Politik

Bangladesch bangt um die Zukunft Für Fariha Aumi geht es um 0,5 Grad

Zwei Drittel der Bevölkerung in Bangladesch leben weniger als fünf Meter über dem Meeresspiegel.

Zwei Drittel der Bevölkerung in Bangladesch leben weniger als fünf Meter über dem Meeresspiegel.

(Foto: picture alliance / abaca)

Im Alter von acht Jahren erlebt Fariha Aumi eine Jahrhundertflut. Inzwischen gibt es solche Überschwemmungen jedes Jahr in Bangladesch. Das Land ist eines der am stärksten vom Klimawandel betroffenen Länder der Welt. Für Aumi und ihre Familie ist der Unterschied zwischen 1,5 und 2 Grad eine Frage des Überlebens.

Der kleine Garten vor dem Familienhaus in Jashore war immer voll bepflanzt. Alles, was Fariha Aumi und ihre Familie brauchten, pflanzten sie selbst an. Guave, Kürbis, Wassermelone waren immer Teil der Ernte - aber vor allem Papaya. Die dunkelorange Frucht war ein Hauptbestandteil in der Küche, erinnert sich die heute 22-Jährige. In der Stadt im Westen Bangladeschs machten das alle so.

Heute sieht die Landschaft ganz anders aus. Wo früher Papayas wie Unkraut wuchsen, ist heute nur noch trockene Erde zu sehen. Zu oft gab es Überschwemmungen - die Erde ist salzig geworden. Seit 2013 wächst vor dem Haus von Aumis Familie kaum noch etwas. "Unser Lebensstil hat sich seither drastisch verändert", sagt Aumi in einem Video-Interview aus Jamalpur. "Selbst bisherige Klimaveränderungen haben jetzt schon große Auswirkungen auf uns."

Mittlerweile studiert Aumi in Jamalpur, einer Stadt im Norden von Bangladesch. Besonders in diesen Monaten kommt es auch dort immer wieder zu Überschwemmungen. "Als ich jung war, erlebten wir solche Überschwemmungen vielleicht einmal alle zwei Jahre", sagt sie. "Heute passieren sie zwei- oder sogar dreimal im Jahr." Im Süden des Landes kommt es immer häufiger zu Wirbelstürmen. In anderen Teilen des Landes sind es Dürren oder Erosionen.

Als Kind wusste Aumi nicht, warum Überschwemmungen und Stürme immer häufiger auftreten. "Heute verstehe ich, dass wir selbst daran schuld sind", sagt die Aktivistin. "Oder vielmehr, dass die Politiker der Welt daran schuld sind." 2018 beschloss sie, bei Fridays for Future mitzumachen.

Was 0,5 Grad ausmachen

Bangladesch ist eines der am stärksten vom Klimawandel betroffenen Länder der Welt. Für kaum ein Land macht der Unterschied zwischen 1,5 und 2 Grad Erwärmung einen größeren Unterschied aus. Wenn der Meeresspiegel auch nur minimal ansteigt, hat dies Auswirkungen auf das gesamte Land. Bangladesch gehört zu den fünf Ländern mit der höchsten Bevölkerungsdichte in niedrig gelegenen Küstengebieten. Zwei Drittel der Bevölkerung leben weniger als fünf Meter über dem Meeresspiegel. Fast 30 Prozent leben direkt an der Küste. Aber das Delta von Bangladesch, in dem drei Flüsse zusammenfließen, reicht weit ins Land hinein. So sind auch diejenigen, die nicht direkt am Meer leben, dem Anstieg des Meeresspiegels ausgesetzt.

In seinem jüngsten Bericht prognostiziert der Weltklimarat IPCC erschütternde Zahlen für Küstengebiete wie Bangladesch: Selbst wenn das 1,5-Grad-Ziel erreicht wird, wird der Meeresspiegel bis 2100 um rund 50 Zentimeter steigen. Wird die globale Erwärmung nur auf 2 Grad begrenzt, werden es bis 2100 rund zehn Zentimeter mehr sein. Klingt im ersten Moment nicht nach viel. Doch Alexander Nauels von Climate Analytics, einer internationalen Organisation, die sich mit klimapolitischen Analysen befasst, sagt: "Wenn wir weiter in die Zukunft schauen, werden die Unterschiede deutlich gravierender."

Bei den zehn Zentimetern handelt es sich auch nur um das Best-Case-Szenario. Wenn Emissionen weiter steigen und das Worst-Case-Szenario des IPCC Realität wird - ein Szenario, das einen rapiden Verlust großer polarer Landeismassen annimmt - könnte der Meeresspiegel bis 2100 um bis zu 2 Meter und bis 2150 um 5 Meter steigen. Doch für Länder wie Bangladesch sind selbst die besten Szenarien ernst zu nehmen: "Diese Regionen sind unglaublich anfällig", sagt Nauels. "Selbst kleine Veränderungen um jeden Zentimeter können einen sehr großen Unterschied ausmachen."

Zyklone, Überschwemmungen, Biodiversitätskrise

Zudem werden extreme Zyklone häufiger auftreten. Für Menschen, die in Küstenregionen leben, bedeutet dies das Risiko einer kompletten Verwüstung. Aber auch Menschen wie Aumi und ihre Familie, die nicht direkt am Meer leben, werden die Folgen zu spüren bekommen. "Wenn solche Wirbelstürme aufziehen, sind große Teile des Landes von Überschwemmungen betroffen", sagt Kira Vinke, Leiterin des Zentrums für Klima- und Außenpolitik der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Die Region um den Golf von Bengalen - das große Delta im Land - ist besonders anfällig für tropische Stürme, die mit wachsender Intensität auftreten.

