Politik

Aufklärung statt Apokalypse? "Zu viele 'Haltungsjournalisten' ergreifen Partei für Klimaschutz"

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Richtet eine symbolisch brennende Erde auf der Titelseite einer Zeitung mehr Schaden als Nutzen an?

Richtet eine symbolisch brennende Erde auf der Titelseite einer Zeitung mehr Schaden als Nutzen an?

(Foto: picture alliance / NurPhoto)

Kernkraft. Heizungsgesetz. Tempolimit. Fleisch. Begriffe aus der Welt des Klimawandels bergen soziale Sprengkraft. Menschen fühlen sich abgehängt, verschaukelt oder bevormundet. Auch, weil Medien keinen guten Job machen, sagt Stephan Russ-Mohl. Deren Aufgabe wäre es, zwischen Experten und Lesern zu übersetzen, um das breite Publikum zu erreichen, das Verbrenner fahre, Fleisch esse und nicht daran denke, die Heizung auszuwechseln, kritisiert der Medienwissenschaftler im "Klima-Labor" von ntv. Stattdessen werde im Kampf um Aufmerksamkeit dramatisiert und zugespitzt, sagt Russ-Mohl. "Irgendwann merken die Medienkonsumenten aber, dass sie ständig mit Weltuntergangsszenarien konfrontiert werden, die Welt aber nicht untergeht."

ntv.de: Wenn Sie Medien wie ntv eine Schulnote geben müssten, welche wäre das?

Stephan Russ-Mohl: Seriös kann man diese Frage nicht beantworten, weil jedes Medium eingebunden ist in einen Kontext, generell aber eher eine schlechte. Damit meine ich nicht unbedingt Sie, das gilt für viele hochseriöse Medien wie die "Süddeutsche Zeitung", den "Spiegel" oder den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Einfach, weil viele Redaktionen auch aufgrund der geringen Zahlungsbereitschaft des Publikums schlecht ausgestattet sind, um den vielfältigen Anforderungen einer hochkomplexen Welt zu genügen. Wissenschaftsredakteure sind in den meisten Redaktionen rar geworden. Aber wenn man mit Themen wie Covid umgehen muss oder Kernenergie, ist Expertenwissen nötig, um korrekt zu informieren und ein vernünftiges Gespräch zu führen.

Im "Klima-Labor" haben wir tatsächlich eher das umgekehrte Problem: Leserinnen und Leser haben sich gemeldet und gesagt, es sei teilweise zu spezifisch und kompliziert. Als wir bei Ihnen gelesen haben, dass Nicht-Akademiker, Ältere und auch Männer in den Medien inzwischen gerne übersehen werden, haben wir uns ertappt gefühlt.

Die Herausforderung für die Journalistinnen und Journalisten ist in der Tat zu übersetzen: Sie müssen halbwegs kompetente Gesprächspartner für Experten sein. Das geht wirklich nur "halbwegs", denn ein Journalist wird nie so viel über Darmkrebs wissen wie der Spezialist. Aber diese Diskrepanz muss ein Journalist überbrücken können - und zwar so, dass Zuschauer, Zuhörer, Leserinnen und Leser verstehen, worum es geht.

Ein häufiger Vorwurf ist, dass in vielen Redaktionen Menschen sitzen, die sich eher bei Grünen und Linken verorten, also "linksgrün versifft" sind. Halten Sie das ebenfalls für ein Problem?

"Versifft" ist nicht mein Sprachgebrauch, aber das ist keine Meinung, das wissen wir aus Umfragen. Diese zeigen sehr deutlich, dass es bei den etablierten Medien eine kulturelle Hegemonie im linksgrünen Bereich gibt. Unter den Nachwuchsjournalisten der ARD ist so gut wie niemand CDU, CSU oder FDP zugeneigt. Als Medienbeobachter, der sich immer noch relativ intensiv mit Journalismus beschäftigt, muss ich sagen: Das ist ein gewisses Problem.

