Heißes Eisen umschifftMerz kämpft, teilt aus - und kommt in der Realität an
Volker Petersen
Der Rentenstreit stellt die Koalition auf die Probe, stimmen die Jungen in der Union zu oder nicht? In der Generaldebatte spricht auch Kanzler Merz das Thema an und zeigt sich kämpferisch. Die Grünen packen ihn an einem wunden Punkt.
Die Zeigefinger des Bundeskanzlers liegen locker auf dem Rednerpult auf und tapsen im Takt der Worte mit, zack, zack, zack, als er in der Generaldebatte zum nächsten Bundeshaushalt spricht. So gefällt es Friedrich Merz, zack, zack, zack, diesen Regierungsstil hat er versprochen und so würde er wohl auch gern regieren. Doch zack, zack, zack geht beim Regieren insgesamt wenig, das hat er mittlerweile festgestellt. Erst recht nicht beim Streit um die Rente.
Der CDU-Chef spricht am Mittwochmorgen bereits 19 Minuten, als er diese Worte sagt: "Und damit komme ich zu dem Thema, das uns in den letzten Tagen und Wochen intensiv beschäftigt hat, nämlich die Alterssicherung."
"Intensiv beschäftigt" ist richtig, wenn auch untertrieben. Schafft es seine Fraktion nicht, das Thema zu entschärfen, brechen dunkle Zeiten an. Vertrauensfrage, Minderheitsregierung: Solche Begriffe geistern durchs Regierungsviertel. Diese Woche muss es eine Entscheidung geben, wenn nächste Woche das Rentenpaket zur Abstimmung gestellt werden soll.
Vielleicht am Donnerstagabend im Koalitionsausschuss. Die Ausgangslage ist eigentlich ganz einfach: Entweder müssen die jungen Abgeordneten in der Unionsfraktion dem Rentenpaket zustimmen oder die SPD lässt sich auf Nachverhandlungen ein.
Eigentlich geht es an diesem Morgen im Bundestag um den Haushalt für das kommende Jahr, den die Koalition Ende der Woche beschließen will. Darin: Rekordschulden, Rekordinvestitionen und ein Grundgefühl: Wenn das mal gutgeht. Der Zuschuss zur Rente ist der höchste Einzelposten, 127,8 Milliarden Euro sind dafür vorgesehen. Solche Summen sind notwendig, um das Rentenniveau auch künftig bei 48 Prozent zu halten, so wie es Union und SPD vorhaben.
Werbeblock für Rentenpläne
Vom Rednerpult aus macht Merz den Jungen in der eigenen Fraktion keine Angebote, stattdessen probiert er es noch einmal mit einem Werbeblock für die Pläne. Stellt heraus, wie gut er die Aktivrente findet, den Steuerfreibetrag von 2000 Euro für arbeitende Rentner. Wie sinnvoll er die Frühstartrente findet - Zuschüsse für Kinder und Jugendliche, um ein Vorsorgedepot aufzubauen. Und dass private und betriebliche Altersvorsorge wichtiger werden sollen, mit Hilfe von Aktien.
Doch die Fragen aller Fragen - 47 oder 48 Prozent Rentenniveau ab 2031 - die umschifft er. Dafür lockt er die jungen Abgeordneten mit weiteren Reformen. Die soll eine Rentenkommission ausarbeiten. "Das Einsetzen von Kommissionen ist für uns keine Strategie der Politikvermeidung oder gar der Verzögerung", beteuert Merz.
Er stellt nicht weniger als einen "neuen Konsens der Generationen" in Aussicht. Einen großen Wurf. Nur Konkretes sagt er nicht. Soll das Renteneintrittsalter dann steigen? Sollen Beamte in die gesetzliche Rente einzahlen? Wie sehr soll das Rentenniveau sinken? Lässt der Kanzler alles offen. Die Jungen in der Fraktion wird das nicht vom Hocker reißen. Sie haben sich derartig in ihre Position eingegraben, dass etwas mehr Schweiß nötig sein dürfte, sie da wieder herauszubuddeln.
Immerhin, Merz wirkt ziemlich entschlossen, noch mehr als in der Generaldebatte im September, als er fast kleinlaut um mehr Geduld bat. Die Reformen müssten erst ihre Wirkung entfalten, hatte er da erklärt. An diesem Mittwoch tritt er wesentlich selbstbewusster auf, pflügt regelrecht durch die Themen.
So zählt er auf, was seine Regierung alles schon geleistet hat: Stromsteuer gesenkt, neue Abschreibungsmöglichketen für die Wirtschaft geschaffen, ein Industriestrompreis kommt, die Körperschaftssteuer soll in einigen Jahren sinken. Dazu einen neuen Wehrdienst beschlossen und die Bürgergeldreform stehe kurz vorm Abschluss. Bürokratie werde abgebaut.
Ansage an Trump
Das ist für ihn alles Teil seines großen Themas, Frieden, Freiheit und Wohlstand in Deutschland und Europa erhalten. Dazu gehört einmal mehr das klare Bekenntnis zur Unterstützung der Ukraine und eine Ansage in Richtung von US-Präsident Donald Trump: "Über europäische Angelegenheiten kann nur im Einvernehmen mit Europa entschieden werden: Europa ist kein Spielball."
Merz wirkt beflügelt von den Gipfeln in Südafrika und Angola, wo er an vorderster Front für Europa am vermeintlichen Friedensplan Trumps und Wladimir Putins verhandelte, so wie man es von seinem Vorgänger Olaf Scholz selten sah. Doch daheim fallen ihm diese Erfolge auf die Füße, wenn es heißt, er sei ja nur Außenkanzler, kümmere sich nicht genug um Inneres.
Daheim reichen ein paar durchverhandelte Nächte nicht für Durchbrüche, wie der Kanzler ebenfalls bemerkt hat. Manchmal heiße es, die Regierung müsse sich doch nur einen Ruck geben und zwei, drei große Vorhaben durchbringen, sagt er, schon wären die Probleme verflogen. "Nein, meine Damen und Herren, unser Land, das ist eine ehrliche Antwort, ist ein hochkomplexes Land und hochkomplexe Sachverhalte erfordern komplexe Antworten und nicht unterkomplexe Redensarten, wie wir sie gehört haben."
Ein Seitenhieb auf AfD-Chefin Alice Weidel, die die Debatte damit eröffnete, in zwölf Punkten ihre Kernforderungen, Ausländer raus, Klimaschutz einstellen und Ukraine fallen lassen, durchdekliniert hatte.
Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann haute Merz seine besinnlichen Töne um die Ohren. "Wie leichtfertig und wie leichtsinnig haben Sie dreieinhalb Jahre so getan, als könnten Sie das alles besser, als wäre alles so einfach", rief sie ihm in Anspielung auf seine Zeit als Oppositionsführer zu. "Man müsste nur mal machen. Wie oft haben wir diesen blöden Spruch gehört?" Jetzt habe man das Gefühl, der Kanzler komme in der Realität an. Und darin geht eben wenig zack, zack, zack.