
Wladimir Putin? Nein, nur sein KI-Klon.
(Foto: Kinostar)
Ehre, wem Ehre nicht gebührt: Die Filmbiografie "Putin" ist einer der ersten Streifen, in denen eine real existierende Figur durchgängig mithilfe Künstlicher Intelligenz zum Leben erweckt wird. So wirkt es beinahe, als würde man den echten Wladimir Putin in Windeln sehen. Doch reicht das für einen gelungenen Film?
Meist wird Menschen eine Filmbiografie erst zuteil, wenn sie schon tot sind. Doch es gibt selbstredend auch Ausnahmen. So widmete etwa Regisseur Ali Abbasi erst vor Kurzem mit seinem Streifen "The Apprentice" Donald Trump ein Biopic, in dem der alte und neue US-Präsident erwartungsgemäß nicht gut wegkam. Den Siegeszug des Republikaners zu stoppen, vermochte aber natürlich auch dieser Film nicht, obwohl er mitten im Wahlkampf veröffentlicht wurde.
Wladimir Putin stoppen - das wird ganz sicher auch Patryk Vega nicht. Dennoch wollte der polnische Regisseur nicht warten, bis der inzwischen 72-jährige Herrscher im Kreml unter der Erde ist, um sich an ihm nun auf der Leinwand abzuarbeiten. Er sei sich am ersten Tag des Ukraine-Krieges sicher gewesen, dass "es wahrscheinlich eines der wichtigsten Themen der Zukunft sein wird", sagt Vega im Interview mit ntv.de. "Und ich beschloss, einen Film über Putin zu machen."
Der 48-Jährige ist kein unbeschriebenes Blatt. Jedenfalls in seinem Heimatland nicht. Unter anderem mit seiner brutalen "Pittbull"-Reihe feierte er zwar beim polnischen Publikum Erfolge. Bei Kritikerinnen und Kritikern, die ihm schon den einen oder anderen Schmähpreis anhängten, ist er jedoch nicht gut gelitten.
Präsentation in Cannes
Um aus diesem Schatten heraus zu treten, hätte sich Vega wohl kaum eine größere Herausforderung als eine Abhandlung über Wladimir Putin suchen können. Die Aufmerksamkeit, auch die internationale, war ihm damit allerdings auf jeden Fall schon mal gewiss, etwa, als er im vergangenen Jahr den Streifen am Rande der Filmfestspiele von Cannes präsentierte. Doch das schlicht "Putin" überschriebene Werk sorgt auch deshalb für Wirbel, weil es zu den ersten zählt, in denen Künstliche Intelligenz (KI) großflächig zum Einsatz kommt, um eine real existierende Figur täuschend echt zu simulieren.
Oder sagen wir: mehr oder minder täuschend echt. Denn obwohl Vega keine technischen Kosten und Mühen gescheut und über zwei Jahre eigens eine KI für seinen Deepfake-Putin entwickelt und trainiert hat, stößt die realitätsgetreue Darstellung des Diktators dann doch immer noch an ihre Grenzen. Da kam es sicherlich zupass, dass hinter der geklonten Visage mit Slawomir Sobala ein Schauspieler steckt, der dem russischen Machthaber tatsächlich von Natur aus bereits ziemlich ähnlich sieht und ihn deshalb auch schon früher parodiert hat. Und dass auch der "echte" Putin eher versteinert daherkommt und nicht gerade dafür bekannt ist, regelmäßig ein mimisches Feuerwerk abzufackeln.
Dass im Kreml nicht gerade der Wodka aus dem Schrank geholt wurde, als Vegas Filmprojekt dort bekannt wurde, liegt auf der Hand. So berichtet der Regisseur etwa im ntv.de Gespräch darüber, wie der russische Geheimdienst versucht habe, über Mitarbeiter der Filmcrew an Informationen über sein Vorhaben zu gelangen. Für eine Vorab-Kopie des Films habe man 100.000 Dollar geboten und sich bei den Kontaktaufnahmen mal als Assistent eines US-Kongressabgeordneten aus South Dakota und mal als Mitarbeiter eines ukrainischen Filmvertriebs ausgegeben.
Vertrauen auf Gott
Nachdem er von den russischen Ambitionen Wind bekommen hatte, habe er mit der Gegenseite zum Schein Verhandlungen begonnen, so Vega. "Es war lustig, weil ich bemerkte, dass sie immer nur zwischen 9 und 17 Uhr Moskauer Zeit mit mir schrieben", fügt er süffisant hinzu. Schließlich habe man sich auf einen Preis von 200.000 Dollar für die "Putin"-Kopie geeinigt. "Ich habe ihnen eine Bankverbindung zum polnischen Geheimdienst geschickt mit dem Betreff 'Bestechungsgeld des russischen Geheimdienstes'. Eine Stunde später erhielt ich eine SMS: 'Sie haben unsere Freundschaft zerstört'", amüsiert sich der Regisseur.
Aber bleibt ihm da nicht das Lachen im Hals stecken? Hat er nach allem, was über den bis zu Mord reichenden Umgang des Kremls mit Regimegegnern bekannt ist, denn gar keine Sorge? "Ich habe vor keinem Menschen Angst. Ich bin Katholik und auf meine Beziehung zu Gott konzentriert", wischt der Filmemacher die Bedenken mit einem Lächeln vom Tisch.
