Wohlstand geht vor Green Deal Jetzt sagt Merz von der Leyen, wo's lang geht


Im Europa-Wahlkampf kann Merz mitbestimmen, in welche Richtung die Politik der europäischen Konservativen geht.
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Um sich den Rückhalt des CDU-Vorsitzenden Merz bei der Europawahl zu sichern, muss EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen ihre Klima-Agenda wirtschaftlichen Interessen unterordnen. Einige Rückzieher hat sie schon gemacht. Im Wahlkampf steht die Wettbewerbsfähigkeit im Vordergrund.
Die Europäische Union, das grüne Idyll. Eine Armada von Elektroautos auf den Straßen. Eine Landwirtschaft im Einklang mit der Natur. Ein Meer von Windrädern und Solarzellen. Klimaneutralität bis 2050. Es sind ambitionierte Ziele, die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit ihrem Green Deal seit ihrem Amtsantritt im Sommer 2019 verfolgt hat. Fünf Jahre später möchte von der Leyen vor allem ihr Amt behalten. Unterstützung dafür erhält sie vom CDU-Vorstand, der sie als Spitzenkandidatin der europäischen Parteienfamilie EVP für den künftigen Kommissionsvorsitz vorgeschlagen hat. Allerdings musste von der Leyen Zugeständnisse machen, um wieder ins Rennen gehen zu dürfen.
Das wird spätestens in dem Moment deutlich, als sie im Konrad-Adenauer-Haus, der Parteizentrale der CDU, ihre Kandidatur verkündet. Neben von der Leyen steht Friedrich Merz. Der CDU-Vorsitzende spricht zuerst. Dabei erklärt er ohne Umschweife, wo für ihn die Prioritäten liegen. Die Europäische Union müsse zum einen "Sicherheit gewährleisten". Zum anderen sei die wichtigste Botschaft, den "Wohlstand zu sichern", nur dann gebe es auch soziale Sicherheit und eine gelungene "Transformation zu einer klimaneutralen Wirtschaft", so Merz. Entscheidend ist hier die Reihenfolge der Forderungen: Zuallererst steht bei Merz der Wohlstand im Fokus, als Garant für eine funktionierende Sozial- und Klimapolitik. Er wolle nichts weniger als eine "Zeitenwende in der Wirtschaftspolitik", wobei er mit "Frau von der Leyen einer Meinung" sei, sagt Merz.
Merz unterstützt zwar die Klimaziele des Green Deal, allerdings stets unter dem Vorbehalt, dass die Wirtschaft nicht leidet. In ihrer Partei bekam von der Leyen schon oft Gegenwind für ihre ehrgeizige Umweltpolitik. Kritiker sahen sie eher bei den Grünen als bei der Union. Aber nun sichert auch von der Leyen zu, gemeinsam "mit der Wirtschaft" die Klimaziele erreichen zu wollen. Für den Bürokratieabbau in der EU unternimmt sie bereits konkrete Schritte. So will sie die Berichtspflichten für Unternehmen um 25 Prozent reduzieren. Wichtig sei "Planbarkeit und Verlässlichkeit für Investoren". Sie suche jetzt das Gespräch mit Vertretern der Industrie und der Landwirtschaft. Dabei wolle sie ihnen eine entscheidende Frage stellen: "Was braucht ihr, damit wir die Klimaziele erreichen?"
Von der Leyen zu Kehrtwenden gezwungen
Die Proteste der Bauern, die sich in den vergangenen Monaten auch gegen die Agrarpolitik der EU richteten, haben von der Leyen bereits zu der ein oder anderen Kehrtwende gezwungen. So lockerte die EU-Kommission Mitte Februar eine Umweltauflage für Landwirte, obwohl sie dabei keine Mehrheit der EU-Staaten unterstützte. Rückwirkend zum 1. Januar dieses Jahres wurde die Vorgabe ausgesetzt, vier Prozent des Ackerlandes brachliegen zu lassen oder unproduktiv zu nutzen. Zudem zog von der Leyen einen Vorschlag für ein Umweltschutzgesetz gegen hohen Pestizideinsatz zurück - mit der Begründung, die Verordnung sei ein Symbol der Polarisierung geworden.
Auch diese Entscheidungen sind auf parteiinternen Druck zurückzuführen. Manfred Weber, CSU-Mitglied und Vorsitzender der Europäische Volkspartei (EVP), revoltierte vergangenes Jahr bereits gegen ein Gesetz zur Wiederherstellung der Natur. Weber suchte im Sommer nach Verbündeten, um die Verordnung zu verhindern, da sie aus seiner Sicht den Landwirten einseitig die Kosten für den Klimaschutz aufbürdet. Das Europäische Parlament stimmte jedoch mit knapper Mehrheit dafür. Eine Schlappe für Weber, da sogar Abgeordnete seiner Fraktion sich seinem Aufruf widersetzten, gegen die Novelle zu stimmen.
Um ihr Amt zu behalten, ist von der Leyen jedoch auf Verbündete in der Union und in der EVP angewiesen. Das zeigt sich auch beim gemeinsamen Auftritt mit Merz. Einstimmig habe der Bundesvorstand der CDU am heutigen Montag für von der Leyens Kandidatur gestimmt, sagt Merz. "Ich werde mich persönlich dafür einsetzen, dass diese Einstimmigkeit auch bei dem EVP-Kongress am 6. und 7. März erreicht wird", fügt er hinzu. Wenn auch die europäischen Konservativen ohne Ausnahme hinter von der Leyen stehen, erhöht das ihre Chancen, Kommissionspräsidentin zu bleiben. Laut aktuellen Umfragen ist es wahrscheinlich, dass die EVP erneut stärkste Partei bei der Europawahl wird. Das betont auch Merz.
Heftige Kritik von FDP und Grünen
Ganz uneigennützig handelt er vermutlich nicht. Im Koalitionsvertrag der Ampelregierung steht, dass die Grünen nach der Europawahl das deutsche Kommissionsmitglied stellen, "sofern die Kommissionspräsidentin nicht aus Deutschland stammt". Mit von der Leyen kann Merz das verhindern und seiner CDU einen herausgehobenen Posten in der nächsten EU-Kommission sichern.
Dass von der Leyen zwar eine zweite Amtszeit als EU-Kommissionspräsidentin will, aber nicht bei den Europawahlen antritt, monieren sowohl die Grünen als auch die FDP. "Von der Leyen wurde von den Regierungschefs zur Kommissionspräsidentin gemacht. So soll es jetzt wieder laufen", sagt etwa der grüne Europaabgeordnete Daniel Freund. FDP-Spitzenkandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann kritisierte bei ntv, von der Leyen wolle offenbar "von der Seite auf die Tribüne springen". Die Beschwerden sind ein Hinweis darauf, dass sich manche Parteien schon jetzt übergangen fühlen, wenn es um die Bestimmung der Kommissionsspitze geht. Von der Leyen ist aber bei ihrer Wiederwahl sowohl auf die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten als auch auf das Parlament angewiesen. Trotz der guten Umfragewerte für die EVP könnte es für sie knapp werden.
Quelle: ntv.de