
Ihm ist (fast) nichts heilig: John Wick (Keanu Reeves).
(Foto: picture alliance/dpa/Leonine/Lionsgate)
In bewährter Manier bringt "John Wick: Kapitel 4" mit Keanu Reeves eine auf Hochglanz polierte Gewaltorgie auf die Leinwand. Die führt ihn über den halben Globus und leider auch nach Berlin. Für alle, die dabei zuschauen, gilt: Ist er zu hart, bist du zu schwach.
Er kommt einfach nicht zur Ruhe, dieser John Wick (Keanu Reeves), Hollywoods schweigsamer Testosteronbolzen, der manchmal etwas dümmlich guckt und seine waffenstarrenden Gegner wie Crashdummys aussehen lässt. Damit die Kinokassen auch beim mittlerweile vierten Teil der Reihe klingeln, bleibt Regisseur Chad Stahelski der genretypischen Erfolgslogik treu: weiter so, nur mit mehr Laufzeit, mehr Action, mehr Leichen.
Die Handlung ist schnell erzählt: John Wick hat es sich mit der Hohen Kammer, einer nebulösen Kriminellenorganisation, ordentlich verscherzt, und die versammelte Unterwelt will ihm an den Kragen. Sein langersehnter Auftragskiller-Ruhestand bleibt somit bis auf unbestimmte Zeit verschoben. Besonders schlecht auf Wick zu sprechen ist Marquis de Gramont (Bill Skarsgård), ein Schmierlappen mit französischem Akzent, dem diesmal die Rolle des maximalbösen Bösewichts zuteilwird.
Bevor sich beide im unausweichlichen Showdown gegenüberstehen, kämpft sich Wick unter Zuhilfenahme von Groß- und Kleinkalibern, Katanas oder den bloßen Fäusten durch die altbekannte Parallelwelt der Kopfgeldjäger und Geheimbünde. Zu seinem Glück ist Wick ein waschechtes Steh-auf-Männchen, denn er fällt viel herunter - aus Fenstern und von Treppen - und trotzt dabei jeglichen Gesetzen der Physik und des bürgerlichen Staats sowieso.
New York, Paris und leider auch Berlin
Seine schießwütige Weltreise führt Wick vom Big Apple aus in die Wüste und über Japan bis nach Frankreich. Besagte Schauplätze sind allesamt eindrucksvoll in Szene gesetzt: Die sich mächtig auftürmende New Yorker Skyline entfaltet verlässlich ihre Wirkung als alles verschlingende Großstadt-Gewalt, und auch Paris findet sich stilsicher in den John-Wick-Kosmos ein. Die Massenschießerei auf dem zigspurigen Kreisverkehr um den Arc de Triomphe scheint angesichts des realen Verkehrswahnsinns dort fast lebensnah.
Allein Wicks Abstecher nach Berlin hat geballte Peinlichkeit in petto. Dort treibt es Wick in einen Nachtclub (wohin auch sonst), in dem die offenbar Sonntagmittag vor dem Berghain aufgekehrte Statistenmeute so seelenentleert tanzt, dass sie Wicks wilde Klopperei durch den Saal erst bemerkt, als die Köpfe schon umfangreich eingeschlagen sind. Ganz zu schweigen vom Cameo-Auftritt des Berliner Kult-Türstehers Sven Marquardt als geistesschwacher Lakai namens Klaus, der zunächst einen Lacher, dann aber rasch Fremdscham hervorruft. Gut, dass Wick schnell wieder weg ist. Was bleibt, ist der Wunsch, Berlin möge sein Außenwirkung als technobeduselte Feten-Hauptstadt reflektieren - der Selbstachtung willen.
Geliefert, wie bestellt

Auch Laurence Fishburne als Bowery King (l.) und Ian McShane als Winston (r.) sind wieder mit von der Partie.
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Guten Gewissens lässt sich sagen, dass "John Wick: Kapitel 4" liefert, wie bestellt. Was die Reihe ausmacht, ist die charakteristische Film-Noir-Ästhetik, die audiovisuelle Weltklasse, die einwandfrei und gewiss mit hohem Aufwand choreografierte Action und nicht zuletzt Reeves' Leinwandpräsenz. Dieses Paket bereitet auch im vierten Durchgang durchaus noch Freude. Es dauert nicht lange und man fühlt sich wie in einem Videospiel, in dem der Held sich in atemberaubender Geschwindigkeit durch Feindesscharen, Nebenbosse und Endgegner ballert. Selten dürften in einem Film, der nicht in einem der industriellen Kriege angesiedelt ist, so viele Menschen um die Ecke gebracht worden sein.
Ursprünglich hatten die Macher den Versuch unternommen, ihrer Figur John Wick ein wenig Tiefgang zu verleihen. Besaß dieses Vorhaben im ersten Teil noch eine Partie Glaubwürdigkeit, hat es inzwischen etwas von einem Running-Gag, wenn in einer der seltenen Verschnaufpausen versichert wird, dass der auf Effizienz getrimmte Killer Wick ja immerhin eine Frau liebt und sogar etwas für Hunde übrighat.
Aber warum einen Film hinterfragen, der gar nicht hinterfragt werden soll? Ist es in Zeiten von Supervision und Gesprächstherapie nicht irgendwie erfrischend, einem Mann zuzuschauen, der einzig die urmännliche Form der Problemlösung - Gewalt - beherrscht und stets damit durchkommt? Die Beharrlichkeit, mit der sich Wick jedweder Empfindsamkeit verschließt, erscheint fast wie eine Trotzreaktion auf den Zeitgeist, wie eine nostalgische Antihaltung zum neuen, gefühlsbetonten Männlichkeitsideal.
Überhaupt wäre es Millionen von Fans schwer zu vermitteln, wenn Wick plötzlich mit Blumen im Haar an Klangschalen reibt. Er kann einfach nicht aus seiner Haut, dieser John Wick. Und dennoch: Nach über zweieinhalb Stunden aneinandergereihter Brachialgewalt sehnt man sich nach einer Umarmung, nach ein bisschen Frieden, nach frischer Luft - aber vielleicht ist das auch wieder nur Gefühlsduselei.
"John Wick: Kapitel 4" läuft ab dem 23. März in den Kinos.
Quelle: ntv.de