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Zwei Bärinnen und eine Schlange Shalevs Buch über Rache

Eine Viper. Die Giftschlangen gehören zu den letzten gefährlichen Tieren, die es in Israel noch gibt.

Eine Viper. Die Giftschlangen gehören zu den letzten gefährlichen Tieren, die es in Israel noch gibt.

(Foto: REUTERS)

Eigentlich soll Ruta ihrem Gast etwas über die Geschichte ihres Dorfes in Nordisrael erzählen. Stattdessen berichtet sie über Verlust, Mord und Blutrache. Im Gespräch mit n-tv.de braucht Meir Shalev nur ein Wort, um sein Buch "Zwei Bärinnen" zu beschreiben.

Etwas Großes und Schlimmes stand bevor, das wusste Ruta Tavori, als sie ihrem Mann bei seinen Vorbereitungen zuschaute. Wie er den Kaffee kochte, die Schnürsenkel der Wanderschuhe prüfte, Proviant einpackte, eine Hacke, eine Plane. Alles wie zu ihren einstigen gemeinsamen Ausflügen. Nur Großvaters Gewehr zeugte davon, dass er diesmal aufbrach, um Blut zu rächen. Das alte Mauser hatte schon im Ersten Weltkrieg getötet. Und war 1930 benutzt worden, dem Jahr, als in Rutas Dorf drei Bauern Selbstmord begannen. Nur dass alle wussten, dass damals nur zwei der angeblichen Selbstmörder Hand an sich gelegt hatten.

Das war 70 Jahre her, wer will davon noch reden? Ruta, die Bibelkunde-Lehrerin der Schule am Ort. Eigentlich suchte ihre Besucherin Hilfe für ihre Forschungsarbeit über die Geschichte der landwirtschaftlichen Moschawot, den Siedlungen des Baron Rothschild. Doch die etwas geschwätzige Ruta will über ihren Großvater reden. Über ihr Kind, das starb. Über ihre große Liebe, den Mann, der sich aus Gram über den Tod seines Sohnes zwölf lange Jahre die schwersten Lasten aufbürden wird. Und darüber, wie alles begann, als ihr Großvater sich in der Nähe des Wadis mit dem Johannisbrotbaum ansiedelte. Mit einem Gewehr, einer Kuh, einen Baum und einer Frau im Gepäck.

Ein Wort für ein ganzes Buch

Bei jedem seiner Bücher brauche er zwei bis drei Sätze, um zu erklären, worum es geht, erzählt Meir Shalev. Bei "Zwei Bärinnen" brauche er nur ein Wort: Rache. Das sei das Thema. "Es gibt zwei, drei Racheakte und sie sind alle hart, physisch brutal", sagt Shalev im Gespräch mit n-tv.de.

Meir Shalev ist einer der bekanntesten israelischen Autoren. Neben seinen Romanen und Kinderbüchern hat Shalev auch einige Werke über das Alte Testament veröffentlicht. Er lebt in Jerusalem und Nord-Israel.

Meir Shalev ist einer der bekanntesten israelischen Autoren. Neben seinen Romanen und Kinderbüchern hat Shalev auch einige Werke über das Alte Testament veröffentlicht. Er lebt in Jerusalem und Nord-Israel.

(Foto: Bastian Schweizer / Diogenes Verlag)

Aber das ist nicht das Einzige, was dem Roman "Zwei Bärinnen" eine archaische Note verleiht. Es ist vor allem die Figur des Seev Tavori, des Großvaters der Erzählerin Ruta. Ein einfacher, schwer arbeitender Mann, der zu einem harten, unnachgiebigen Familienoberhaupt wird und erst als Großvater weiche Seiten zeigt. Auch in anderen Romanen Shalevs, wie etwa in "Fontanelle", sind es die Großväter, um die sich die Familienlegenden stricken. Was für eine Person war Shalevs eigener Großvater? "Er war eine sanfte Person und hatte nichts von diesem Großvater", sagt Shalev. "Für ihn war es schwierig, mit den Herausforderungen des Pionierlebens vor 100 Jahren fertig zu werden. Er war auf anderen Gebieten sehr talentiert, hätte Dramatiker, Musiker, Künstler werden können."

