SPD-Chef Klingbeil im Interview "Die Partei wird jetzt wieder lauter"
18.11.2023, 08:31 Uhr Artikel anhören
Der 45-jährige Klingbeil ist seit 2019 Vorsitzender der SPD.
(Foto: picture alliance / BeckerBredel)
Lars Klingbeil kandidiert beim SPD-Parteitag, der vom 8. bis 10. Dezember in Berlin stattfindet, für eine zweite Amtszeit als Vorsitzender. Im ntv.de-Interview erklärt der 45-Jährige seine Pläne für die Sozialdemokratie, die sich nun auch auf die kommende Bundestagswahl vorbereite. Von den Koalitionspartnern in der Ampel fordert er nach dem Urteil zur Schuldenbremse "grundlegende" Gespräche - und geht die Union wegen ihres Jubels über das Verdikt hart an.
ntv.de: Herr Klingbeil, bevor wir über den anstehenden Bundesparteitag der SPD reden: Wie bewerten Sie mit etwas Abstand das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Schuldenbremse?
Lars Klingbeil: Das Urteil ist eine Herausforderung für die Politik insgesamt, für den Bund, aber auch für die Länder. Ich kann das Triumphgeheul der Union nicht nachvollziehen. Auch die Haushalte von CDU-geführten Ländern wie NRW oder Schleswig-Holstein könnten damit vor Probleme gestellt werden.
Aber hat die Union nicht recht, wenn sie anmerkt, dass ihre Auffassung durch Karlsruhe bestätigt wurde?
Die Union kann sich vielleicht darüber freuen, dass sie einen juristischen Punkt errungen hat. Die wirtschaftspolitische Dimension dieses Urteils und die politischen Herausforderungen betreffen aber alle Ebenen, die Verantwortung in unserem Land tragen, also auch CDU und CSU. Es bringt überhaupt nichts, wenn die Jungs von der Union darüber feixen. Wir müssen eine neue Grundlage dafür finden, die notwendigen Investitionen in die ökonomische Stärke unseres Landes zu tätigen, und gleichzeitig dafür sorgen, dass alle Bürgerinnen und Bürger sich den klimaneutralen Wandel leisten können.
Wie will die Ampel nun in kurzer Zeit sicherstellen, dass die aus dem Klima- und Transformationsfonds finanzierten Vorhaben trotzdem finanziert werden können?
Klar ist, dass wir den Haushalt im Dezember verabschieden wollen, damit dann alles geregelt seinen Weg gehen kann ab 1. Januar 2024. Parallel wird an einem neuen Wirtschaftsplan für den Klima- und Transformationsfonds gearbeitet. Ich will die Situation nicht schönreden, trotzdem glaube ich, dass wir als Ampel die Kraft haben, das hinzukriegen. Wir werden über vieles grundlegend reden müssen.
Auch über mögliche Mehreinnahmen, etwa durch höhere Steuern oder Streichung von Subventionen?
Ich sagte ja, wir werden über vieles grundlegend reden müssen. Als SPD haben wir einen Plan, wie notwendige Zukunftsinvestitionen finanziert werden können. Zum Beispiel mit Hilfe eines Deutschlandfonds über den der Staat und private Kapitalgeber gemeinsam investieren können. Oder in dem sich Mega-Erben mehr beteiligen und wir die Schuldenregeln verändern. Uns ist bewusst, dass das in der Ampel-Koalition nicht zwingend alles von heute auf morgen umgesetzt werden kann. Aber es geht jetzt auch darum, wer gute Ideen hat und Argumente vorbringt. Und die haben wir.
Was bedeutet das Urteil für die Förderkulissen zum Heizungsgesetz? Wird jeder, wie angekündigt, 2024 Zuschüsse für die Heizungsmodernisierung beantragen können?
Die Bundesregierung hat direkt nach dem Urteilsspruch klargestellt: Alle Zusagen für die Bürgerinnen und Bürger, wenn jetzt Heizungen ausgetauscht oder Häuser neu gedämmt werden, gelten weiter. Und da werden wir als SPD auch ganz genau darauf achten, dass die finanziellen Unterstützungen, die wir mit dem Heizungsgesetz verabredet haben, eingehalten werden. Wir lassen die Menschen bei diesem Wandel nicht im Stich.
Als wir vor zwei Jahren miteinander sprachen, haben Sie gesagt: "Ich möchte meine Partei prägen." Zwei Jahre sind rum, Sie kandidieren für eine zweite Amtszeit als Parteivorsitzender. Inwieweit haben Sie Ihr Vorhaben umgesetzt?
