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Bürgerkriegsszenario "Civil War" Regisseur Alex Garland: "Ja, das ist realistisch"

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In seinem Streifen "Civil War" breitet der britische Regisseur Alex Garland die Vision von einem Bürgerkrieg in den USA aus. Mit ntv.de spricht der Filmemacher über seine Inspiration für das Werk, albtraumhafte Szenen, Donald Trump und die Botschaft, die er dem Kinopublikum mitgeben möchte.

ntv.de: Eine Frage beschäftigt mich, seit ich "Civil War" gesehen habe: Wann hatten Sie die Idee zu diesem Film?

Alex Garland: Ich glaube, von der Idee dazu zu sprechen, wäre nicht richtig. Ich würde es eher so sagen: Ich habe das Drehbuch dazu vor vier Jahren geschrieben. Wenn Sie an diese Zeit zurückdenken, haben damals schließlich alle - Freunde, Kollegen, die Medien - über die Gefahren einer polarisierten Politik gesprochen, die zu Extremismus führt. Nur wenig später, am 6. Januar 2021, gab es dann den Angriff auf das US-Capitol. Vielleicht waren Sie damals angewidert und schockiert, aber wahrscheinlich nicht wirklich überrascht. Man war darauf vorbereitet, dass das passiert. Wenn mächtige Menschen von Spaltung sprechen, münden diese Worte irgendwann in Gewalt. Das zeigt sich immer wieder und wieder.

Vor vier Jahren mag die Möglichkeit eines Bürgerkriegs in den USA bereits ernsthaft diskutiert worden sein. Vor zehn Jahren hätte man Ihren Film hingegen wahrscheinlich noch unter Science-Fiction verbucht. Halten Sie das inzwischen tatsächlich für ein realistisches Szenario?

Ob es ein realistisches Szenario ist, ist wahrscheinlich die Schlüsselfrage. Und meine Antwort lautet: Ja, das ist es. Und zwar, weil es grundsätzlich realistisch ist. Dass Europa und die USA westliche Demokratien sind, klingt wie eine Selbstverständlichkeit. Aber es gibt einen Grund, warum ihre Systeme mit Mechanismen der gegenseitigen Kontrolle und der Presse ausgestattet sind. Es geht darum, sich zu schützen. Wird dieser Schutz entfernt, dann kann das, wovor sie sich schützen, durchdringen. Man könnte also auch fragen: Gibt es auf der anderen Seite des Zauns wirklich etwas, vor dem wir uns schützen müssen? Ist es real? Ja, eindeutig. Es ist gewalttätiger Extremismus, der sich als Faschismus oder in anderer Form manifestieren kann. Und während wir gerade hier sprechen, erleben wir nicht weit von hier, in der Ukraine, eine konkrete Demonstration, wohin dieser Extremismus am Ende führt.

In ihrem Film vermeiden Sie es dagegen, konkrete Bezüge zu realen Ereignissen herzustellen. Aber im Interview kann ich sie ja fragen: Wie stehen Sie vor diesem Hintergrund zur Person von Donald Trump?

Donald Trump ist ein Produkt des Populismus. Es wäre falsch, in ihm die Ursache für diese Dinge zu sehen, sonst würden sie nicht auch in all diesen Ländern passieren, die wirklich nichts mit Donald Trump zu tun haben. Warum gibt es derartigen Populismus in allen möglichen Ländern? Warum hatten wir in meinem Land den "Mini-Trump" Boris Johnson? Es liegt an etwas anderem. An etwas, das schon immer da war. Wir konnten uns nur früher besser davor schützen. Wenn Sie die Schutzvorrichtungen entfernen, dann erscheinen Trump, Johnson, Netanjahu und wie sie alle heißen, auf der Bühne - weil sie eigentlich nie weg waren.

Sie haben es erwähnt: Sie sind Brite. Viele im Cast und Team von "Civil War" kommen dagegen aus den USA. Haben Sie festgestellt, dass es da unterschiedliche Sichtweisen auf das Thema gibt?

Anders als Regisseur Garland stammt Hauptdarstellerin Kirsten Dunst - trotz deutscher Vorfahren - tatsächlich aus den USA.

Anders als Regisseur Garland stammt Hauptdarstellerin Kirsten Dunst - trotz deutscher Vorfahren - tatsächlich aus den USA.

(Foto: A24 / DCM)

Ich bin mir sicher, dass es viele verschiedene Ansichten dazu gab. Aber ich will mein Gefühl - oder meinen vorsichtigen Optimismus - allgemeiner formulieren: Ich glaube, im Kern sind die meisten Menschen eigentlich keine Extremisten. Es ist eher eine bestimmte Art von Lärm, die Extremismus erzeugt. Die Menschen in der linken und rechten Mitte unterscheiden sich in vielen Dingen nicht wirklich voneinander. Die einen wollen vielleicht weniger Steuern, während die anderen zu höheren Steuern bereit sind. Und beide Positionen sind in gewisser Weise verständlich. Das ist es dann allerdings auch schon. Ich würde mich zum Beispiel als Mitte-links beschreiben. Wenn ein anderer Mitte-rechts ist, ist mir das aber an sich egal. Es ist sogar so, dass ich mir wünsche, dass eine linke Regierung nach einer gewissen Zeit die Macht verliert, weil es meiner Ansicht nach nicht gesund ist, wenn eine Partei auf unbestimmte Zeit regiert. Ich glaube, die meisten Menschen haben so eine liberale zentristische Positionierung. Das ist wie im Gefängnis …

Wie meinen Sie das?

Die meisten Menschen im Gefängnis wollen einfach nur die Zeit hinter sich bringen und rauskommen. Sie wollen den Gefängnistrakt nicht selbst führen. Sie wollen nicht großartig in den Handel mit Heroin oder Zigaretten einsteigen. Sie wollen einfach nur durch und raus. Das Problem ist nur, dass der Gefängnistrakt nicht von diesen Leuten dominiert wird. So sind auch die Gesellschaft und unsere Politik ein bisschen. Zentrismus kann als schwache, sanfte und verständnisvolle Position gesehen werden. Aber eigentlich ist seine Aufgabe, zu kämpfen. Ich nehme eine Kampfposition gegen Extremismus ein.

Ihr Film ist kein großes Kriegsgemälde, in dem Sie an verschiedenen Orten im Land hin und her springen. Sie bleiben nah an den Hauptfiguren dran und fokussieren sich auf deren Erlebnisse, wie in einem Roadmovie. Warum haben Sie sich für diese Herangehensweise entschieden?

Ich glaube, das war gar keine Entscheidung. Das ist einfach, wie mein Gehirn funktioniert. Ich neige dazu, einfache, lineare Erzählungen zu schreiben - egal ob bei "Der Strand", "28 Days Later", "Sunshine", "Ex Machina" oder eben jetzt bei diesem Film. Das ist wie ein Mechanismus, bei dem ich auf verschiedene Zutaten und Puzzleteile zugreifen kann, die sich dann zu einer Gesamtstruktur zusammenfügen.

Ihre Hauptfiguren sind Journalisten, die als Kriegsreporter durch die USA reisen. Haben Sie sich für den Film Rat bei echten Kriegsreportern geholt?

In gewisser Weise, denn ich bin mit Journalisten aufgewachsen und kenne mich in dem Metier sehr gut aus. Mein Vater arbeitete als Karikaturist für britische Zeitungen. Viele seiner Freunde waren Journalisten. Mein Patenonkel war Auslandskorrespondent, auch der Patenonkel meines Bruders. Sie waren etwa im Nahen Osten und in Südostasien im Einsatz und haben von dort über Kriege und Konflikte berichtet. Viele ihrer Freunde waren ebenfalls Journalisten und Korrespondenten. Ich kenne diese Leute also schon mein ganzes Leben lang. Einen von ihnen habe ich zum Beispiel erst vor einer Woche getroffen.

In einer Zeit, in der Populisten und Extremisten offenbar zusehends Oberwasser gewinnen, gerät auch der Journalismus verstärkt in die Schusslinie. Bestes Beispiel sind hier sicher wieder Trumps Angriffe auf die angeblichen "Mainstream-Medien". Welche Rolle sollte Journalismus gerade vor diesem Hintergrund Ihrer Ansicht nach spielen?

