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Zieh dich warm an, Malmö! Der beste ESC-Vorentscheid seit Langem

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Deutschland, Schlagerland - auch beim ESC?  Marie Reim könnte dafür sorgen.

Deutschland, Schlagerland - auch beim ESC? Marie Reim könnte dafür sorgen.

(Foto: NDR / Claudia Timmann)

Ikke Hüftgold oder Lord of the Lost? Auf diese Frage ließ sich der ESC-Vorentscheid 2023 eigentlich reduzieren. Diesmal ist es anders. Tatsächlich dürfte eine Reihe an Kandidatinnen und Kandidaten echte Chancen haben, das Ticket zum Finale in Malmö zu lösen, auch wenn einer zu dominieren scheint.

Wer heute um 20.15 Uhr das Erste einschaltet, sieht dort: "Ich will mein Glück zurück". Der Sender entschied sich doch glatt dafür, zur Primetime lieber eine Schmonzette mit so verdienten Darstellern wie Michaela May und Helmut Zierl auszustrahlen als den Vorentscheid zum diesjährigen Eurovision Song Contest (ESC). Das Live-Ereignis wandert stattdessen ins Spät-Programm. Erst um 22.20 Uhr beginnt "Das deutsche Finale". Bis die alles entscheidende Frage, wer denn nun Deutschlands ESC-Hoffnung in diesem Jahr sein wird, beantwortet ist, dürfte es locker Mitternacht werden.

Klar, das Erste reagiert damit auch auf das gesunkene Interesse an der Show in den vergangenen Jahren. Das wiederum hat mit den Pleiten, dem Pech und den Pannen zu tun, mit denen Deutschland seit einer gefühlten Ewigkeit beim Song Contest zu kämpfen hat. Selbst gestandene Rockstars wie Lord of the Lost schafften es 2023 nicht, die ESC-Gemeinde aus dem Tal der Tränen zu führen. Im Vorentscheid schüttelten sie mit Ballermann-Ikone Ikke Hüftgold zwar souverän den Hauptkonkurrenten ab. Doch beim Finale in Liverpool holten sie mit ihrem Song "Blood & Glitter" - mal wieder - nur den letzten Platz.

Dabei hätte es der Vorentscheid in diesem Jahr durchaus verdient gehabt, sein Dasein nicht nur im Nischenfernsehen zu fristen. Wer früh ins Bett geht, könnte das in der Tat bereuen. Anders als beim vorangegangenen Titanenkampf "Lord vs. Hüftgold" könnte es diesmal gleich zwischen einer ganzen Handvoll Kandidatinnen und Kandidaten spannend werden. Und das, obwohl - oder gerade weil - ihre Präsentationen äußerst unterschiedlich sind. Die Kritik, dem Publikum in den Vorentscheiden zuletzt zu viel 08/15-Pop-Einheitsbrei vorgesetzt zu haben, scheinen sich die Macher der Show tatsächlich zu Herzen genommen zu haben.

Elfe, Ethno, Ohrwurm

Da wäre etwa das Duo Galant mit seinem minimalistischen Elektro-Pop-Song "Katze". Trotz eindeutiger Anleihen bei der Neuen Deutschen Welle muss jedoch keiner Angst davor haben, einer Reinkarnation von Nickerbocker und Biene zu begegnen. Schon eher fühlt man sich an die Coolness der Berliner Frauen-Truppe Laing erinnert, die 2015, wenn auch erfolglos, beim deutschen Vorentscheid teilgenommen hatte. Galants Retro-Charme samt Monitor-Kulisse aus dem letzten Jahrtausend nimmt einen gefangen, auch wenn es auch für sie vielleicht nicht ganz für das Ticket nach Malmö reichen dürfte.

Anders sieht das bei Bodine Monet aus. Die Niederländerin mit der Bereitschaft zur Nachbarschaftshilfe trifft mit ihrem Auftritt und dem Song "Tears Like Rain" schon ziemlich exakt einen guten alten ESC-Nerv. Da steht sie nun zwischen einem Haufen Gestrüpp auf der Bühne. Barfuß, nachdem sie sich bei den Proben, die sich ntv.de angesehen hat, kurz zuvor aus ein paar wärmenden Ugg Boots geschält hat. Ihr von einem Backgroundsängerinnen-Quartett unterstütztes Lied hat dabei nicht nur eine verdammt eingängige Hook, sondern weckt auch Erinnerungen an den Song "Only Teardrops", mit dem Emmelie de Forest 2013 den ESC für Dänemark gewann. Ein bisschen Elfe, ein bisschen Ethno, viel Ohrwurm - das könnte ankommen, hierzulande wie in Malmö. Zwar gibt es keinen Grund zu flennen, aber dass in beiden Liedern geweint wird, könnte auch noch so ein Omen sein.

Zu denen, die etwas dagegen haben dürften, gehört mit Marie Reim eine Kandidatin, die einen noch unmittelbareren Bezug zum ESC hat als Bodine Monet. Schließlich ist sie die Tochter von Matthias Reim und Michelle, die 2001 mit "Wer Liebe lebt" Deutschland bereits bei dem Wettbewerb vertreten hat. Marie Reims Song "Naiv" erfüllt - wie sollte es anders sein - lupenrein das Klischee des Schlagers. So schrecklich, wie viele das finden dürften, so unbestreitbar ist, dass diese Art von Musik in Deutschland einfach ankommt. Und damit, so ernüchternd dies für manche auch sein mag, wäre "Naiv" ein durchaus authentischer Beitrag für Malmö. Dass sich die platinblonde Sängerin im roten Mama-Michelle-Gedächtniskleid dabei auch noch von ein paar oberkörperfreien Tänzern auf der Showtreppe begleiten lässt, passt noch dazu zum ESC wie die Windmaschine.

Schweden oder Island?

Ein Kontrastprogramm dazu liefert Isaak - in so ziemlich jeder Hinsicht. Hauptfrage bei den Proben war eigentlich, mit welchem Schlabbershirt genau er nun in seiner überdimensionalen Videowand-Kulisse abtaucht. Letztlich ist es aber egal, in welchem Outfit der aus diversen Castingshow-Formaten bereits bekannte Sänger einem seinen treibenden Song "Always On The Run" entgegenschleudert. Bei der an Pop der Marke Bastille erinnernden Hymne wird nicht lange gefackelt - Isaak schmettert ohne großes Intro direkt los. Musikalisch hat das auf jeden Fall Qualität - und vielleicht auch das Potenzial, im Vorentscheid vorne mitzumischen.

Ähnlich sieht das im Fall von Ryk aus - mit dem Unterschied, dass es bei seinem Song "Oh Boy" gediegener und deutlich getragener zur Sache geht. Würde man Isaaks Beitrag im Ausland vielleicht am ehesten in der Schweden-Erfolgspop-Ecke verorten, wäre Ryk wahrscheinlich die Art Künstler, die man in Island zu Hause wähnen würde. Einsam steht er auf einem Podest auf der Bühne, gefangen von einem kühlen Lichtkegel und schluchzt drauflos. Das klingt ebenso modern wie irgendwie mystisch und magisch. In dem sich immer weiter nach oben schraubenden Song geht es um die unerwiderte Liebe - die Liebe der ESC-Fans könnte Ryk damit aber allemal gewinnen.

Zumindest einen Teil dieser Liebe hat unterdessen Floryan schon gewonnen. Schließlich wurde er im Castingformat "Ich will zum ESC!", in dem Conchita Wurst und Rea Garvey noch einen allerletzten Platz im Vorentscheid zu vergeben hatten, zum Sieger gekürt. Auch in seinem Lied "Scars" geht es um Verletztheit, die durch Ablehnung entsteht. Der 28-Jährige aus Künzelsau, der aus dem Nichts auf einmal im Rampenlicht landet, dürfte so oder so jede Menge Sympathiepunkte sammeln. Noch dazu, da das von ihm selbst mit komponierte Lied wirklich zum Gänsehaut-Beschleuniger taugt. Einziges Problem: "Scars" ist dummerweise größer als sein Interpret selbst. Stimmlich fällt es Floryan dann doch schwer, bei der Konkurrenz mitzuhalten. Daran könnte sein ESC-Traum letztlich scheitern.

Der größte Grand-Prix-Moment?

Einen Traum hat auch Max Mutzke - den Traum, 20 Jahre nach seiner ersten ESC-Teilnahme seinen Hut noch einmal bei dem Wettbewerb in den Ring werfen zu dürfen. Als zweifelsohne prominentester Kandidat im Vorentscheid schwebt er durch die Veranstaltung wie eine graue Eminenz mit Übervater-Charisma. Auch, wenn Mutzke im Interview mit ntv.de seinen achten Platz in Istanbul 2004 beklagte - dass er echtes Talent hat, wussten natürlich schon damals alle. Und in den vergangenen 20 Jahren hat er auch noch einmal ordentlich dazugelernt. An Professionalität steckt er zweifelsohne die gesamte Konkurrenz in die Tasche - egal, ob es um sein Bühnenbild geht, seine Präsenz oder seine nach wie vor unfassbare Stimme.

Nur sein Lied "Forever Strong" ist nicht ganz so stark, wie er es gerne hätte. Ob er wirklich den "größten Grand-Prix-Moment" von allen kreiert, wie er im Interview munkelte, sei einmal dahingestellt. Nicht auszuschließen, dass ihm einer der Newcomer am Ende doch den Rang abläuft und die bereits sicher gewähnte Vorentscheidskrone dann doch entreißt.

Komplettiert wird das Feld durch Songwriter NinentyNine mit seinem funky Song "Love On A Budget" und Sängerin Leona, die mit Schleier im Haar die Ballade "Undream You" zum Besten gibt - die beiden wahrscheinlich schwächsten Beiträge in diesem Jahr. Aber: Man weiß ja nie - wir sprechen hier schließlich vom ESC. Eines allerdings steht fest: Der diesjährige Vorentscheid ist einer der besten seit Langem. Ausgang ungewiss.

Quelle: ntv.de

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