Film und Serien

"Der Tod ist ein Arschloch"Bestatter Eric Wrede: "Möchte nicht verbrannt werden"

27.11.2025, 16:23 Uhr
EricWrede © Lebensnah Bestattungen
Wechselte von der Musik- in die Bestattungsbranche: Eric Wrede. (Foto: Lebensnah Bestattungen)

Nach einer Karriere im Musikbusiness wechselt der in Berlin lebende Eric Wrede vor etwas mehr als zehn Jahren ins Bestattungswesen. Seither widmet er sich auf unterschiedlichsten Ebenen Themen wie dem Tod eines geliebten Menschen und der Trauer danach. Mehrere Bücher hat Deutschlands populärster Bestatter mittlerweile veröffentlicht. Das ZDF drehte mit Edin Hasanović in der Hauptrolle den Spielfilm "Sterben für Beginner", der auf Wredes Geschichte beruht.

Nach einer ausgedehnten Kinotour kommt nun die Dokumentation "Der Tod ist ein Arschloch" von Michael Schwarz und Alexander Griesser ins Kino. In deren Mittelpunkt stehen Eric Wrede und seine Mitarbeiterinnen von Lebensnah Bestattungen. Der Film erzählt leise und berührend aus ihrem Arbeitsalltag, in dem das Sterben allgegenwärtig ist. Mit ntv.de hat der 45-jährige Wrede über seine Sicht auf das Leben und das Sterben gesprochen. Er erklärt, wie individuell Trauer ist und macht klar, dass eine Feuerbestattung für ihn niemals infrage käme.

ntv.de: Wie entstand die Idee, eine Doku über die Arbeit eines Bestatters zu machen?

Eric Wrede: Bei uns wurde das nur angefragt. Wir selbst hatten ehrlich gesagt große Zweifel, ob wir das überhaupt machen wollen. Du bist schnell in so einem voyeuristischen Modus. Wir lassen ja einen Kosmos des Vertrauens entstehen mit den Familien. Im Team haben wir heiß diskutiert. Aber der Regisseur Michael Schwarz ist 14 Tage bei uns mitgelaufen, ohne irgendwas zu filmen. Er war einfach nur da, um Vertrauensarbeit zu leisten.

Was hat dich dann vollends überzeugt?

Der Ansatz. Die wollten nicht irgendwas Krasses zeigen, sondern Normalität. Das bringt vielleicht nicht die meisten Klicks, aber es bringt am meisten Nachhaltigkeit im Sinne von Nachwirken. Ich kenne das - wenn Leute fragen "Was war denn die krasseste Beerdigung, die du je hattest?", beantworte ich das nie. Das darf nicht der Maßstab sein. Der Maßstab muss sein: Was brauchen Menschen? Ich finde es immer schwierig, wenn du Minderwertigkeitskomplexe bekommst, weil Hochzeiten für 50.000 Euro ausgestattet werden, aber emotional vielleicht gar nichts bedienen.

Der Film zeigt also bewusst keine spektakulären Szenen?

Genau. Und das Schöne ist: Der zeigt, dass Trauer, Altwerden, Abschied nehmen nicht irgendwelche Themen sind, die eine kleine Gruppe betreffen. Es sind ganz normale Leute, die entdecken, wie relevant für sie die Frage ist: Wie wollen wir eigentlich alt werden und aus dem Leben treten?

Denkst du, dass der Film die Leute dazu bringt, sich mit dem Thema Tod anderes oder überhaupt mal auseinanderzusetzen?

Ich glaube, eine große Barriere ist, Angst zu haben vor Fragen, die ich vielleicht gar nicht beantworten kann. Was ich immer schöner finde, ist, sich darüber Gedanken zu machen, unter welchem Geist Sachen passieren sollen. Also im Sinne von: Deine Mutter sagt dir, ich überspitze das mal: "Mir ist eigentlich egal, was bei meiner Beerdigung passiert, ich will, dass du dich damit gut fühlst. Du bist meine Tochter." So eine Antwort fände ich total schön, weil sie im Zweifel dazu führt, dass du, egal was du machst, kein schlechtes Gewissen hast.

Schlechtes Gewissen ist also auch ein Thema, wenn es um den Tod geht?

Einer der größten Treiber für einen ungesunden Trauerverlauf ist ein schlechtes Gewissen. Gerade bei der Generation unserer Eltern hast du oft Männer, die extrem korsettmäßig Sachen festlegen wollen: "Es muss genau so passieren." Und das ist eigentlich das Schlimmste. Ich kann dir versprechen: Du weißt nicht, was du brauchst, wenn deine Mutter verstirbt. Du kannst 1000-mal drüber nachdenken, du hast vielleicht eine Idee davon. Aber glaub mir: Bullshit. Selbst ich, der damit jeden Tag arbeitet, sage: Nein, das weiß ich nicht.