Eine ganz grundlegende. Er ist die vierte Gewalt. Er sorgt für Kontrolle und Gleichgewicht in einem System, das auf Kontrolle und Gleichgewicht basiert. Regierungen können korrupt werden. Der Journalismus ist dazu da, dem Einhalt zu gebieten. Dem stehen aber Politiker gegenüber, die bewusst versuchen, das Vertrauen in die Medien zu untergraben - Trump ist einer von ihnen. Hinzu kommt, dass sich die Medien heute mit etwas auseinandersetzen müssen, mit dem sie in den 70er-Jahren noch nicht umgehen mussten: Social Media. Und das nicht nur irgendwie am Rand, sie sitzen vielmehr mittendrin, was kontextuell seltsam ist. Trotzdem gibt es nach wie vor sehr gute Journalisten, die sehr gute Arbeit leisten. Aber einige große Player haben sich von der Idee, unvoreingenommen zu berichten, komplett verabschiedet und sind zu Propagandisten geworden. All das zusammengenommen erzeugt den perfekten Sturm mit der Konsequenz, dass die Menschen dem Journalismus instinktiv misstrauen.

Und was folgt Ihrer Ansicht nach daraus?

Das bedeutet, dass die letzte Kontrolle einer korrupten Regierung beseitigt wird. Ich glaube, ich kann das sogar fast beweisen. Könnten Woodward, Bernstein und die Washington Post heute noch Nixon stürzen? Nein, ich bin mir sicher, sie könnten das nicht. Die Zugkraft, die die Washington Post in den frühen 70er-Jahren hatte, hat sie heute einfach nicht mehr. Es gibt auf der ganzen Welt reihenweise populistische Führer, denen von Journalisten nachgewiesen wurde, dass sie lügen, korrupt, gefährlich oder Sexualstraftäter sind - viele Dinge, die in den vergangenen Jahrzehnten ihre Karrieren zerstört hätten. Aber jetzt bleibt nichts mehr davon hängen. Das lässt sich kaum bestreiten - egal, wo man im politischen Spektrum steht.

Die intensivste Szene in "Civil War" ist für mich die, in der der Journalistentross um die von Kirsten Dunst verkörperte Kriegsreporterin Lee auf einen Soldaten trifft, der von Jesse Plemons gespielt wird. Dunst und Plemons sind im echten Leben verheiratet. Wie war das für die beiden?

Am Set herrschte häufiger mal eine seltsame Atmosphäre.

Am Set herrschte häufiger mal eine seltsame Atmosphäre.

(Foto: A24 / DCM)

Ich glaube, sie sind sich an diesem Tag sehr aus dem Weg gegangen. Tatsächlich herrschte bei dieser Szene eine seltsame Atmosphäre am Set. Wir haben sie auch auf besondere Art und Weise gedreht. Normalerweise befindet sich um die Schauspieler herum ein riesiger Halbkreis von Menschen - die Kameraleute, Assistenten, Kabelträger und so weiter. Hier haben wir uns alle so weit wie möglich zurückgezogen, mit mehreren Kameras gleichzeitig und mit langen Objektiven gedreht. Die Schauspieler befanden sich dadurch tatsächlich in ihrer ganz eigenen, intensiven Blase. Es war in gewisser Weise wie bei einer Theater-Aufführung. So entstand eine Art Albtraum-Szenario, in dem es für die Schauspieler kein Entrinnen aus ihrer Blase zu geben schien.

Sie haben an anderer Stelle gesagt, es sei sehr schwierig, einen Kriegsfilm zu drehen, mit der Intention, aus ihm einen Anti-Kriegsfilm zu machen. Was sollten die Zuschauerinnen und Zuschauer Ihrer Ansicht nach von "Civil War" mitnehmen?

Der Film soll Konversationen anstoßen. Denn das Umfeld des populistisch-extremistischen Staats, über das wir gesprochen haben, ist gegen solche Konversationen. Manche Filme wollen gegen Krieg sein, aber unterstützen ihn in Wirklichkeit unterschwellig, weil sie romantisch sind. Die extremistische Position täuscht vor, sie befördere den Austausch über wichtige Themen. Aber das tut sie nicht. Die Leute schreien sich nur gegenseitig an. Aber wenn du jemanden anschreist, hört dir das Gegenüber nicht wirklich zu. Es ist nur alarmiert oder wütend und wartet darauf, zurückzuschreien oder zum Gegenschlag auszuholen. Ich wollte etwas schaffen, das Raum für Gespräche eröffnet.

Mit Alex Garland sprach Volker Probst

"Civil War" läuft derzeit in den deutschen Kinos

Quelle: ntv.de

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