Dass Wladimir Putin über seine Darstellung in Vegas Werk nicht schmunzeln wird, dürfte hingegen klar sein. Schließlich schreckt sie sogar vor harten Schlägen unter die Gürtellinie nicht zurück. Das geht bereits am Anfang des Films los, als ein zitternder, in offensichtlich vollgeschissene Windeln gewickelter, aber immer noch als Präsident agierender Putin von einem Offizier (Thomas Kretschmann) über den Fortgang des Krieges und den angeblichen Niedergang der westlichen Demokratien informiert wird.
Nicht chronologische Erzählung
In der Folge hangelt sich der Film in nicht chronologischer Reihenfolge durch Ereignisse aus der Zeit vor und während Putins Herrschaft, die mal mehr und mal weniger historisch belegt sind. Das reicht von Putins Kindheit unter der Knute eines herrischen und gewalttätigen Stiefvaters (bei der es sich in Wahrheit aber nur um ein Gerücht handelt) über seine Zeit als angeblicher Hänfling und Prügelknabe in St. Petersburger Hinterhöfen bis hin zu seinem Aufstieg zum KGB-Offizier, seinen ersten politischen Tätigkeiten in St. Petersburg und seiner Machtübernahme als zweiter russischer Präsident nach Boris Jelzin im Jahr 2000.
Der Tschetschenien-Krieg, der 1999 ausbrach, als Wladimir Putin bereits Ministerpräsident war, wird ebenso angerissen wie der Anschlag auf das Moskauer Musical-Theater Dubrowka mit weit über 100 Toten 2002 oder die Geiselnahme in einer Schule in Beslan 2004, bei der über 300 Menschen ums Leben kamen. An anderer Stelle geht es um die gefälschten Wahlen, mit denen sich Putin immer weiter an der Macht hielt, und natürlich auch den russischen Überfall auf die ukrainische Krim 2014.
Im Privaten lässt Vega seinen KI-Putin erst im Erwachsenenalter zur Taufe und zu Gott finden (im Gegensatz zur offiziellen Version, wonach der Kreml-Herrscher schon als Kind getauft wurde), während er seine Ehefrau Ljudmila 2012 eiskalt abserviert. "Sie ist meine neue Frau", lässt er die bedröppelte Gattin wissen, während er die Sportlerin Alina Kabajewa in seiner Amtsstube im Arm hält. Szenen wie diese entspringen definitiv der Fantasie des Regisseurs - Belege dafür gibt es nicht.
Spin-Doctor und Strippenzieher
Vega geht es im Kern weder um historische Zusammenhänge noch um Genauigkeit oder detailgenaue Faktentreue. Stattdessen versucht er sich zuvorderst an einer psychologischen Studie des Mannes, der seit einem Vierteljahrhundert an der russischen Staatsspitze steht. Putin wird als eigenbrötlerischer Sonderling charakterisiert, dessen unbedingter Wille, keine Schwäche zu zeigen, sich aus den demütigenden Erfahrungen in der eigenen Kindheit speist. Skrupellosigkeit, Verbindungen zur Mafia, aber auch zu deren Methoden pflastern demnach schon früh seinen Weg. Nachdem er bereits unter dem versoffenen Jelzin als Spin-Doctor fungiert, der Anschläge auf Moskauer Wohnhäuser tschetschenischen Terroristen anlastet, schreckt er, so legt es Vega nahe, als Strippenzieher im Präsidentenamt erst recht vor keiner List mehr zurück - und mag sie auch über noch so viele Leichen gehen.
Sinnbildlich für Putins Gedankenkosmos tauchen im Film immer wieder zwei Gestalten auf, die ihm ins Ohr flüstern - nicht etwa wie Engelchen und Teufelchen, sondern eher wie Teufelchen mal zwei. Zum einen ist da der Junge, der ihn einst verprügelt und ihm damit eine Lektion fürs Leben erteilt hat. Zum anderen ist es eine junge Frau in Gestalt einer sowjetischen Partisanin, die ihn politisch auf Kurs hält.
Das wird, gepaart mit den andauernden Zeitsprüngen in der Erzählung, mit zunehmender Dauer des Films anstrengend. Und es gesellt sich mit der Wurstigkeit, mit der sich Vega einer seriöseren Auseinandersetzung mit der Thematik verschließt, zu den Gründen, weshalb "Putin" aller KI-Schauwerte zum Trotz kein wirklich gelungener Film ist. Denn dafür, Putin auf eine Figur zu reduzieren, die in der Scheiße sitzt, ist die Sache dann doch zu ernst.
Ein Happy End?
Er habe sich für die historische Aufarbeitung vor allem der "vielen Informationen in den Medien" bedient, macht der Regisseur gar keinen Hehl daraus, dass die faktenbasierte Recherche für ihn nicht oberste Priorität hatte. "In Russland gibt es Propaganda. Sie haben der Welt nur das gezeigt, was sie wollten. Wir haben also nur die Version von Putin", rechtfertigt Vega seinen Hang zur Interpretation. Also habe er lieber viele Gespräche mit Russen oder Spezialisten wie Psychologen geführt, um das gedankliche Diagramm des Kreml-Herrschers und seine Verankerung zu entschlüsseln.
Am Ende lässt Vega Putin in seinem Film sterben. "Es sollte ein Happy End sein", erklärt er dazu sarkastisch und unterstreicht damit selbst eindrucksvoll: "Putin" ist vor allem eine Abrechnung.
"Putin" läuft ab sofort in den deutschen Kinos.
Quelle: ntv.de