wurde, folgte erst Interimslösung Arne Friedrich und dann Fredi Bobic. Der ehemalige Nationalspieler kam mit gigantischen Vorschusslorbeeren von Eintracht Frankfurt, war aber nie in der Lage mit den schwindenden finanziellen Mitteln einen auf die Dauer bundesligatauglichen Kader zu basteln.

Stattdessen brachte der machthungrige Bobic eine Armee von Angestellten mit, die die Personalkosten weiter aufblähten. Auch mit dem damaligen Übergangstrainer Dardai konnte er wenig anfangen. Bereits in der Vorbereitung der Saison 2021/2022 prallten gegensätzliche Welten aufeinander. So wollte der Ungar, die Vereinsikone, den niederländischen Flügelstürmer Javairo Dilrosun zu einem seiner zentralen Spieler machen. Der Geschäftsführer Sport hatte andere Vorstellungen und einen viel besseren Spieler an der Angel. Als dieser kurz vor Schluss der Transferphase absprang, sollte Dardai den Niederländer vom Bleiben überzeugen. Doch daran hatte der Coach kein Interesse. Wenige Wochen später waren Dardai und sein Team um Andreas "Zecke" Neuendorf, den heutigen Direktor Akademie und Lizenzspielerbereich, entlassen.

Auch Bobic muss gehen

"Wir waren mal normal, sind dann abgedriftet. Wir müssen von unserem hohen Ross runterkommen. Wir müssen die Suppe auslöffeln. Ich denke nicht, dass vorher die Richtigen da waren", sagte Neuendorf auf der ob der katastrophalen Situation überraschend ruhigen Mitgliederversammlung des Vereins vergangenen Sonntag. Dardai, Neuendorf und Sportdirektor Benny Weber sind die neuen Gesichter der Hertha, die seit dem vergangenen Sommer von Kay Bernstein geführt wird. Der 42-Jährige hat unlängst den "Berliner Weg" ausgerufen und den "Big City Club" beerdigt.

In die Amtszeit des neuen Präsidenten passt ein ganzes Funktionärsleben. Investor Lars Windhorst verkaufte seine Anteile, nachdem ein Spionageskandal aufgrund unbezahlter Rechnungen öffentlich geworden war. Auf Windhorst, der gegen den damaligen Präsidenten Gegenbauer Stimmung machen wollte, folgte erst in diesem März nach langen Verhandlungen die Investorengruppe 777 Partners aus Miami. Zu dem Portfolio der Gruppe gehören zahlreiche andere Vereine in Europa (FC Sevilla, Genua CFC, Standard Lüttich und andere) und dem Rest der Welt (Vasco da Gama, Melbourne Victory). Aktuell sollen sie ihre Bemühungen um die Übernahme des englischen Traditionsklub Everton intensivieren.

Auch von Bobic trennte sich Hertha zu Beginn des Jahres 2023, nur wenige Tage vor Ende der wichtigen Wintertransferperiode. Während der Fall Bobic jetzt einer für die Gerichte ist, blieb dem neuen Sportdirektor Weber keine Zeit und kein Geld, um auf den Schlüsselpositionen Verstärkungen für den Abstiegskampf zu verpflichten. Hertha taumelte durch den Frühling und entließ Trainer Sandro Schwarz erst, als es längst zu spät war. Dabei war der Klub intern bereits zu der Annahme gekommen, dass der ehemalige Mainzer Coach seine Mannschaft falsch eingeschätzt und auch in der Winterpause nicht rechtzeitig auf die bestehenden Verhältnisse reagiert hatte. Er wollte seinen Plan durchziehen. Es misslang.

Verwirrung statt Ideen bei der Hertha

All das Geld brachte nur Unruhe, Unglück und Arroganz über den Verein. Der Kader war eine Ansammlung von Spielern, die der Zufall nach Berlin getrieben hatte. Und dass man so keine wirkliche Mannschaft baut, zeigt in dieser Saison der FC Chelsea mit beeindruckender Peinlichkeit. Denn auch noch so namhafte, teure, oder im Fall von Hertha: viele Neuzugänge sorgen für kein Team, das Spiele gewinnt. Dafür braucht es Chemie, die sich im Westend nie entwickeln konnte. Dafür braucht es den Glauben an die Mannschaft und den Verein, der bei der Hertha immer wieder zerrüttet wurde. Dafür braucht es verschiedene Spielertypen - von Anführern über Knipser bis hin zu Arbeitstieren - nach denen die Berliner nie mit einer klaren Linie geforstet haben.

Das Ganze ist größer als die Summe aller Teile, so soll es eigentlich sein im Fußball. Aber beim BSC war das nie der Fall. Ein beharrliches, hart zu bezwingendes Team konnte sich aufgrund der vielen Neuen auf dem Feld, an der Seitenlinie und in den Chefpositionen nie entwickeln. Die Unruhe rund um den Verein tat ihr Übriges. Eine klare Rangordnung im Team, definiert von Leistung und Erfahrung, und Spieler, die sowohl mit Leistung als auch mit Worten vorangehen, beides fehlt Hertha seit Jahren. Eine klare Planung, eine deutliche Strategie - wie denn die Identität des BSC laute, wie denn der Spielstil des Klubs aussehe - gab es nicht und so konnte auch nicht das richtige Personal eingekauft werden.

Ein Coach hat die Aufgabe, eine selbstbewusste und wettbewerbsfähige Mannschaft zu bauen. Dafür benötigt er Zeit, die er in Berlin oft nicht bekam, Ruhe, die der ehemalige "Big City Club" selten bereitstellen konnte und Fähigkeiten, die die vielen Hertha-Trainer meist nicht mitbrachten. Nie gelang es, ein gemeinsames Ziel zu schaffen und zu verwirklichen. Die dissonante Führung im Klub wirkte sich negativ auf die Kicker aus und untergrub das emotionale System, das den Spielern hilft, ihr Bestes zu geben. Bei Herthas Führungsstil konnten die Spieler kaum anders, als sich irgendwann entmutigt, unmotiviert und ausgebrannt zu fühlen. Das Umfeld im Verein strahlte nie Stärke, sondern oft Hilflosigkeit aus. Verwirrung statt Ideen. Furcht vorm Scheitern statt Sieger-Mentalität.

"Berliner Weg" vs. schwarzer Schlund

Und so fehlte der Alten Dame in den vergangenen Jahren auch immer ein Stück Herz, das sie für die Verwandlung der alten Tradition in die Neuzeit, oder den Aufbau einer neuen, so bitter nötig gehabt hätte. Die neue Klubführung hofft, einen Weg gefunden zu haben. Und der "Berliner Weg" trägt in der Tat erste Früchte. In der Katastrophensaison stellte Hertha BSC mit durchschnittlich über 52.000 Zuschauern im Olympiastadion einen historischen Rekord auf. In der Krise entdeckten viele Menschen in Berlin und Brandenburg ihren Verein neu - und doch müssen sie nun um ihn bangen. Wenige Wochen vor dem Ende der Frist am 7. Juni 2023 um 15:30 Uhr ist weiterhin unklar, ob es Hertha BSC in seiner aktuellen Form in der nächsten Saison überhaupt noch geben wird. Die Lizenzerteilung der DFL ist noch lange nicht unter Dach und Fach, die Durchfinanzierung der kommenden Saison gestaltet sich kompliziert.

Zahlreiche Topverdiener werden den Klub nun verlassen, Abnehmer werden händeringend gesucht, an einem Kader für die zweite Liga schon seit einigen Wochen im Hintergrund gebastelt. Hertha BSC muss die Personalkosten deutlich senken, sich vom Rückschlag des Abstiegs erholen, um dann im Unterhaus anzukommen. Im Klub hoffen sie auf die Unterstützung und die Geduld der Anhänger.

Sie hoffen ebenfalls darauf, dass der Fall ins Nichts, in den bedrohlichen, schwarze Schlund vorerst gestoppt werden kann. Dass er den BSC nicht auf lange Zeit verschluckt. Mahnende Beispiele wie TSV 1860 München oder den 1. FC Kaiserslautern gibt es genug. Ein Stabilisieren auf dem Niveau des Hamburger SV dürfte in der kommenden Saison bereits als Erfolg gelten, ein Wiederaufstieg - wie er dem FC Schalke 04 oder auch Werder Bremen - sogar als Sensation.

Der Gang in die 2. Liga, er ist ein bitterer, aber ein nötiger für Hertha BSC. Ob schließlich mit heilender Wirkung, wie sie im Westend hoffen? Dit wees kehna!

Quelle: ntv.de

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