Lucky Luke wird 70 Wie der Cowboy schießen lernte
07.12.2016, 10:00 Uhr
Das rote Halstuch hat Lucky Luke 1946 schon - aber ansonsten sieht er in dieser Version sehr ungewohnt aus.
(Foto: Lucky Comics)
Seit 70 Jahren reitet Lucky Luke durch den Wilden Westen. Das Rauchen hat er sich abgewöhnt - weshalb man ihm sein Alter auch nicht ansieht. Ein Jubiläumsband gibt nun Einblick in die Frühphase des Cowboys - und feiert Schöpfer Morris.
Geburtstage von Comic-Helden haben etwas Unwirkliches. Batman und Superman als bald 80-jährige Greise? Asterix und Obelix als in die Jahre gekommene Gallier? Micky Maus, die auf die 90 zusteuert? Das widerspricht dem Bild, das die Leser von ihnen haben - von agilen Superhelden, sich raufenden Abenteurern und einer pfiffigen Maus.
Auch Lucky Luke ist einer dieser Helden, die nie altern. Egal wie weit die Zeit des Wilden Westens zurückliegt - auf seine Leser wirkt der Mann, der schneller schießt als sein Schatten, als habe er gerade erst seinen Jolly Jumper gesattelt und mache sich frisch auf, Ganoven zu entwaffnen, die Daltons zu jagen oder Indianern zu helfen. Dabei feiert Lucky Luke gerade seinen 70. Geburtstag: Am 7. Dezember 1946 erschien die erste von Morris gezeichnete Geschichte in einem Almanach des belgischen "Spirou"-Magazins. Seitdem reitet er durch Steppe und Wüste, durch Sonne und Regen, durch Comichefte und Alben. Übrigens auch noch nach Morris' Tod: Seitdem schwingt Achdé den Zeichenstift. Und zuletzt unterzog Matthieu Bonhomme mit "Der Mann, der Lucky Luke erschoss" den Cowboy einer gelungenen Neugestaltung.
Doch der runde Geburtstag eines Comichelden ist ja nicht nur Anlass, noch einmal die geliebten Abenteuer hervorzukramen und in Erinnerungen zu schwelgen. Gerade in diesem Fall sollte es auch Grund sein, seinen Schöpfer zu feiern. Dies gelingt mit dem Prachtband "Auf den Spuren von Lucky Luke". Das limitierte Werk, vom Verlag als Artbook angekündigt, handelt natürlich vom berühmten Cowboy. Doch der eigentliche Held dieses Abenteuers ist Morris.
Ein Lebenswerk - bis zum Tod
Für den 1923 als Maurice de Bevere geborenen Belgier war "Lucky Luke" das Lebenswerk. Vom ersten Abenteuer 1946 bis zu seinem Tod im Jahr 2001 arbeitete er fast ausschließlich an der Comicserie. Dieses Durchhaltevermögen war und ist selten im Comicbetrieb. Es beweist, wie zeitlos dieser Held ist, wie gut er auch nach Jahrzehnten noch bei den Lesern ankommt.
Dabei verlief die Geschichte von "Lucky Luke" keineswegs gleichmäßig, wie der Band zeigt, der auf einer großen Ausstellung auf dem diesjährigen Comicfestival von Angoulême basiert. Lange brauchte Morris, bis er die Figur so entwickelt hatte, wie wir sie heute kennen. Lange dauerte es auch, bis sich die liebevoll-skurrilen Charaktere herausgebildet hatten, die die Fans so mögen: von den Daltons und Gefängnishund Rantanplan bis zu Revolverhelden wie Billy the Kid und den morbiden Totengräbern.
Mit Knollennase, Halbglatze und unförmigem Hut stiefelte Lucky Luke durch sein erstes Abenteuer "Arizona 1880". Später bekam er mehr Haare, sogar eine Tolle, er wuchs, wirkte plötzlich jünger und nahm schließlich seine gewohnte Gestalt an - nicht ohne vorher noch die Zigarette im Mundwinkel aus pädagogischen Gründen gegen einen Grashalm zu tauschen. Diese Entwicklung zeigt der Band anhand vieler Bildbeispiele, von Skizzen und Entwürfen bis zu schwarz-weißen oder kolorierten Comicseiten, die freilich auf Französisch sind.
Sechs Jahre in den USA

"Auf den Spuren von Lucky Luke" ist in der Egmont Comic Collection erschienen, 312 Seiten gebunden im Großformat, 70 Euro.