Ich würde schon sagen, dass ich die Partei geprägt habe. Nach dem brutalen Angriff Russlands auf die Ukraine habe ich die Außen- und Sicherheitspolitik der SPD auf neue Füße gestellt, dazu gehörte die Fehler der Vergangenheit offen anzusprechen und daraus auch Konsequenzen für die Zukunft zu ziehen. Das waren sehr prägende Entscheidungen für meine Partei, es mussten deutliche Sätze ausgesprochen und Brüche vollzogen werden. Ich bin dankbar für die breite Unterstützung auf diesem Weg und möchte, dass wir ihn in den nächsten Jahren gemeinsam weitergehen.
Ihre Co-Vorsitzende Saskia Esken bringt einen Leitantrag zur Zukunft der Bildungspolitik ein, der SPD-Vorstand bringt zudem gemeinsam den Antrag "Zusammen für ein starkes Deutschland" ein.
Daran haben wir gemeinsam mit Expertinnen und Experten in den letzten Monaten gearbeitet. Wir haben einen Plan, wie Deutschland ein starkes Land bleibt trotz der multiplen Krisen und der Umbrüche, die vor uns liegen. Wir wollen, dass eine Million neue Jobs durch den Klimaschutz entstehen und dass Bund und Länder gemeinsam mehr Geld in Bildung und Infrastruktur stecken. Wir alle wissen doch, dass unser Land an entscheidenden Stellen hinterherhinkt.
Mit welchen anderen Erfolgen empfehlen Sie sich zur Wiederwahl?
Die letzten zwei Jahre waren von vielen Krisen und Herausforderungen gekennzeichnet, die so nicht absehbar waren. Aber wir haben die Menschen da gut durchgebracht, mit drei Entlastungspaketen und der Gas- und Strompreisbremse. Für mich war immer klar: Ich gehe aus keinem Koalitionsausschuss raus, in dem nicht verankert ist, dass wir die gestiegenen Preise abfedern und für Gerechtigkeit sorgen. Bei der Abschöpfung von Übergewinnen bei Unternehmen hat sich die SPD durchgesetzt.
Sie verweisen auf die vielen ungeplanten Themen. Kontinuität hatte dagegen vor allem die Ruhe und Geschlossenheit innerhalb der SPD. Ebenfalls Ihr Verdienst?
Das müssen andere bewerten. Aber ich bin davon überzeugt, dass der gewonnene Bundestagswahlkampf und der Erfolg von Olaf Scholz ermöglicht worden ist durch den Zusammenhalt an der Parteispitze. Für mich persönlich hat das Teamspiel einen sehr hohen Wert.
So viel Geschlossenheit macht es aber manchmal schwer, die eigene Regierung zu kritisieren.
Das sehe ich anders. Geschlossenheit heißt ja nicht, dass wir uns immer in allem einig sind, sondern dass wir intern um den besten Weg ringen und ihn dann nach außen gemeinsam vertreten. Ich glaube, das ist das, was die Bürgerinnen und Bürger von uns erwarten. Wir haben in den letzten zwei Jahren in der Regierung unsere sozialdemokratischen Versprechen eingelöst: 12 Euro Mindestlohn, stabile Renten, die Ausweitung des Wohngelds. Mit dem Parteitag wird jetzt die Partei wieder lauter, was die Frage angeht, wie wir die Zukunft über die Legislaturperiode hinaus gestalten wollen.
Sie hatten vor zwei Jahren auch gesagt, die SPD müsse für 2025 ein noch besseres Wahlergebnis anpeilen. Ist dieses Ziel angesichts der Umfragen einkassiert?
Die Menschen sind gerade mit so vielem beschäftigt in ihrem Alltagsleben, aber nicht mit der Frage, wen sie in zwei Jahren wählen. Wir haben mit Olaf Scholz einen Bundeskanzler, der zum Wahlkampfzeitpunkt vieles in diesem Land angepackt haben wird mit seiner Regierung. Dann wird abgerechnet und da, bin ich mir ganz sicher, ist viel Potenzial drin für die SPD.
Ist das hartnäckige Umfragetief der SPD allein dem Außenbild der Ampel zuzuschreiben oder sind Ihre Wählerinnen und Wähler nicht auch ganz konkret von Ihrer Partei enttäuscht?
Der öffentliche Streit in der Koalition hat vieles überlagert und dafür gesorgt, dass Menschen sich abwenden. Dabei stimmt die Substanz der Ampel. Es hat lange Zeit keine Bundesregierung gegeben, die in den ersten zwei Jahren so viele Krisen zu bewältigen hatte. Wir haben das Land gut durch diese schwierige Zeit geführt und es gleichzeitig an einigen Stellen modernisiert.
Sie fordern im Leitantrag unter anderem, die Schuldenregel zu lockern, eine Sonderabgabe für Superreiche und die Erhöhung der Erbschaftssteuer. Sehen Sie eine Chance, dass eines dieser Vorhaben noch in der laufenden Legislaturperiode durchkommt?
Wir markieren mit dem Parteitag unsere Haltung als Partei. Und die ist mehr als die Kompromisse in der aktuellen Regierung mit Grünen und FDP. Aber wenn Christian Lindner oder Robert Habeck nach unserem Parteitag feststellen, dass ist doch sehr vernünftig, was die SPD sich da überlegt hat, dann setzen wir das selbstverständlich sofort zusammen um. Wir sind klar, was wir wollen.
Die maßgebliche Stimme der SPD ist in der öffentlichen Wahrnehmung der Bundeskanzler und von dem hört man nichts - weder zur Reform der Schuldenbremse noch zu einer höheren Erbschaftssteuer oder Sonderabgaben. Wie geht das zusammen?
Wir haben einen sozialdemokratischen Kanzler, der auf Grundlage des Koalitionsvertrages handelt. Aber seien Sie sich mal sicher: Wir denken mit Olaf Scholz zusammen in die Zukunft und planen auch die Wege dahin gemeinsam. Es gibt eine enge Abstimmung und dennoch eine Klarheit über die unterschiedlichen Rollen, die wir aktuell haben.
In einer Forsa-Umfrage im Auftrag von RTL und ntv plädieren 55 Prozent der Befragten für einen Wechsel der SPD hin zu einer großen Koalition, darunter 54 Prozent der SPD-Anhänger. Was entgegnen Sie denen?
Wir haben aktuell eine Koalition aus drei Parteien, die alle etwas verändern möchten. Wir tragen dabei auch gesellschaftliche Debatten aus und das ruckelt manchmal, aber damit verändern wir mehr als mit der Union in den letzten Jahren möglich war. Trotzdem finde ich es richtig, in so herausfordernden Zeiten immer wieder auch den Schulterschluss über die Ebenen hinweg mit CDU und CSU zu suchen.
In der Migrationsdebatte schien es zuletzt nur noch um die Begrenzung der Zuwanderung zu gehen. Die Einigung der Ministerpräsidentenkonferenz zu den Unterbringungs- und Integrationskosten ging da eher unter. Ist da eine Schieflage entstanden?
Alles gehört zusammen. Wir verändern die Migrationspolitik gerade sehr grundlegend, indem wir die Möglichkeiten massiv ausbauen, dass Fachkräfte nach Deutschland kommen können. Es gehört aber eben auch dazu, dass der Staat funktioniert, wenn es darum geht, dass diejenigen, die hier nicht bleiben können, das Land auch wieder verlassen. Und das Wichtigste für uns ist die Integration über den Arbeitsmarkt. Wer zu uns kommt und hier eine Perspektive hat, soll so schnell wie möglich in einen Job kommen.
Also keine Schieflage in der Debatte?
Wir machen keine Politik mit Ressentiments auf dem Rücken von Menschen, die sich in Deutschland ein besseres Leben aufbauen wollen. Wir sorgen dafür, dass der Staat funktioniert und das Integration gelingt.
Migration wird absehbar auch ein Riesenthema für die SPD-Landesverbände im Osten sein, wo 2024 drei Landtagswahlen anstehen. Stimmen Sie sich darauf ein, dass die AfD in Brandenburg, Sachsen und Thüringen stärkste Partei wird?
Die Stärke der AfD ist kein Zustand, auf den ich mich einstimme, das ist ein Zustand, gegen den wir als SPD ankämpfen. Mit einem ganz klaren Kurs, der heißt: Wir lösen die Alltagsprobleme der Menschen, wir kümmern uns um bezahlbare Mieten, ausreichend Kitaplätze und ordentliche Löhne. Die Höckes und Weidels haben keine Lösungen für diese Herausforderungen. Die wollen, dass es den Menschen schlecht geht. Das ist ihre Geschäftsgrundlage. Deshalb hetzten sie Gruppen gegeneinander auf.
Mit Lars Klingbeil sprach Sebastian Huld
Quelle: ntv.de