
Verbringen wieder viel Zeit zu dritt: Lindner, Habeck und Scholz.
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Lange Zeit bestreiten die Ampel-Vertreter das existenzielle Ausmaß der Haushaltskrise. Die kurzfristige Absage von Habecks Nahost-Reise deutet aber auf das Gegenteil. Während der Bundesregierung die Zeit für eine Lösung zum Haushalt 2024 davonläuft, treiben die beteiligten Parteien weiter ihren Preis hoch.
Die Bundesregierung spart im Zusammenhang mit der Weltklimakonferenz COP in Dubai messbar CO2 ein: Robert Habeck, Bundesminister für Klimaschutz und Wirtschaft, fliegt nämlich gar nicht erst hin, der für ihn reservierte Airbus der Luftwaffe bleibt am Boden. Die Reise, die den Vize-Kanzler zudem nach Saudi-Arabien, Oman und Israel führen sollte, wurde rund 24 Stunden vor Abflug abgesagt. Habeck sei wegen der anhaltenden Haushaltskrise in Berlin unabkömmlich, lässt sein Ministerium wissen. Offenkundig wollen er, Scholz und Lindner noch in dieser Woche einen Durchbruch bei der Finanzierung des Haushalts 2024 erzielen. Nach allgemeiner Einschätzung ist dies Voraussetzung, damit die Ampel zumindest noch eine Rest-Chance hat, den Haushalt im laufenden Jahr durch Bundestag und Bundesrat zu bringen.
Während die Wahrscheinlichkeit einer gerade noch rechtzeitigen Verständigung mit jedem weiteren Tag sinkt, ist die kurzfristige, höchst ungewöhnliche Reise-Absage ein spätes Eingeständnis, wie kritisch es tatsächlich um das Regierungsbündnis steht. Bis zum Sonntagabend nämlich waren alle Beteiligten bemüht, möglichst viel Zuversicht und vor allem Souveränität auszustrahlen. Dieser Eindruck, alles im Griff zu haben, war dem Kanzleramt sowie den Ministerien von Habeck und Lindner genauso wichtig, wie die Lösung selbst. Denn bei allem Willen zur fortgesetzten Zusammenarbeit besteht in der Ampel durchaus Sorge vor einer plötzlich nicht mehr einzufangenden Dynamik, die zum vorzeitigen Ende der Ampel führen könnte.
Kein "Plan B", nirgends
So wendete sich das Spitzen-Trio noch am Tag der Urteilsverkündung mit einem knappen Statement an die Öffentlichkeit. Scholz verkündete darin, dass die Regierung die Folgen des Urteils nun genau prüfen werde. Derweil verbreiteten Mitglieder der Regierungsfraktionen, es gebe einen "Plan B", die Ampel sei vor dem Urteil auf jedwedes Szenario vorbereitet gewesen. Zwei Wochen später, beim Treffen des Koalitionsausschusses, lag dieser "Plan B" für den Haushalt 2024 aber noch immer nicht vor.
Die Regierung hat es bisher lediglich geschafft, eine Lösung für den diesjährigen Haushalt vorzulegen, weil das Urteil implizit auch den Wirtschaftsstabilisierungsfonds, der die Energiepreisbremsen finanzierte, und den Ahrtalfonds infage stellt. Explizit kassiert haben die Karlsruher Richter aber Kreditermächtigungen über 60 Milliarden Euro im Klima- und Transformationsfonds (KTF), deren Kompensation bis heute ungeklärt ist. Rund 17 Milliarden Euro fehlen dadurch allein im kommenden Jahr für geplante Vorhaben. Ein ähnlich großer Betrag fehlt für das Jahr 2025, das Teil der mit dem Haushalt 2024 ebenfalls anzupassenden mittelfristigen Finanzplanung ist.
Widersprüchliche Kommunikation
Nach dem Treffen der Koalitionsspitzen am vergangenen Mittwoch war klar, dass Scholz, Habeck und Lindner im kleinen Kreis eine Lösung finden müssen. Der Koalitionsausschuss aus Vertretern von Regierung, Parteien und Fraktionen entbehrt der nötigen Vertraulichkeit für solch schwierige Gespräche. Weil aber Habeck und Scholz zur COP reisen wollten, hätten sie die Haushaltsverhandlungen nebenher in Telefon- und Videokonferenzen führen müssen. Bei dem Treffen der drei Ampel-Chefs am vergangenen Wochenende, assistiert von jeweils einem Staatssekretär, reifte offenbar die Einsicht, dass es so doch nicht gehe.
Am Sonntagabend gab Habecks Ministerium den Verzicht auf die Reise in den Nahen Osten bekannt. Am Montag sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit auf Nachfrage von Journalisten, Habeck habe "in Absprache mit dem Bundeskanzler entschieden, seine Reise nicht anzutreten". Der Kanzler und beide Minister wollten "sinnvollerweise" vor Ort miteinander sprechen. "In der Abwägung dessen war man sich einig, dass es noch sinnvoller ist, als diese Reise anzutreten, die Gespräche weiterzuführen", sagte Hebestreit. Fragt sich, warum Habecks Mitarbeiter am Vorabend von sich aus erklärten, ihr Chef habe seine Reise "in Absprache und auf Bitten des Bundeskanzlers" abgesagt. Diese "Bitte" bestätigte Hebestreit auf Nachfrage nicht.
War es eine Frage der Diplomatie, die Gastgeber in Dubai, Maskat, Riad und Tel Aviv nicht vor den Kopf zu stoßen, indem man die kurzfristige Absage mit einer entsprechenden Aufforderung des deutschen Regierungschefs entschuldigt? Das ist möglich, nährt aber dennoch den Eindruck anhaltender Reibungen in der Regierungskoalition. Wäre den drei Chefverhandlern am Wochenende ansatzweise ein Durchbruch geglückt, hätte sich Habeck auch auf Reisen begeben können. So aber wird Habeck weiter in Berlin gebraucht, nicht nur um mit Scholz und Lindner zu verhandeln, sondern auch um etwaige Verhandlungsergebnisse mit Fraktion und Partei rückkoppeln zu können.
Ernsthafte Forderungen oder taktisches Getöse?
Eine Einigung wird erschwert durch diverse rote Linien, die die Spitzenvertreter aller drei beteiligten Parteien und ihrer Fraktionen landauf und landab in Interviews ziehen. Die SPD will keinesfalls an die Sozialausgaben ran und ist sich mit den Grünen darin einig, dass am Inflationsausgleich beim Bürgergeld im neuen Jahr nicht zu rütteln sei. Einig sind sich auch beide Parteien, dass die Fördergelder im Zusammenhang mit dem Heizungsgesetz unverhandelbar seien.
Bei anderen Klimaschutzvorhaben aus dem KTF ist die SPD den Grünen zumindest nicht in den Rücken gesprungen, stattdessen brachte SPD-Chef Lars Klingbeil am Wochenende Steuererhöhungen zur Finanzierung all dieser Projekte ins Spiel. Diese sind zwar mit der FDP genauso wenig zu machen wie eine Reform der Schuldenbremse - die zudem der Zustimmung der Union bedürfte -, doch vielleicht ist das Getöse von SPD und Grünen auch taktischer Natur: Je kräftiger sie mit Vorschlägen wedeln, die für die FDP rote Tücher darstellen, desto gesichtswahrender ist es für die FDP, wenn sie einer erneuten Aussetzung der Schuldenbremse im Jahr 2024 doch zustimmen sollte, dafür aber Steuererhöhungen vermeintlich verhindert hat.
Einigung vor dem Parteitag
Umgekehrt ist es auffällig, wie lautstark neben der Union auch FDP-Vertreter schwer realisierbare Forderungen erheben: Der von ihnen vorgeschlagene Verzicht auf eine Erhöhung des Bürgergelds ist nicht ohne grundlegende Gesetzesänderung machbar. Sowohl der Regelsatz als auch die zugehörige jährliche Anpassung entlang des sogenannten regelbedarfsrelevanten Preisindexes folgen aus zwei Bundesverfassungsgerichtsurteilen: Der Gesetzgeber muss ein menschenwürdiges Existenzminimum gewähren - und das unabhängig von der Mitwirkung der Bürgergeld-Bezieher an der Suche nach einer Beschäftigung. Eine verfassungskonforme Neuregelung, die die Bürgergeld-Ausgaben spürbar senkt, wäre daher weder unkompliziert noch schnell zu haben.
Die Koalition steckt offenkundig noch immer in jener Verhandlungsphase, in der alle Beteiligten nach außen hin versuchen, ihren jeweiligen Preis für einen Kompromiss nach oben zu treiben. Ein Durchbruch noch vor dem Wochenende, an dem die SPD in Berlin zu ihrem Bundesparteitag zusammenkommt, wäre durchaus im Interesse des sozialdemokratischen Bundeskanzlers. Andererseits soll der sicher nicht überschattet werden durch Kürzungen bei SPD-Kernanliegen wie Rente und Bürgergeld.
Andererseits wäre ein Grundkonsens bis zum Freitag längst keine Garantie auf Verabschiedung des Haushalts noch im Dezember: Die Ampel ist auf die Kooperation der Union angewiesen, die verkürzten Beratungsfristen zustimmen müsste oder gegen zu kurze Beratungszeiten im Bundestag klagen könnte. Die Ampel ist längst nicht mehr Herr des Verfahrens. Das war auch schon vor drei Wochen der Fall, wird aber mit Habecks kurzfristiger Reise-Absage immer offensichtlicher.
Quelle: ntv.de