
Russland stellt inzwischen eine eigene Variante der iranischen Shahed-Drohnen her. Die Geran-2-Drohnen werden unter anderem von Afrikanerinnen zusammengebaut.
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Russland braucht dringend Arbeitskräfte für seine Rüstungsfabriken. In Afrika wird Moskau fündig und verspricht jungen Frauen eine Ausbildung. Hier müssen sie tödliche Kamikaze-Drohnen für den Ukraine-Krieg bauen. Und werden selbst zu Opfern.
Russlands Arbeitslosigkeit liegt auf einem historischen Tief. Das größte Land der Erde hat eine Arbeitslosenquote von 2,5 Prozent - und liegt damit weit hinter vielen anderen Ländern: den USA, Frankreich oder Deutschland.
Doch die gute Nachricht hat eine Kehrseite: Russland gehen die Arbeitskräfte aus. Schon seit den 1990er Jahren sinkt die Einwohnerzahl, Babys kommen kaum nach. Und der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine tut sein Übriges: seit Kriegsbeginn sind 650.000 Russen dauerhaft ausgewandert - darunter hochqualifizierte Arbeitskräfte; im Krieg sind bisher bis zu 165.000 Russen gestorben, sagt das unabhängige russische Exil-Medium Meduza.
Vielen russischen Branchen fehlen Fachkräfte: 2023 hatte das Land rund fünf Millionen Arbeitskräfte zu wenig, so die Russische Akademie der Wissenschaften. Auch die Rüstungsindustrie ist betroffen: Dort fehlen Zehntausende Fachkräfte, die Waffen, Panzer und militärische Ausrüstung produzieren, berichtet BBC Russia.
Tatarstan ist eine der Top-Regionen in Russland für Unternehmen, die Militärprodukte herstellen. Die autonome Republik liegt etwa 1000 Kilometer östlich von Moskau. Im Inneren der örtlichen Rüstungsfabriken sitzen immer häufiger junge Frauen aus Afrika - nicht ganz freiwillig.
Hoffnung auf Einkommen
Offiziell wird es als Ausbildungs- und Jobprogramm für Ausländer in Russland verkauft. Es lockt mit einer bezahlten zweijährigen Ausbildung im Gastronomiegewerbe oder in der technischen Produktion an einer Fachhochschule in Russlands größter Sonderwirtschaftszone Alabuga in Tatarstan. Die Unterkunft ist inklusive. Wer den Abschluss hat, bekommt eine feste Stelle - so lautet das Versprechen im Werbeprospekt.
Für das Alabuga-Start-Programm arbeiten laut der Nachrichtenagentur AP etwa 200 junge Frauen aus Afrika, so die Zahlen von Oktober. Seit Beginn vor drei Jahren wurden insgesamt 350 nach Tatarstan gelockt, berichtet Bloomberg. Dieses Jahr sollen 8500 Arbeiterinnen aus dem Ausland dazukommen. Sie arbeiten in dem Programm gemeinsam mit russischen Berufsschülern, die teils erst 15 Jahre alt sind.
Der Kreml rekrutiert die jungen Frauen von 18 bis 22 Jahren aus vielen afrikanischen Ländern: Uganda, Botswana, Ruanda, Kenia, Südsudan, Sierra Leone und Nigeria. Außerdem wirbt Russland in Asien und Lateinamerika um Arbeitskräfte, unter anderem in Sri Lanka.
In sozialen Netzwerken werden ihnen ein kostenloses Flugticket und ein monatliches Anfangsgehalt von bis zu 860 Dollar versprochen. Warum sie zugreifen? Grund sei die Armut der afrikanischen Arbeiterklasse, hat der Präsident der General Industries Workers Union of South Africa (GIWUSA), Mametlwe Sebei, dem nigerianischen Sender News Central TV gesagt: Die Arbeitslosigkeit sei hoch; in vielen afrikanischen Ländern würden Arbeitslose finanziell nicht unterstützt. Durch das Programm hätten die jungen Leute ein Einkommen. "Wenn sich solche Gelegenheiten ergeben, ist es verständlich und fast unvermeidlich, dass sie diese suchen und nutzen, in der Hoffnung, dass sie dadurch zumindest eine Form von Erwerbstätigkeit finden", sagt Sebei.
"Konzerne wie Alabuga machen sich Diplomatie zunutze"
Alabuga Start betreibt großen Aufwand, um die afrikanischen Arbeitskräfte zu überzeugen, nach Russland zu kommen: in Social-Media-Videos berichten Teilnehmerinnen des Programms von ihren angeblich tollen Erfahrungen.
Außerdem gibt es Werbeveranstaltungen an afrikanischen Schulen oder Universitäten. Dort wird den jungen Frauen und Eltern eine rosige Ausbildung und Zukunft versprochen. Drohnen? Nein, die würden ihre Töchter auf keinen Fall bauen, sagt man ihnen.
Russland sucht auch direkt den Kontakt mit den afrikanischen Ländern: russische Beamte haben über 26 Botschaften in Moskau besucht, berichtet AP. Unter anderem die von Kenia, Simbabwe, Mali und Uganda.
Seit einigen Jahren versuche Russland, seinen Einfluss aus Sowjetzeiten in Afrika wieder aufzubauen, sagt der Bloomberg-Journalist Antony Sguazzin im Podcast "Next Africa". Das sehe man an den Einsätzen von Söldnern und Wagner-Agenten. Die russisch-orthodoxe Kirche habe sich auf dem Kontinent etabliert. Russische Beamte und Politiker sind in der Tat häufig in Afrika zu Besuch. Und afrikanische Staatsoberhäupter reisen zu Gipfeltreffen nach Russland. "Konzerne wie Alabuga haben sich diese diplomatische Reichweite zunutze gemacht", weiß Sguazzin.
"Wie Esel misshandelt und versklavt"
Die Realität hat wenig mit den Werbeveranstaltungen an Schulen und Universitäten gemein: Viele junge Afrikanerinnen enden gegen ihren Willen als billige Arbeitskräfte in russischen Drohnenfabriken.
Die meisten von ihnen bauen im Alabuga-Start-Programm laut den Berichten die russische Variante der iranischen Shahed-Drohnen für Angriffe auf die Ukraine - Geran heißen diese Drohnen. Das Werk in Alabuga ist mit 6000 Stück pro Jahr das wichtigste für die Herstellung, berichtet AP.
Betroffene berichten von gefährlichen Arbeitsbedingungen: die afrikanischen Frauen würden "wie Esel misshandelt und versklavt", arbeiteten in Schichten bis zu zwölf Stunden, würden überwacht und hätten keine Schutzausrüstung für die Arbeit mit ätzenden Chemikalien.
Und sie sind dem Krieg direkt ausgesetzt: Ende April hat die Ukraine eine Drohnen-Fabrik in Alabuga angegriffen, stattdessen wurde dabei ein Wohnheim für Fabrikarbeiter getroffen, in denen auch Ausländer leben, es gab mindestens 13 Verletzte.
Drohnen sind eine der wichtigsten Waffen geworden im Krieg gegen die Ukraine. Vergangenes Jahr hat Russland insgesamt 1,5 Millionen Drohnen hergestellt, sagte Präsident Wladimir Putin im April. Das sind ihm aber noch zu wenige. Deshalb will er mehr Drohnenfabriken im Land bauen, bis 2030 noch 48 neue, um vom Ausland unabhängig zu werden. Beim Drohnenbau selbst ist Putin aber alles andere als unabhängig: um sie herzustellen, braucht er dringend Arbeiterinnen aus dem Ausland, unter anderem aus Afrika. Denn im eigenen Land wird er sie kaum finden.
Dieser Text ist eigentlich ein Podcast: Welche Region schickt nur Verlierer in den Bundestag? Warum stirbt Ostdeutschland aus? Wieso geht dem Iran das Wasser aus? Welche Ansprüche haben Donald Trump und die USA auf Grönland?
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Quelle: ntv.de