Hörbücher

Über Frausein, Lust und Gewalt "Mädchen sind sauber und schön"

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos
"Die schönste Version" landete 2024 auf der Longlist des Deutschen Buchpreises.

"Die schönste Version" landete 2024 auf der Longlist des Deutschen Buchpreises.

(Foto: picture alliance / PantherMedia)

Der Debütroman von Ruth Maria Thomas lässt nichts aus: Schonungslos ehrlich erzählt die Autorin in "Die schönste Version" von weiblicher Lust, Gewalt und der Sucht, zu gefallen. Thomas' Roman ist ein Schlag in die Magengrube und sollte nicht nur von Frauen gelesen werden.

An einem Dienstag verliert Jella ihre Würde. "Bauchwürde, Halswürde, Körperwürde" - alles weg. Sie steht in der Ecke ihrer Küche, vor ihr Yannick, ihr Freund, der seine Hände um ihren Hals legt. "Ich bring dich um", keucht er und drückt zu.

Jella reißt sich los, läuft zur Polizei, erstattet Anzeige. "Haben Sie sich gewehrt?", fragt der Polizist. Ja, sagt Jella, mit einer Pfeffermühle habe sie Yannick auf den Kopf geschlagen. Wie doll, will der Polizist wissen, und ob da Blut war. Er fragt nach der Größe der Pfeffermühle und in welchem Winkel Jella sie gehalten habe. Am Ende wird auch gegen sie eine Anzeige gestellt. "Tut mir leid", sagt der Polizist.

ANZEIGE
Ruth-Maria Thomas: "Die schönste Version"
936
19,99 €
Zum Angebot bei amazon.de

Yannicks Übergriff ist nur eine von vielen grässlichen Hürden, über die Ruth-Maria Thomas ihre Protagonistin zwingt. Mit ihrem Debütroman "Die schönste Version" schafft es die Leipziger Autorin im vergangenen Jahr auf die Longlist des Deutschen Buchpreises. In gnadenloser Sprache erzählt sie darin von dem Leben eines Mädchens, das im Osten Deutschlands der 2000er-Jahre zur Frau wird und orientierungslos nach falschen Idealen greift.

"Wunderschön, glatt und ordentlich"

Nachdem sie Anzeige erstattet hat, zieht Jella für ein paar Tage zu ihrem Vater, verkriecht sich in ihrem alten Kinderzimmer und denkt an früher: an das erste Mal Sex, als sie gerade 15 Jahre alt ist und nicht sicher, ob sie das, was da passiert, überhaupt will. An weitere Male mit Männern, die "Mädchen mögen", sodass Jella Mädchen bleibt, in kurzen Röcken und mit Lidschatten, "wunderschön, glatt und ordentlich".

Als sie einem Jungen in der zehnten Klasse den Sex verwehrt, wird Jella überhört - und entschuldigt sich danach, dass ihr Nein nicht laut genug war. Seite um Seite weicht Jellas rosa Mädchen-Fantasie einem Drama über die Fremdbestimmung weiblicher Lust und deplatzierte Scham. "Mädchen sind sauber und schön", denkt Jella und hat panische Angst, die "widerliche Ausnahme" zu sein.

Liebe ist Reibung

Als Studentin lernt sie Yannick kennen. Er ist erfolgloser Künstler, einfühlsam, einer, der Karten mit den Großeltern spielt und Vogelbabys aus Bäumen rettet. "Süßer Nebel im Kopf"- Jella ist so verliebt wie noch nie. Doch Yannick ist eifersüchtig und aufbrausend, verprügelt Männer, die Jella zu lange ansehen, und verachtet Frauen in kurzen Hosen und zu viel Make-up.

Trotzdem ziehen sie zusammen, leben in einer Altbauwohnung und einem Spagat aus Nähe und Gewalt: er Künstler, sie Muse. Immer wieder läuft Yannick tobend durch die Wohnung und Jella tobt zurück. Liebe ist Reibung, denkt sie und hält ihren Widerstand klein: Isst heimlich fettige Hähnchenkeulen und Milchschnitten mit zu viel Kalorien, löst die Schrauben an Yannicks Staffelei. Nach jedem Streit kauern sie nebeneinander, "innig". Obwohl sie gerade noch so außer sich waren.

Elf Tage Ohnmacht

Drei Tage nach dem Griff um ihren Hals färben sich Jellas blaue Flecken gelb. Sie duscht das erste Mal, ignoriert Yannicks Anrufe und kämpft gegen die Panik in ihrer Brust, in die sich Zweifel mischen: Vielleicht ist sie doch die Psychopathin, für die Yannick sie hält, die aus allem zu viel Drama macht? Jellas Alltag wird alltäglicher, sie schreibt To-do-Listen und geht in die Sauna, bevor sie abends mit ihrem Vater Tatort schaut.

An Tag sechs schickt Yannick eine SMS: "Ich weiß, wir haben uns Schreckliches angetan." Und an Tag zehn: "Ich glaube daran, dass wir uns unsere Fehler verzeihen können." Unsere Fehler, denkt Jella und trifft Yannick in einer Bar, ein letztes Mal.

Thomas' Roman ist zart und furios und ein mahnendes Manifest an den weiblichen Genuss. Lili Zahavi leiht den Worten der Autorin in dem sechsstündigen Hörbuch ihre nüchterne Stimme, die gnadenlos ausspricht, was kaum sagbar ist. Am Ende bleibt das Gefühl einer Ohnmacht, nach einer tragischen, weil so alltäglichen Erzählung, in der das Ja eines Mannes mehr wert ist als das Nein einer Frau.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen