
Im Darién Gap lauern viele Gefahren. Trotzdem versuchen Tausende, den Dschungel zu Fuß zu durchqueren.
(Foto: picture alliance / AA)
So viele Menschen wie nie suchen derzeit Zuflucht in den USA. Auf ihrem Weg dorthin müssen sie den vielleicht gefährlichsten Ort der Welt durchqueren: einen Urwald an der Grenze von Kolumbien und Panama, in dem sich Schmuggler, Rebellenmilizen und Vergewaltiger verstecken.
Der Darién Gap ist ein Ort, der so in Europa unvorstellbar ist. Ein riesiges Dschungelgebiet an der Grenze von Zentral- und Südamerika - und eine wichtige Route für Tausende Flüchtlinge auf dem Weg in die USA. Gut 91.000 Menschen haben den Urwald dieses Jahr zwischen Januar und September mindestens schon durchquert und damit ihr Leben riskiert. Das dauere zu Fuß ungefähr sieben bis zehn Tage, erzählt Santiago Paz.
Der Chef der Internationalen Organisation für Migration (IOM) in Panama warnt im ntv-Podcast "Wieder was gelernt" vor der gefährlichen Reise. Man könne im Dschungel ausgeraubt oder angegriffen werden, sagt Paz. Auch Krankheiten seien ein Problem oder verletzte Beine, weil man so lange laufen müsse.
Lücke im Dschungel
Der Darién ist die grüne Grenze zwischen Panama und Kolumbien. Von Westen nach Osten misst der Urwald 339 Kilometer. Eigentlich sollte die längste Schnellstraße der Welt durch ihn hindurch führen, die Panamericana. Auf rund 25.000 Kilometern Länge verbindet sie Alaska im nördlichsten Amerika mit Feuerland im südlichsten Argentinien.
Aber wo der Dschungel beginnt, endet die Straße. Im Darién klafft bis heute eine etwa 110 Kilometer lange Lücke, englisch Gap. Wer den bergigen und sumpfigen Urwald durchqueren möchte, findet keine Straßen oder asphaltierten Wege, sondern Drogen- und Waffenschmuggler oder frühere Guerillakämpfer der Rebellenmiliz FARC. Denen stehen die meisten Migranten allein gegenüber, erzählt IOM-Chef Paz. "Einige Migranten heuern einen Lotsen an, aber die verraten nicht immer, wie man durch den Dschungel kommt. Manchmal rauben sie die Migranten auch aus oder vergewaltigen sie."
Die Gefahren in der Region sind vielfältig, Beobachter sind sich einig: Die Lücke zwischen Kolumbien und Panama ist einer der todbringendsten Orte der Welt. Nicht nur Schmuggler, Milizen oder kriminelle Migranten sind eine Gefahr für Leib und Leben, sondern auch die unbarmherzige Natur. Von den Tälern bis zu den höchsten Gipfeln müssen Reisende im Dschungel 1800 Höhenmeter zurücklegen - in einer der regnerischsten Regionen der Erde. Plötzliche Sturzfluten überraschen unvorbereitete Menschen regelmäßig im Schlaf und reißen sie in einen der vielen Flüsse.
Massengräber für die Toten
Wie viele Menschen allein in diesem Jahr schon am gefährlichen Marsch durch den Dschungel gescheitert oder dabei sogar gestorben sind, kann niemand sagen. Panama erfasst zwar, wie viele Menschen den Darién verlassen, aber niemand überprüft, wie viele hineingehen.

Der Dschungel ist tödlich: Einsatzkräfte in Panama begraben eine Gruppe von Migranten, die umgekommen sind.
(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)
Klar ist, es werden immer mehr: In der vergangenen Dekade sind jedes Jahr etwa 10.000 Menschen an der Südgrenze von Panama aus dem Urwald herausgekommen und weiter nach Norden in Richtung USA marschiert. In diesem Jahr aber sind die Zahlen explodiert. Allein im Juli hat die Regierung von Panama plötzlich 19.000 Migranten aus aller Welt gezählt. Von den 91.000 Fluchtwilligen, die bis September durch den Dschungel marschiert sind, kamen die mit Abstand meisten aus Haiti und Kuba. Es sind aber auch Menschen aus Ländern wie Bangladesch, Senegal, Ghana, Usbekistan, Indien und Nepal dabei.
Regelmäßig müssen Einsatzkräfte ausrücken und mit schwerem Gerät Massengräber ausheben, um diejenigen zu beerdigen, die im Dschungel verhungert oder verdurstet sind, in einem der vielen Flüsse ertrunken sind oder schlichtweg ermordet wurden.
Eine Katastrophe jagt die nächste
Santiago Paz spricht von einer Flüchtlingssituation in der Region, die so niemand erwartet habe: Nach dem politischen und wirtschaftlichen Zusammenbruch in Venezuela hätten etwa fünf Millionen Menschen das Land verlassen und Zuflucht oder Arbeit in Nachbarstaaten wie Kolumbien gesucht. Tausende Menschen sind außerdem aus dem fast vollständig kollabierten Haiti geflüchtet. Politische Unterdrückung und Mangelwirtschaft in Kuba treiben ebenfalls etliche Menschen in die Flucht. Eine Katastrophe folgt auf die nächste.