Gilt das nur für die Besetzung der Redaktion oder auch für die Beiträge, die anschließend entstehen? Man kann ja argumentieren: Die Leute sind Profis und trotz ihrer linksgrünen Neigung in der Lage, fair über andere Parteien zu berichten.

Das ist möglich, aber nicht unbedingt wahrscheinlich. Ich selbst habe als damals aktiver Juso im Journalismus angefangen. Das haben einige Leute beim Bayerischen Rundfunk schnell gemerkt und sich beschwert. Das hat bei mir einen Lernprozess ausgelöst: Man sollte die Hörerinnen und Hörer nicht bevormunden oder missionieren, sondern ehrlich und redlich versuchen, die verschiedenen Seiten darzustellen. Aber das ist ein Prozess von Professionalisierung, der heute zu kurz kommt. Wir haben zu viele "Haltungsjournalisten", die meinen, dass sie für Klimaschutz, die Ukraine, Israel oder - im Moment wahrscheinlicher - für Palästina Partei ergreifen müssen.

Das bekannteste Medienhaus in Deutschland ist allerdings der Springer-Verlag. Dessen Zeitungen und Onlineportale sind bekannterweise eher konservativ und stehen dazu.

Für mich ist das Haus Springer immer eine Ausnahme von der Regel gewesen. Beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk und bei fast allen anderen etablierten Print- und inzwischen auch Onlinemedien findet man diese kulturelle Hegemonie im linksgrünen Bereich. Selbst die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" ist ein ganzes Stück nach links gewandert und unter Frau Merkel auch die CDU deutlich weiter als früher.

Aber wenn man sich die Heizungsdebatte anschaut, wird der Ton doch keineswegs so gesetzt, dass er den Grünen gefallen kann.

Dass den Grünen die Debatte nicht gefällt, ist klar. Aber wenn Herr Habeck sich in einer Situation, in der von einem Tag zum anderen unsere ganze Energieversorgung infrage steht, nicht bewegt und dafür sorgt, dass die Kernkraftwerke ein paar Jahre länger laufen dürfen, sondern sich über wirtschaftliche und wissenschaftliche Expertise hinwegsetzt, um an dem festzuhalten, was die Grünen seit Jahrzehnten wollen …

Es sind doch aber die E-Mails der AKW-Betreiber bekannt, in denen sie dem Wirtschaftsministerium selbst sinngemäß mitteilen: Wir sind auch gegen die Verlängerung der Laufzeiten, wollen das öffentlich aber nicht sagen. Das muss bitte die Politik übernehmen.

Dass die Betreiber keine große Lust verspürten, noch mal neue Brennstäbe zu kaufen und sich neuerlich auf die veränderte Lage einstellen müssen, kann ich nachvollziehen. Aber die Kernenergie ist für mich nur ein Beispiel von vielen, wo der Eindruck entstand, dass die Politik sehr eigenwillig auf Veränderung reagiert und eben nicht tut, was im Interesse des Gemeinwohls nötig wäre. Dass man langfristig Klimaschutz betreiben muss, will ich überhaupt nicht in Zweifel setzen. Politik besteht aber auch darin, die Menschen mitzunehmen.

Aber wie macht man das denn? Der Klimawandel wird ärgerlicherweise gerne als "grünes" Thema abgetan. Dabei ist es ein Wissenschaftsthema, in dem sich eine sehr große Mehrheit der Wissenschaft einig ist.

Das Kernproblem ist, dass die Wissenschaftskommunikation nicht richtig funktioniert. Anstrengungen gibt es viele. Alle Universitäten haben heute gut ausgestattete Pressestellen und bombardieren Redaktionen tagtäglich mit irgendwelchen Medienmitteilungen. In den Redaktionen selbst fehlt es aber an Wissenschaftsjournalisten, die diese Meldungen aufnehmen und halbwegs sachkompetent weiterverarbeiten. Und falls das wie in Ihrem Fall doch passiert, erreichen Sie vermutlich nicht das breite Publikum, sondern Hörerinnen und Hörer, die ein Stück weit in der Blase sitzen. Die Herausforderung besteht darin, die Leute außerhalb dieser Blase zu erreichen, die Verbrenner fahren, Fleisch essen und nicht daran denken, ihre Heizung auszuwechseln.