Er würde sogar sagen, der Großvater aus "Zwei Bärinnen" sei ein Mann, wie er ihn nie getroffen habe, so der Autor weiter. Die Geschichte über einen Mann, der den Liebhaber seiner Frau umbringt, sei jedoch eine wahre Geschichte aus dem Dorf, das er beschreibe. "Rutas Mann Etan rächt sich dann jedoch nicht aus Eifersucht, sondern aus Loyalität, eine biblische Blutrache. Und wird dadurch erlöst", meint der Schriftsteller. Darüber hätten sich einige Leser in Israel moralisch empört. Für Shalev muss Literatur jedoch nicht moralisch sein. "Ich mag keine erzieherischen Bücher, weder als Schriftsteller noch als Leser." Er könne sich zudem nicht mit der Rache aus Eifersucht, wohl aber mit der Blutrache identifizieren. "Theoretisch und hypothetisch natürlich. Denn ich fürchte das Gesetz. Aber rein moralisch betrachtet kann ich das Verlangen, denjenigen umzubringen, der einen Verwandten, einen Sohn, einen guten Freund getötet hat, verstehen."

Das wahre Leben

Erschienen im Diogenes Verlag, Hardcover Leinen, 464 Seiten, 22,90 Euro

Erschienen im Diogenes Verlag, Hardcover Leinen, 464 Seiten, 22,90 Euro

Auch wenn die Gegenwart bei "Zwei Bärinnen" in den Nullerjahren angesiedelt ist, findet die moderne Welt darin praktisch nicht statt. "Ruta lebt tatsächlich weder in einer Zeit noch an einem Ort, wo sie einen Latte Macchiato trinken würde", bestätigt Shalev lächelnd und nimmt ein Schluck von seinem. "Selbst wenn sie eine Espresso-Maschine hätte, würde sie einen Kaffee aus der alten Kanne bevorzugen."

Seine Figuren lebten nicht in Tel Aviv, sondern auf dem Land, das mache einen großen Unterschied aus, auch in einem kleinen Land wie Israel. Die Hälfte seiner Familie würde auf dem Land leben und Kühe halten. "Verstehen Sie mich nicht falsch, das ist alles sehr fortschrittlich dort: Die ganze Farm ist computerisiert, jede Kuh hat ihren Code." Dennoch habe die Nähe zur Erde, zu den Bäumen, zu den Tieren für ihn etwas, was das wahre Leben ausmache. "Deshalb bevorzuge ich persönlich auch das Dorfleben, auch wenn ich in jeder Großstadt in Europa und Amerika war und lange in Jerusalem gelebt habe."

Diese Ursprünglichkeit ist einer der Gründe dafür, dass der Tod auch in der biblischen Form einer Schlange in die Familie Tavori kommt: "Ich wollte, dass es durch ein Tier geschieht. Vor Jahren hatten wir in Israel drei gefährliche Tiere: den Bären, den Löwen und die Schlange. Heute gibt es keine Bären und Löwen mehr. Aber jährlich werden zwei, drei Leute durch Schlangenbisse getötet. Es ist die Viper, die der Killer bei uns ist."

Shalev nimmt die Leser in "Zwei Bärinnen" mitten hinein in das Herz einer Familie, mit ihren Erinnerungen, ihrer Freude und vor allem ihrem Schmerz. Stück für Stück entwirft Shalev sein kunstvolles Tableau und beschert dem Leser das Vergnügen, im fertigen Bild alle zuvor kennengelernten Farben wiederzufinden. Wie schon seine vorherigen Bücher wurde auch dieses von Ruth Achlama übersetzt - eine wunderbare Arbeit, denn Shalev ist ein Meister der scheinbar unübersetzbaren Wortspielereien, die oft tief im Alten Testament wurzeln. Wie der Titel des Buches, der sich auf die biblische Legende des Propheten Elischa beruft, der einst wegen seiner Kahlköpfigkeit von Kindern ausgelacht wurde, woraufhin die Kinder von zwei Bärinnen zerrissen werden - ein hübscher Schreibfehler in der Bibel, denn gemeint waren zwei Bären.

Mit den zwei Bärinnen beweist Shalev, der erst mit 40 Jahren anfing, Bücher zu schreiben, erneut, was für ein großartiger Erzähler er ist. Von ungefähr kommt das nicht: "Wir sind die schreibende Familie", bestätigt Shalev und zählt alle auf: seinen Vater, der Dichter war, seine Schwester, die Lektorin, seine auch hierzulande bekannte Cousine Zeruya und ihren ebenfalls schreibenden Bruder, der aber eigentlich Mathematiker sei, sowie deren Vater, der sich als Literaturkritiker einen Namen gemacht hatte. Seine Kinder würden bislang keine Ambitionen zeigen, er dränge sie beide nicht. Er habe auch nie vom Schreiben geträumt, er habe Zoologe werden wollen. "Und das will ich immer noch werden."

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Quelle: ntv.de

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