Frauen, Kinder und auch Schwangere riskieren die gefährliche Reise in der Hoffnung, ein besseres Leben zu finden.
(Foto: picture alliance / AA)
Trotz der geografischen Nähe führt der einfachste Weg von Haiti und Kuba zum Wunschziel USA dennoch über Südamerika und durch den Dschungel des Darién. Für Menschen aus Afrika oder Haiti sind nur wenige Grenzen geöffnet. Unter anderen Brasilien erlaubt ihnen die Einreise, dort sind sie gern als billige Arbeitskräfte gesehen. Die Arbeit ist aber oft nur ein Mittel zum Zweck, um genügend Geld für die Weiterreise nach Norden zu verdienen.
Von Brasilien aus schlagen sich die Menschen nach Kolumbien in die kleine 70.000-Einwohner-Stadt Necoclí am Golf von Urabá durch. Dort warten sie teilweise tage- oder wochenlang zu Tausenden auf ihre Weiterreise. Mit einem Boot oder einer Fähre überqueren sie die Meerenge, legen etwa anderthalb Stunden später auf der anderen Seite im äußersten Norden Kolumbiens in Acandí an. Eine kleine Karibikstadt an den Ausläufern des Darién nur wenige Kilometer von der panamaischen Grenze entfernt - ohne Verbindung zum kolumbianischen Kernland.
In der 12.000-Einwohner-Stadt beginnt der Marsch durch den Dschungel. "Sobald man den 'Hügel der Toten' erreicht, ist man in Panama angekommen", erzählt IOM-Chef Paz. "Von dort kann man sich zu einer von zwei kleineren Gemeinden durchschlagen."
Frauen, Schwangere, Kinder
Dieser Text ist eigentlich ein Podcast: Welche Region schickt nur Verlierer in den Bundestag? Warum stirbt Ostdeutschland aus? Wieso geht dem Iran das Wasser aus? Welche Ansprüche haben Donald Trump und die USA auf Grönland?
"Wieder was gelernt" ist ein Podcast für Neugierige. Hören Sie rein und werden Sie dreimal die Woche ein wenig schlauer.
Alle Folgen finden Sie in der ntv-App, bei RTL+, Amazon Music, Apple Podcasts und Spotify. Für alle anderen Podcast-Apps können Sie den RSS-Feed verwenden.
Sie haben eine Frage? Schreiben Sie uns gerne eine E-Mail an podcasts@ntv.de
Aber Panama ist nur ein Zwischenstopp. Ein Transitland wie zuvor Kolumbien und danach Costa Rica. Oder wie die ärmeren Staaten Nicaragua, Honduras und Guatemala, wo sich immer wieder weitere Menschen dem langen Flüchtlingstreck nach Norden anschließen, um nach Mexiko oder in die USA zu gelangen. Allein im vergangenen Juli haben die Vereinigten Staaten 210.000 illegale Einwanderer an ihrer Südgrenze angetroffen - und mit Grenzern auf Pferden teilweise brutal vertrieben.
Es ist eine humanitäre Katastrophe, die kein Land allein lösen kann, sagt Santiago Paz. Die gesamte Region, die internationale Gemeinschaft, müsse zusammenarbeiten und herausfinden, "warum Familien, Frauen, Schwangere, allein gelassene Kinder dieses Risiko eingehen."
Viel Geld zum Fernbleiben
Der Migrationsexperte ist trotz der zunehmenden Fluchtbewegungen zuversichtlich, dass die beteiligten Staaten und Regierungen den Ernst der Lage verstanden haben. In den vergangenen Monaten gab es Treffen mit Vertretern aus Ecuador, Kolumbien, Costa Rica und Panama. Auch die USA beteiligen sich. Im Juni reiste Vizepräsidentin Kamala Harris nach Guatemala und Mexiko. Die US-Regierung stellt allein in diesem Jahr mehr als 330 Millionen Dollar für Unterkünfte, Rechtsbeistand und gesundheitliche Versorgung bereit - aber in Zentralamerika und Mexiko, nicht in den USA.
Obwohl US-Präsident Joe Biden eine humanere Migrationspolitik als sein Vorgänger versprochen hatte, sollen Flüchtlinge und Asylsuchende ein besseres Leben offensichtlich in einem anderen Land suchen. Zuletzt ordnete er deutlich mehr Abschiebeflüge an, erstaunlicherweise vor allem ins kollabierte Haiti.
Die Botschaft des Weißen Hauses ist klar: "Kommt nicht." In ihren kaputten Heimatländern wollen die Menschen aber nicht bleiben. Und so werden weiter viele Zehntausende Menschen nach Südamerika und von dort in den Norden von Kolumbien reisen, um den gefährlichen Darién Gap zu betreten. In der Hoffnung, dass sie auf der anderen Seite lebend wieder herauskommen.
Quelle: ntv.de