Und wie bringt man diese Blase zum Platzen? Sobald Begriffe wie Klima, CO2-Emissionen oder das 1,5-Grad-Ziel in der Überschrift stehen, schalten die Leute erfahrungsgemäß um oder ab.

Wo finde ich das "Klima-Labor"?

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Das sollte uns nicht allzu sehr verwundern, denn wir haben in der Öffentlichkeit so etwas wie eine Aufmerksamkeitskonjunktur. Ich kann mich daran erinnern, dass Wissenschaftler in meinem Fach anfangs diskutiert haben, warum es vollkommen unmöglich sein wird, das Klimaproblem zu einem journalistischen und politischen Thema zu machen: Es ist zu diffus und zu komplex und man muss die USA und China an einen Tisch holen, sonst kann man es nicht lösen. Alles andere ist Show der Grünen ohne Effekt. Vor diesem Hintergrund sollten wir uns eher wundern, wie stark es gelungen ist, das Klimathema in die Öffentlichkeit zu bringen.

Wir haben in den Bereichen Klimawandel, Energiewende und Klimaschutz bereits mehr geschafft, als erwartet wurde?

Ja. Wobei dieses "mehr" auch damit zu tun hat, dass Journalisten im Kampf um Aufmerksamkeit dramatisieren und zuspitzen müssen, um gegen die Konkurrenz zu bestehen. Irgendwann merken die Medienkonsumenten aber, dass sie ständig mit Weltuntergangsszenarien konfrontiert werden, die Welt aber gar nicht untergeht. Dann entsteht das Glaubwürdigkeitsproblem, in dem wir seit einigen Jahren stecken. Aus dem kann man sich am eigenen Schopf wahrscheinlich nicht mehr herausziehen. Man muss damit leben, dass die Menschen dem Journalismus weniger Glauben schenken.

Gibt es keinen Weg zurück?

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Das ist die Gretchenfrage. Ich wäre froh, wenn ich Rezepte anzubieten hätte, kann aber nur sagen, was nicht funktioniert: Fehlerkorrekturen bei Falschnachrichten sind ein schwaches Instrument, denn in der Regel erfahren die falschen Leute von der Korrektur. Das Weiterverbreiten von Falschinformationen geht einfach sehr viel schneller. Insofern ist Korrigieren zwar wichtig, aber nicht effektiv. Sinnvoll wäre deshalb, dass Journalisten über den Medienbetrieb und die eigene Fehlbarkeit aufklären und deutlich sagen, dass man nicht alles weiß. Das gilt im Übrigen auch für Forschung und Wissenschaft. Inzwischen werden täglich so viele Informationen produziert, selbst Wissenschaftler haben große Schwierigkeiten, auf dem Laufenden zu bleiben und mitzukriegen, was sich in ihrem Forschungsgebiet tut. In dieser komplexen Welt leben wir. Das muss man den Leuten da draußen deutlich machen und vermitteln, wenn man etwas korrigieren will.

Mit Stephan Russ-Mohl sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet. Das komplette Gespräch können Sie sich im Podcast "Klima-Labor" anhören.

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Was hilft wirklich gegen den Klimawandel? Funktioniert Klimaschutz auch ohne Job-Abbau und wütende Bevölkerung? Das "Klima-Labor" ist der ntv-Podcast, in dem Clara Pfeffer und Christian Herrmann Ideen, Lösungen und Behauptungen der unterschiedlichsten Akteure auf Herz und Nieren prüfen.

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Quelle: ntv.de

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