Drei Romane für den Herbst Von Rätseln, Liebe, Krieg und Glück


Wenn die Tage wieder kürzer werden, bleibt mehr Zeit zum Lesen.
(Foto: ntv.de)
Clayton Stumper wächst in einer seltsamen Kommune auf und muss nach dem Tod seiner Ziehmutter das Rätsel seiner Herkunft lösen. Evan verkriecht sich nach dem Tod seiner Tochter in einem irischen Dorf und in einer Scheune versteckt sich ein Deserteur. Drei Romane, die es zu lesen lohnt.
Das Rätsel des Lebens
Clayton Stumper wächst in einer Kommune auf, in einer etwas seltsamen Kommune. Denn Clayton ist mit Abstand der Jüngste in einer Gruppe zum Teil hochbetagter älterer Herrschaften, die sich die "Gemeinschaft der Rätselmacher" nennen.
Veni, vidi, solvi ("Ich kam, ich sah, ich löste") ist das Motto dieser Gemeinschaft aus Kreuzworträtsel-Erfindern, Labyrinth-Bauern und Rätselkisten-Handwerkern. Als Neugeborenes wurde Clayton auf den Stufen des Hauses der Gemeinschaft in Bedfordshire ausgesetzt und von ihrer Gründerin, der Kreuzworträtsel-Expertin Pippa Allsbrook, als Kind angenommen. Auch wenn er selbst keinerlei geniale Züge hat, ist die Welt dieser schrulligen Herrschaften sein Zuhause, in dem er zu einem jungen Mann heranwächst. Zu einem jungen Mann, der sich etwas altbacken geriert und einen Sherry dem Bier-Pong immer vorziehen würde.
Doch dann stirbt Pippa und hinterlässt ihm ausgerechnet ein Rätsel. Er soll das Geheimnis seiner Abstammung lösen. Die Hinweise sind naturgemäß schwierig zu entschlüsseln und zudem überall verstreut. So wird Clayton in seiner Trauer gezwungen, das vertraute Terrain seiner Kindheit und Jugend zu verlassen und sich im wahrsten Sinne auf in die Welt zu machen.
In Samuel Burrs Debütroman, übersetzt von Karl-Heinz Ebnet, ist sein Film-Hintergrund immer wieder deutlich spürbar. Nicht nur Clayton, auch seine Ziehmutter Pippa und all die anderen Rätselmacher sind herrlich lebendige Figuren, denen man mit Vergnügen folgt. Vor allem aber schickt er seinen liebenswürdigen Protagonisten Clayton auf eine höchst inspirierende Reise, auf der er nicht nur das Rätsel löst, sondern auch noch die Liebe findet und sich des Geschenks von generationsübergreifender Freundschaft und selbstgewählter Familie bewusst wird.
Trauer, Hoffnung und das Meer
Ein Debüt ist auch Roisin Maguires "Mitternachtsschwimmer", übersetzt von Andrea O'Brien. In einer Lebens- und Ehekrise kommt darin Evan nach dem Tod seiner kleinen Tochter in das Dorf Ballybrady an der irischen Küste. Er hat von der etwas seltsamen Grace ein kleines Haus gemietet, in dem er zunächst nur eine Woche bleiben will. Doch wie es in diesen Lebenssituationen so ist, entwickeln sich die Dinge anders.
In diesem Fall ist es die Corona-Pandemie, die es Evan erlaubt, remote zu arbeiten und eine Rückkehr auch gar nicht zulässt. Dann schickt ihm seine plötzlich systemrelevante Frau auch noch den achtjährigen Sohn Luca, der gehörlos ist. Und obwohl Grace wirklich widerborstig und eigenwillig ist, graues Haar und Tränensäcke hat, ist ihre harte, aber herzliche Art für Evan extrem anziehend.
Evans Plan, schnell wieder ein funktionierender Geschäftspartner, Ehemann und Vater zu werden, löst sich in der seltsamen Isolation und den Anforderungen dieser Tage bald auf. Grace scheint mit ihrer Verachtung für die "Stadtmenschen" bei dem verloren wirkenden Mann und seinem Sohn Luca wiederum bereit, eine Ausnahme zu machen.
Maguire, die Kreatives Schreiben studiert, aber auch als Busfahrerin, Türsteherin und Lehrerin gearbeitet hat, schreibt ganz dicht an sich selbst. Tauchen, Angeln, Schwimmen, auch wenn das Wasser längst eiskalt ist, das verbindet sie mit Grace. Im Roman werden daraus präzise Schilderungen alltäglicher Verrichtungen, während sich die beteiligten Menschen einander jedes Mal ein wenig mehr öffnen. "Wenn es ihnen wehtut, verkriechen sie sich in sich selbst", sagt Grace über einen Kormoran, der sich in einer Angelschnur verheddert hat. "Es braucht jemand anderen, um sie zu befreien." So geht es offenbar auch Evan, Grace und Luca in dieser poetischen Liebesgeschichte, die trotz der bekannten Motive einen Zauber entfaltet, dem man sich nur schwer entziehen kann.
Tagebuch des Großvaters wird Roman
Volker Jarcks Roman "Und später für immer" nimmt die Lesenden mit in die letzten Tage des Zweiten Weltkrieges. Johann Meinert, Feldwebel der Deutschen Luftwaffe, ist desertiert und will, versteckt in der Scheune von Tante und Onkel, das Kriegsende abwarten. Irgendwo in der Nähe von Stade hofft er darauf, dass dieses Ende schneller kommt als die Greifer, die Feldjäger, die nach Menschen wie ihm suchen.
Fast fünf Jahre ist Johann schon im Krieg, seit zwei Jahren schreibt er Tagebuch. Er schreibt es für seine Frau Emmy, die er im Fronturlaub geheiratet hat, und für sein neugeborenes Kind. Doch nun hat er das Tagebuch wohl verloren, es könnte ihn verraten. Tatsächlich steht überraschend das 16-jährige Nachbarsmädchen Frieda in der Scheune, der sofort klar ist, dass Johann dort nicht sein dürfte.
Zwischen den beiden entspinnen sich Gespräche über die Schicksale in Kriegszeiten, das sinnlose Sterben des einen und das möglicherweise ebenso sinnlose Überleben des anderen. Friedas Brüder sind gefallen, Johann lebt, aber das Mädchen hat dieses Überleben in der Hand. Ist ein Leben besser als ein anderes, wenn doch der Krieg für alle derselbe ist? Im Dunkel der Scheune erinnert sich Johann, an Tage der Kindheit, den Moment, als die ganze Besatzung der JU beschließt, dass der Krieg für sie vorbei ist, die wertvollen Stunden mit Emmy. 25 Jahre, das ist zu jung zum Sterben.
Jarck schreibt im Nachwort, er sei der "dankbare Enkel eines Deserteurs". Werner Jarck, der im Dezember 2000 80-jährig starb, hat aus den Kriegsjahren so gut wie nichts erzählt, aber ein paar Worte in einem Taschenkalender des Jahres 1944 hinterlassen. Diese Bleistiftzeilen waren die Inspiration für den Roman, der trocken norddeutsch und sehr lesenswert von der Schwierigkeit erzählt zu überleben und vom Willen der Menschen, den schwierigsten Zeiten noch Glück abzugewinnen.
Quelle: ntv.de