Es gibt also kein Patentrezept?

Nein. Du kannst nur gucken: Was sind denn die Sachen, die mir helfen, wenn die Scheiße am Brodeln ist? Ich habe irgendwann gelernt: Wenn ich überfordert bin, werde ich sauer. Ich rede sonst sehr viel, wenn ich überfordert bin, rede ich sehr wenig. Und ich fange an zu fotografieren. Total unbewusst. Das sind eigentlich die Fragen, wo ich in Gespräche mit Familien gehe: Was machst du, wenn es dir sonst doof geht?

DTIEA_01_©mindjazz pictures
Särge zu transportieren, gehört zum Tagesgeschäft eines Bestatters. (Foto: mindjazz Pictures)

Du sprichst von "Trauerkompetenz". Wie ist das gemeint?

Es geht um die Kompetenz, mit Veränderungen umgehen zu können. Und wir haben gerade eine Zeit des permanenten Endes - Ende der friedlichen Zeiten. Ich bin groß geworden mit Krieg, der sehr weit weg war. Trauer heißt eigentlich nichts anderes als: Hier in diesem Raum passiert Scheiße, die wir beide nicht wollen. Aber wir finden Techniken und Kraft, dass wir rausgehen aus dieser Tür und wissen, da kommt was Neues, mit dem wir umgehen können.

Der Mensch ist aber eben immer auf der Suche nach einfachen Lösungen …

Allerdings. Es gibt einen Berliner Soziologen, Andreas Reckwitz, der dazu forscht. Der sagt: Fehlende Trauerkompetenz führt dazu, dass du Parteien wählst, die dir Antworten von gestern geben. Natürlich gibt es nichts Schöneres, als zu dir zu sagen: "Ich kann dafür sorgen, dass das so wird wie früher." Aber damit mache ich mich zu einem riesen Arschloch. Eigentlich muss ich sagen: "Du hast was total Schönes mit deinem Vater gehabt. Und ja, es wird dir auch wieder gut gehen. Aber es wird nie wieder so wie früher."

Was macht ihr in diesem Prozess anders als andere Bestattungsunternehmen?

Ich kann dir eine Geschichte erzählen: In Berlin starb jemand mit Ende 40, der noch zu Hause wohnte. Seine Mutter lebte unten, er oben. Und er hat oben immer Free Jazz Metal gehört - den wir uns beide keine drei Minuten anhören könnten. Seine Mutter sitzt die ganze Zeit da: "Aber ich kann doch für meinen Sohn jetzt kein Bach spielen, wenn er das gar nicht gemocht hat." Und dann hat sie seine Mucke auf der Trauerfeier gespielt. Selbst ich habe das nicht ausgehalten. Aber das war das Schöne: wie diese ältere Dame immer mehr wächst, weil sie es für ihren Sohn macht. Das war noch mal Beziehungsarbeit. Und das sind Momente, die mich berühren - wenn jemand sich was traut, was er sich sonst nicht getraut hätte.

Was empfindest du persönlich als das Wichtigste an deinem Job?

Sprache. Das schärfste Schwert, das wir für Veränderungen haben, ist Sprache. Rede nicht andauernd bedeutungsschwanger und pastoral, sondern erkenn an: Meinem Gegenüber geht's scheiße. Aber mach keine Floskeln. Warum sollte ich zu dir sagen "Mein Beileid"? Ich kann sagen "Ey, tut mir leid" oder "Boah, Scheiße." Und das ist echt sein im Umgang miteinander.

Der Titel der Doku ist also deswegen ebenfalls sehr direkt?

Genau. Und das ist, glaube ich, eine Illusion, die Medien gerne haben: "Das Tabuthema Tod." Tabu ist das nicht. Die wollen alle drüber reden. Diese Kinotour - die Abende sind ausverkauft, und das ist völlig gaga. Aber Menschen wollen ein Instrument haben, um darüber sprechen zu können. Wer bringt mir das bei? Als die erste Aufklärungswelle in Sachen Sexualität kam, war die Frage: Wie sprechen wir darüber? Nicht als Witz, nicht total übertrieben - wie kann eine Sprache sein, über Sexualität zu sprechen, die normal ist, die respektvoll ist und die sich nach einem Gespräch anhört und nicht gestellt? Das Gleiche haben wir beim Tod.

DTIEA_12_©mindjazz pictures
Eric Wrede in der Werkstatt. (Foto: mindjazz Pictures)

Du warst früher Musikmanager. Wie kam es überhaupt zum Wechsel?

Ich hatte das Beste, was ein junger Mann Mitte 20 haben kann, der selbst Musikfan ist: in der Plattenindustrie zu arbeiten. Ich hatte die besten 20er, die ich mir vorstellen konnte. Aber irgendwann - mit 30 - fragt man sich: Was möchte ich machen, wenn ich 50 bin, wenn ich 60 bin? Was sind Sachen, die mich langfristig erfüllen? Und das war nicht die Musik - als Hörer sicherlich, aber nicht mehr als Vermarktungsmensch hinter den Kulissen.

Aber du bist dann ja nicht einfach los und hast nach was anderem gesucht …

Es war Gevatter Zufall. Es ist nicht die große, traurige Geschichte, die mich zum Bestatter geführt hat. Es war ein Radiointerview mit Fritz Roth, einem Pionier der humanen Bestattungskultur, der relativ früh schon gesagt hat: So ein Abschied ist auch eine sinnliche Erfahrung, die man fürs Leben mitnimmt. Ein Abschied, der gut gestaltet ist, den man bewusst erlebt, kann etwas sein, was einen fürs weitere Leben stärkt.

Los ging es mit einem Praktikum, richtig?

Ja, mir war wichtig, die Mechanismen zu verstehen und kennenzulernen. Niemand agiert da böse, das sind einfach Abläufe, die tradiert sind. Und wichtig ist, dass ich mich heute hinstellen und sagen kann: Es gibt Sachen, die mache ich so, weil ich auch weiß, wie es anders ist.

Was waren Dinge, die du als störend oder altbacken empfunden hast?

Es gibt im Amerikanischen einen Begriff: "Unwanted Services" – Dienstleistungen, die du nicht möchtest. Und jetzt kommt noch was ganz Wichtiges: Das sind auch Sachen, von denen du nicht wusstest, dass sie dir was bringen. Wenn jemand eine Beerdigung erlebt und daraus zieht: "Ich habe keinen emotionalen Mehrwert davon", dann wird der Abschied für die Person unwichtig. Anstatt dass sie rausgeht und sagt: "Ja, es ist beschissen, dass mein Mann gestorben ist. Aber ich habe mich gesehen gefühlt. Ich habe eine Perspektive bekommen."

Hast du dafür ein Beispiel?

Ich habe vor ein paar Wochen mit vier Kindern aus einfachen Brettern eine Urne für deren Papa gezimmert. Die war nicht die schönste Urne der Welt, aber mit wie viel Stolz die auf diese Trauerfeier gegangen sind … Die werden ihr Leben lang wissen: Die Urne für Papa haben wir gebaut. Da ging es nicht um Geld, sondern um Zeit, die aufgewendet wurde. Mich interessiert nicht, ob jemand einen Eichensarg oder einen Pappsarg haben möchte. Das hat mit Abschied nichts zu tun. Ob es nachher die teure Marmorurne ist oder nicht, ist auch keine Frage des Abschiedes. Es ist eher die Frage: Was für Schritte gehe ich zwischendurch? Jemanden zu verlieren, ist immer eine gewisse Ohnmacht. Egal, wie viel Geld ich habe, egal, wie schlau ich bin - gegen das Sterben kann ich nichts machen. Und da wieder zurück in eine Aktivität zu kommen, Sachen in die Hand zu nehmen und wieder selbst machen zu können - das ist wichtig.

Würdest du sagen, dass sich Menschen mehr mit ihrer eigenen Beerdigung beschäftigen sollten?

Detailfragen finde ich persönlich total irrelevant. Was ich immer schöner finde, ist, sich darüber Gedanken zu machen, unter welchem Geist Sachen passieren sollen. Ich sagte: Wisst ihr was, meine beiden besten Freunde, die sollen das machen. Die sind am nächsten an meinem Leben dran, selbst, wenn ich verheiratet bin. Und ich habe gar nicht so viel Inhaltliches festgelegt. So eine Veranstaltung von meinen Freunden für meine Freunde. Und ich möchte nicht verbrannt werden. Das habe ich festgelegt. Mehr habe ich nicht gemacht.

Du möchtest keine Feuerbestattung? Ich dachte, das wäre heute Usus?

A: Mir passiert da noch zu viel mit meinem Körper. Und B: Was ist, wenn die doch recht haben? Und am Ende stehe ich da an der Himmelspforte und die sagen "Hey, tut mir leid, du warst Atheist. Aber wenn du jetzt noch ganz wärst, könntest du rein." (lacht)

Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?

Nein, aber es gibt ganz viele Gründe. Ein Körper zu Grabe zu tragen ist was anderes, als diese abstrakte Urne. Und ich mag einfach Friedhöfe. Natürlich. Und große Gräber erhalten diese Friedhöfe.

In Berlin gibt es alles in allem 95 Prozent Feuerbestattungen. Bei euch sind es nur 40 Prozent. Woran liegt das?

Ich schicke Leute noch mal nach Hause und sage: "Okay, ich mach das. Aber sprecht mal drüber. Fragt euch: Wollt ihr das wirklich oder macht ihr das in so einem vorauseilenden Gehorsam?" Und ganz häufig kommt dann: "Du, wir haben da mal gesprochen, wir machen doch eine Erdbestattung." Gerade bei der Generation unserer Eltern ist da oft so ein "Das macht man jetzt so", ohne zu fragen: Wie fühle ich mich denn damit?

Ist halt platzsparend. Klingt tatsächlich sehr pragmatisch … Gibt es etwas am aktuellen Bestattungsgesetz, das sich dringend ändern sollte?

Ich bin da indifferent. Ich kann dir sagen, dass ich 90 Prozent der Wünsche erfüllen kann, wenn es um Bedürfnisse geht. Wenn sich Gesetze ändern sollen, dann schaue ich immer eher in die Richtung: Wie kann ich Menschen, die nicht schützbar sind, schützen? Aber ob wirklich irgendein Gesetzgeber das Recht hat, darüber zu bestimmen, wie lange meine Urne noch zu Hause bleiben darf, bis sie beigesetzt wird - das verstehe ich nicht zur Gänze.

Was wäre also wichtiger als das?

Fristen zu verlängern. Warum musst du dich innerhalb von zwei Tagen entscheiden? Du bist doch nicht entscheidungsfähig in dem Moment. Das ist zum Beispiel etwas, was wir in der Arbeit immer wieder ansprechen.

Der Film "Sterben für Beginner" mit Edin Hasanović basiert auf deiner Geschichte. Wie war es für dich, das zu sehen?

Ich hatte Bammel vor dem Film. Wenn der scheiße geworden wäre, hätte mir das ewig an den Hacken geklebt. Jetzt ist er gut geworden. Dann ist es okay. Die Besetzung ist toll gelungen - Peter Kurth, Edin Hasanović. Das ZDF hat sich im Kosmos des ZDF dann eben doch was getraut. Die haben Szenen gezeigt - sie haben diese Urnenausgabe-Szene drin. Respekt, dass sie das gemacht haben.

DTIEA_07_©mindjazz pictures
Hier kauft der Chef noch selbst die Blumen. (Foto: mindjazz Pictures)

Hat sich eigentlich dein eigener Blick auf den Tod durch deine Arbeit verändert?

Ich bin Hypochonder. Total schlimm. Ich rufe meine Mutter an, sobald ich irgendwo einen Knubbel habe. Sie ist Ärztin. Und wenn ich auf jemanden warte und die Person ist nicht erreichbar - dann geht's los. Das hatte ich vorher nicht. Aber was sich geändert hat: Ich bin sehr radikal im Aussortieren von Sachen, die ich nicht mag. "Don't take Bullshit" - da bin ich konsequent. Die Prozesse führen dazu, dass du irgendwann entdeckst: Das tut mir nicht gut, das tut mir gut. Und da radikaler zu sein, weil du - und das klingt wie ein doofer Kalenderspruch - dir bewusst wirst: Ich bin jetzt 45, wenn es gut läuft, habe ich noch 25 schmerzfreie Jahre. Womit will ich die verbringen?

Ist dein Leben heute erfüllter als früher, als du noch in der Musikbranche gearbeitet hast?

Ich kann diese Sachen - die Doku, das Buch, die Podcasts - machen, weil sich das alles total organisch anfühlt. Nichts davon ist so, dass ich denke: "Muss ich machen". Das Krasse ist: Die kommen zu mir. Die Sachen befruchten sich so. Und aus dem Gefühl heraus kann ich dir sagen: Ich bin gerade ganz schön im Arsch, weil ich die letzten Wochen wirklich viel gearbeitet habe. Aber ich spüre eigentlich keine Belastung. Und das ist so das Größte, was ich fühlen kann.

Nimmst du dir auch bewusst Auszeiten - vom Tod quasi?

Ich fliege morgen nach Sardinien und mache zehn Tage nichts, was mit diesem Thema zu tun hat. Ich laufe zum Beispiel privat nicht auf Friedhöfe. Ich hatte das Gespräch mit einem Hospizleiter aus Bonn, der meinte: "Ich arbeite mit Liebe jeden Tag daran. Ich muss mir jetzt nicht auch noch privat Vorträge anhören." Ich brenne für meine Arbeit. Und ich habe eine Erfüllung gefunden, von der ich vor 15 Jahren nicht mal geahnt hätte, dass es die in der Stärke gibt. Aber ich kann das suspendieren. Und das ist, glaube ich, wichtig.

Mit Eric Wrede sprach Nicole Ankelmann

"Der Tod ist ein Arschloch" läuft ab sofort in den deutschen Kinos.

Quelle: ntv.de

TodDokumentarfilmInterviewsKino