Doch der Band geht auch auf Besonderheiten Morris' ein, die nicht so offensichtlich sind - und deshalb auch für alte Fans eine Offenbarung sein können. So hinterließ etwa sein ursprünglicher Berufswunsch als Trickfilmzeichner tiefe Spuren bei Morris. Nicht nur, weil er meisterhaft Bewegungen einfangen konnte - er soll etwa den Lauf eines Pferdes genau studiert haben, um den Moment abzupassen, in dem der Galopp am dynamischsten wirkt. Morris gilt auch als stilbildend bei der dramaturgischen Gestaltung von Comicseiten: Er variierte die Seite mit Nahaufnahmen und Vogelperspektiven und war wohl der erste franko-belgische Comickünstler, der bis zu Dreiviertel einer Seite für ein einziges Panel verwendete. Weitere Einflüsse kamen natürlich von seinen Zeichnerkollegen beim "Spirou"-Magazin, darunter Jije ("Spirou und Fantasio") und vor allem Franquin ("Gaston"), mit dem er sich lange einen künstlerischen Wettstreit lieferte.
Doch es war eine zusammen mit Jije und Franquin unternommene Reise in die USA, die Morris' Stil schließlich so unverwechselbar machte. Am Ende sollte Morris sechs Jahre jenseits des Atlantiks verbringen, von wo er neue "Lucky Luke"-Abenteuer per Post nach Belgien sandte. Die Impulse, die er von der dortigen Comicwelt bekam - darunter das "Mad Magazin" - ließen ihn einen ganz eigenen Stil entwickeln: Die Zeichnungen wurden realistischer, reduzierter und klarer, von allem Ballast befreit - was ein Grund dafür ist, dass man seine Figuren so schnell wiedererkennt. Nicht zuletzt legte er in dieser Zeit ein großes Archiv über die Geschichte des Wilden Westens an, aus dem er für den Rest seines Lebens seine Ideen schöpfen sollte.
Aus noch einem Grund war der USA-Aufenthalt so wichtig für Morris: In New York traf er auf den Franzosen René Goscinny. Dieser schrieb bald schon - noch bevor er mit "Asterix" weltberühmt werden sollte - die Texte für die "Lucky Luke"-Geschichten. Für Morris war das ein Glücksfall, konnte er sich doch fortan auf die Zeichnungen konzentrieren. Die Alben, die die beiden ab 1955 bis zu Goscinnys Tod 1977 gemeinsam gestalteten, sind denn auch die besten der Serie.
Das Geheimnis der ersten 14 Bände
Der Jubiläumsband, der diese Entwicklung Schritt für Schritt nachzeichnet, ist eine Fundgrube für jeden "Lucky Luke"-Fan. Die Texte sind zwar knapp gehalten, aber informativ. Man erhält Einblick in Entstehung und Geschichte "Lucky Lukes", aber auch in Stil, Quellen und Themen des Comics. Da das Buch auf einer Ausstellung basiert, ist es vor allem reich an Bildmaterial aus allen Schaffensphasen - eine Offenbarung für jeden, der vor allem die späteren Alben kennt und sich näher mit den Anfängen von Morris und seinem Helden auseinandersetzen will.
Wer dagegen einfach mal wieder ein gutes "Lucky Luke"-Album lesen will, dem sei die gerade erschienene Nostalgie-Edition empfohlen. Die Alben, einzeln oder im Schuber erhältlich, schließen eine Lücke, die vielen Lesern Rätsel aufgegeben haben dürften: Warum gibt es die Bände 1 bis 14 nicht im Handel? Die Antwort ist simpel: Die Alben wechselten Ende der 70er Jahre den Verlag - von Koralle zu Ehapa. Weil beide Versionen noch eine Weile parallel erhältlich waren und um Verwechslungen zu vermeiden, startete der Ehapa-Verlag, der heute Teil von Egmont ist, mit Nummer 15.
Die Geschichten der ersten 14 Koralle-Alben gingen freilich nicht verloren, sondern wurden später von Ehapa neu aufgelegt - und mit einer neuen Nummer versehen. Die Nostalgie-Bände, die jeweils ein Abenteuer von Morris und Goscinny umfassen, lassen nun das Layout der früheren Ausgaben neu aufleben. So wird klar: Egal wie alt "Lucky Luke" ist - auf dem Papier ist er unsterblich. Genau wie in den Herzen seiner Fans.
"Auf den Spuren von Lucky Luke" direkt bei Amazon bestellen. Die Nostalgie-Edition ist im Comic- und Zeitschriftenhandel erhältlich. Einen Überblick über die Veröffentlichungen zum Jubiläum gibt es bei Ehapa.
Quelle: ntv.de