Einen der schlimmsten Tropenstürme erlebte Aumi 2009, er hieß "Aila". Zwar blieb Jashore vom Zyklon selbst weitgehend verschont. Aber die Überschwemmungen bleiben Aumi ins Gedächtnis eingebrannt. Die damals Achtjährige sah zu, wie Bäume entwurzelt wurden und einen Fluss vor ihrem Fenster hinunterflossen, der aus dem Nichts entstanden war. "Es war ein Horrormoment", sagt sie. 339 Menschen kamen bei dem Sturm in Bangladesch ums Leben. Mehr als eine Million Menschen wurden obdachlos.

Mit der Erderwärmung werden nicht nur Stürme und Überschwemmungen häufiger werden. Wichtig für den Küstenschutz in Bangladesch sind Mangroven, die Sturmfluten bremsen und die Auswirkungen drastischer Wetterereignisse verhindern können. Wenn die Erwärmung nicht auf 1,5 Grad begrenzt wird, droht diesen Wäldern der Zusammenbruch. "Wir wissen, dass sich wichtige Küstenökosysteme bei 2 Grad Erwärmung nicht mehr anpassen können", sagt Nauels. "Bei 1,5 Grad sind die Chancen sehr viel größer, dass sie überleben." Wenn die Mangrovenwälder verschwinden, ist die Küste noch anfälliger für Wirbelstürme und Überschwemmungen - ein gefährlicher Teufelskreis.

Klimaanpassung stößt an Grenzen

Da jeder im Land vom Klimawandel betroffen ist, gibt die Regierung bereits viel Geld für Klimaanpassungsmaßnahmen aus. Häuser werden auf Stelzen gebaut, Frühwarn- und Evakuierungssysteme sowie Notunterkünfte werden entwickelt. Schätzungen zufolge gibt das Land jährlich eine Milliarde US-Dollar für Klimaanpassung aus. Eine Summe, die für Schwellen- und Entwicklungsländer wie Bangladesch eigentlich kaum bezahlbar ist: "Auch ein Land, das wirtschaftlich nicht so stark ist, braucht mehr finanzielle Mittel für einen verstärkten Küstenschutz. Die internationale Gemeinschaft muss in diesem Zusammenhang adäquate Unterstützung leisten", sagt Nauels.

Familien in ländlichen Gebieten bezahlen sogar noch mehr für Klimaanpassungen- jährlich etwa doppelt so viel, wie ein Bericht des International Institute for Environment and Development (IIED) zeigt. Dem Bericht zufolge erhalten Haushalte, die in ländlichen Gebieten leben, jährlich 154 Millionen Dollar für die Klimasanierung. Sie investieren jedoch viel mehr: "In Armut lebende Haushalte geben ihr Geld für die Reparatur von Schäden an ihren Häusern und den Ersatz von Tieren oder zerstörten Ernten aus und verzichten auf Grundbedürfnisse wie Nahrung, Bildung und Gesundheit", heißt es in dem IIED-Bericht.

Deshalb haben die Industrieländer 2009 Klimahilfen für Entwicklungsländer zugesagt. Zwischen 2020 und 2025 sollen jährlich 100 Milliarden US-Dollar (86 Milliarden Euro) fließen, um Klimaanpassungsmaßnahmen zu finanzieren. Die reichen Länder der Welt haben erkannt, dass die ärmeren Länder selbst am wenigsten zum Klimawandel beitragen, aber am stärksten betroffen sind.

Neue Berechnungen zeigen indes, dass selbst die 100 Milliarden Dollar nicht ausreichen werden. Dass die Anpassungsstrategien irgendwann an ihre Grenzen stoßen, wird mit fortschreitender Erderwärmung immer wahrscheinlicher. Und dann werden Menschen ihre Heimat verlassen müssen. Bis 2050 könnten 0,9 Millionen Menschen in Bangladesch aufgrund von Naturkatastrophen umsiedeln müssen. Bis 2100 steigt diese Zahl auf 2,1 Millionen Menschen an. Allerdings ist das Land nur für 0,28 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Zum Vergleich: In Deutschland, einem Land mit halb so vielen Einwohnern, sind es etwa 2 Prozent. "Länder wie Bangladesch sind auf die Industrieländer angewiesen, um eine emissionsfreie Entwicklung voranzutreiben", sagt Kira Vinke.

Nicht eingehaltene Versprechen

Doch die Versprechen werden nicht eingehalten. Das 1,5-Grad-Ziel, die Klimahilfe: Das sind Ziele der Industrieländer, die verfehlt wurden. Dass die 1,5 Grad überschritten werden dürften, ist inzwischen Konsens unter Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen. Auch die 100 Milliarden Dollar Klimahilfe werden erst 2023 ausgezahlt.

Mehr zum Thema

Menschen wie Aumi zahlen den Preis dafür. "Ich bin wütend", sagt sie. Aber nicht, weil sie dem Klimawandel stärker ausgesetzt ist als ihre Mitaktivisten und -aktivistinnen in Deutschland. Sondern weil "Versprechen gemacht, aber nicht gehalten werden".

Die junge Frau möchte nach ihrem Studium nach Jashore zurückkehren. Sie will ein Haus bauen. Sie würde gerne in der Nähe eines Waldes leben, "damit ich immer frische Luft atmen kann", wie sie sagt. "Ich möchte eine Gemeinschaft haben, so wie damals, als ich ein Kind war." Sie möchte mit ihren Nachbarn im Garten stehen und ihre Papaya und Guave bewundern. Aber mit jedem weiteren Grad rückt dieser Traum in weitere Ferne. "Wenn die Industrieländer ihre Versprechen einhalten würden, könnte ich ohne Sorgen von dieser schönen Zukunft träumen."

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen