Tom Hanks im Interview "Das Leben ist eine verdammte Sache nach der anderen"
13.12.2024, 15:37 Uhr Artikel anhören
Mit Generationenkonflikten kennt er sich aus: Tom Hanks.
(Foto: IMAGO/Avalon.red)
Robert Zemeckis und Tom Hanks gehören zu den Dreamteams in Hollywood. Nach Filmen wie "Forrest Gump" (1994) und "Cast Away - Verschollen" (2000), "Der Polarexpress" (2004) und "Finch" (2021) erscheint mit "Here" nun das fünfte gemeinsame Projekt des Regisseurs und des Hollywood-Stars. Das Drama, das auf der gleichnamigen Graphic Novel von Richard McGuire basiert, zeigt aus einer feststehenden Kameraperspektive das Wohnzimmer eines Hauses und mittels Überblendungen das Land, das sich an dieser Stelle befand, bevor das Haus gebaut wurde. Beleuchtet werden all diejenigen Menschen und Tiere, die seit 65 Millionen Jahren auf diesem Fleckchen Erde gelebt haben.
Zu diesen Menschen gehört auch das Ehepaar Richard und Margaret - gespielt von Tom Hanks und Robin Wright. Regisseur Zemeckis zeigt die Entwicklung der beiden Protagonisten, die Wünsche und Träume, die sie mit 17 Jahren haben und nie in Erfüllung gehen sollen. Bis die beiden schließlich im hohen Alter auf ihr Leben zurückblicken. Für die Verfilmung der Graphic Novel habe es viele philosophische Diskussionen mit dem Cast gebraucht, verrät Tom Hanks. Im Interview mit ntv.de spricht der Schauspieler über Vergänglichkeit und Generationenkonflikte - und darüber, was für ihn das Geheimnis des Lebens ausmacht.
ntv.de: Richard McGuires "Here" ist eine transformative Arbeit im Genre der Romangrafik. Wie schwer war es, dies für die große Leinwand zu adaptieren?
Tom Hanks: Ich habe die Graphic Novel von Anfang an für ein außergewöhnliches Ausgangsmaterial gehalten. Sie hat dieses Tableau-Storytelling-Mittel etabliert, das normalerweise jeden anderen Filmemacher außer Robert Zemeckis versteinern würde. Ich musste Richard McGuires Buch zwei oder drei Mal von vorne lesen, bevor ich verstanden habe, worum es wirklich ging - wie die Panels ein- und ausgeblendet werden und wie eine Grafik eine ganze Zeit darstellt, die dann das gesamte visuelle Seitenverhältnis der Geschichte übernimmt. Das ist sehr technisch und eine große Herausforderung, aber sehr aufregend.
Wie seid ihr thematisch an den Film gegangen?
Wir haben viele Diskussionen mit Bob (Regisseur Robert Zemeckis, Anm.d.Red.), Eric Roth (Drehbuchautor, Anm.d.Red.) und allen Darstellern geführt - über die Vergänglichkeit des Jetzt. Der Film wird zwar aus einer Perspektive von heute erzählt, jedoch geht es um die Vergangenheit. Aber alle Charaktere, die in der Vergangenheit sind, wissen nicht, dass sie in der Vergangenheit sind, sie haben es nur mit ihrem eigenen individuellen Heute zu tun. Das sind philosophische Thematiken und Strukturen, mit denen man sich beschäftigt.
Die Herausforderung des finalen Films war: Wie erleben Bob und ich diese sehr spezifischen Momente? Wie werden wir es mit 17, wie mit 35 und wie mit 58 Jahren? Nun, der einzige Weg, dies zu erleben, ist, alles andere zu vergessen und in dieser individuellen Zeit da zu sein - wohl wissend, dass sie sich zu einer historischen Erzählung summieren wird, die uns zu jenem letzten Moment zurückbringt, als Richard und Margaret in einem leeren Haus sitzen, in dem sie gelebt haben. Und in dem sich nichts mehr befindet außer großartiger und schwieriger Erinnerungen. Das ist ein langer Wurf für eine Geschichte. Und er begann mit Richard McGuires unglaublicher Graphic Novel.
Wir erleben im Film eine Vater-Sohn-Dynamik zwischen Paul Bettanys Al und Ihrem Richard, die eine große Generationenkluft und die Spannungen um Geld und Finanzen zeigt. Haben Sie sich darin wiedererkannt?
Das war interessant, weil es mich und meinen eigenen Vater sehr widerspiegelte, einfach wegen der Generation, aus der sie stammten. Ich meine, es beginnt damit, dass Al aus der definitiven Ära seines Lebens - dem Zweiten Weltkrieg - nach Hause kommt. Mein Vater wuchs in den 1930er-Jahren in der Zeit der Depression auf. Er verstand nichts anderes als das Konzept der harten Arbeit und des Nicht-Klagens. Mein Vater wuchs nicht gerade mit einem Traum auf, was er später einmal machen wollte. Er wuchs mit der Realität dessen auf, was er tun musste.
Ich bin 1956 geboren, meine Generation ist in der Selbstständigkeit aufgewachsen, mit einer Art eigener Wirtschaft, in der wir mehr oder weniger verfügbares Einkommen hatten. Wir mussten nicht hart arbeiten, um sicherzustellen, dass am Ende des Sommers genug Essen auf dem Tisch stand. Diese Kluft zwischen Richard und Al ist so groß, sie steht jedem Gespräch im Weg, das sie führen - bis sich die Rollen ändern, als Al sich nicht mehr um sich selbst kümmern kann und Richard ihn pflegt. Das ist ein sehr schöner Moment, an dem die Spannung endlich losgelassen wird.
In einer Szene am Ende sagt sein Vater, dass er nicht versteht, warum Richard jemals mit dem Malen aufgehört hat. Und Richard antwortet: "Ich habe nach deinen Maßstäben gelebt und du fragst dich, warum ich es aufgegeben habe?" Ich finde das wunderschön. Alle Generationen haben diese großen Trennlinien zwischen sich, aber diese eine basierte wirklich darauf: Was musst du tun, um physisch und finanziell zu überleben, im Vergleich zu: Was muss ich tun, um spirituell und emotional zu überleben? Ich weiß nicht, ob sich die vorherige Generation um Letzteres gekümmert hätte.
Sie mussten den gleichen Charakter in sehr unterschiedlichen Altersstufen spielen. Was waren die Herausforderungen darin, Kontraste zwischen verschiedenen Epochen zu schaffen und dennoch Richards Persönlichkeit treu zu bleiben?

Für ihn sei es besonders schwer gewesen, seinen Charakter in jungen Jahren zu spielen, sagt Hanks (im Bild mit Robin Wright, die seine Ehefrau spielt und Paul Bettany, der seinen Vater verkörpert).
(Foto: IMAGO/Landmark Media)
Einerseits hatten wir dieses großartige Tool, die CGI, mit der wir uns in Echtzeit in verschiedenen Zeiten betrachten konnten - mit 17 Jahren, mit 22 ... Wir konnten sehen, ob unsere Schultern hingen und wie viel innere Energie wir hatten. Als wir jung waren, mussten wir alles vergessen, von dem wir wussten, was die Charaktere später einmal durchmachen würden. Und das ist nicht einfach.
Ich hatte die größten Schwierigkeiten, den jungen Richard zu spielen, als er in seinen Kindererziehungsjahren war. Der Körper verändert sich physisch, der Stoffwechsel verlangsamt sich, die Schwerkraft beginnt, dich zu beeinflussen, und du bist weniger in Bewegung. Du fängst an, all die schlechten körperlichen Eigenschaften zu entwickeln, die dich für den Rest deiner Tage verfolgen werden. Das weißt du nicht, während du es durchmachst, aber es passiert. Dann kommt noch die Last dazu, die Kinder richtig zu erziehen, die ganze Zeit müde zu sein, sich ständig Sorgen um Geld zu machen.
Wir mussten einfach bis zum Äußersten Schauspieler sein und sicherstellen, dass wir in dem Moment waren, auf den es gerade ankam. Wir mussten uns erinnern, woran wir uns erinnern mussten. Und wir mussten vergessen, was wir vergessen mussten.
Das Haus spielt in dem Film eine sehr wichtige Rolle, es ist ein eigener Charakter. Ist das Haus, in dem Sie aufgewachsen sind, noch in Ihrer Familie?
Nein, ich bin so viel umgezogen, dass es in der Familie kein einzelnes Haus gibt. Es ist nur eine lange Reihe von ihnen. In Los Angeles gab es eine Zeit, in der ich die Straßen der fünf oder sechs Häuser entlangfuhr, in denen ich einst gelebt hatte. Es ging mir um die Viertel, in denen ich gelebt hatte, nicht so sehr um die Häuser an sich. Letzten September war ich in Oakland, Kalifornien, wo ich aufgewachsen bin. Dort gab es ein Haus, in dem ich etwa fünf Jahre lang gelebt habe, und ich fuhr mit meinem Sohn dahin und erzählte: Hier ist die Straße, da ist der Laden, da habe ich den Bus genommen ... Das war bittersüß.
Dem entgegen wird das Haus, in dem meine Frau in den Hollywood Hills aufgewachsen ist, noch von ihrem Bruder bewohnt. Wenn wir zu Besuch sind, können wir buchstäblich im selben Zimmer sitzen, in dem sie ins Bett gegangen ist, als sie vier Jahre alt war. Ich habe dazu keinen Bezug. Alles, was wir sein können, sind Individuen, die in einer Mischung aus Zuneigung und Verwahrlosung gleichzeitig auf unsere Vergangenheit blicken. Ich denke, ich habe Glück, dass ich nicht die Last des Verlangens habe, das immer und immer wieder zu tun.
Die Themen des Films sind sehr komplex: Die Zeit vergeht wie im Flug, das Leben ist kostbar, mach das Beste daraus, sei im Hier und Jetzt ... Aber im Großen und Ganzen sind wir alle irgendwie unbedeutend. Was bedeutet der Film für Sie in Bezug darauf, wie wir unser Leben leben sollten?
Was ich aus dem Film mitnehme und was ich in gewisser Weise in den Film eingebracht habe, ist diese Machtlosigkeit, die wir haben, dass gestern gestern war, und es nichts gibt, was wir tun können, um das zu ändern. Und dass morgen so weit weg ist, dass wir nicht vorhersagen können, was passieren wird. Wir haben keine Hellsichtigkeit davon, wo wir sein werden oder wie wir uns fühlen werden. Alles, was wir tun können, ist, die Hoffnung zu haben, dass wir heute das Richtige sagen, dass wir das richtige Opfer bringen, dass unsere Begründung für den Moment die richtige ist. Nur dann werden wir die Gelegenheit haben, Dinge zu ändern, wenn wir zum nächsten Jetzt kommen. Das Geheimnis des Lebens liegt in der surrealistischen Kombination aus der Vergänglichkeit dessen, wo wir sind, der Geschwindigkeit, mit der es vergeht, und der Wichtigkeit, im Hier und Jetzt zu leben. Das Leben ist eine verdammte Sache nach der anderen. Damit müssen wir uns einfach abfinden.
Mit Tom Hanks sprach im Rahmen eines Gruppeninterviews Linn Penkert.
"Here" läuft aktuell in den deutschen Kinos.
Quelle: ntv.de