
Wegen der Schäden am Stromnetz durch russischen Beschuss wird in der Ukraine häufig stundenweise der Strom abgeschaltet.
(Foto: IMAGO/ZUMA Wire)
In der Ukraine kommt es landesweit immer wieder zu Stromausfällen, weil Russland gezielt Kraftwerke angreift. In der Energiekrise ist auch in Deutschland die Angst vor Blackouts groß. Wenn der Strom wegbleibt, würde fast nichts mehr funktionieren. Die Netzbetreiber proben bereits für den Ernstfall.
Ein ganzer Stadtteil von Berlin ohne Strom. Über 30 Stunden lang sitzen mehr als 30.000 Haushalte und 2000 Betriebe in Berlin-Köpenick plötzlich im Dunkeln. Bauarbeiter haben zwei Starkstromkabel zerstört. So passiert ist das im Februar 2019. Der längste Stromausfall in der jüngeren Berliner Geschichte.
Mitten im kalten Winter ohne Warmwasser und Heizung: Die Angst vor großflächigen Stromausfällen ist momentan besonders groß. Russland liefert Deutschland kein Erdgas mehr. Und allein mit Erdgas werden in Deutschland rund zwölf Prozent des Stroms erzeugt.
Das Risiko für einen flächendeckenden Blackout sei zwar etwas gestiegen, sagt Kai Hufendiek, Direktor des Instituts für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung an der Universität Stuttgart, im ntv-Podcast "Wieder was gelernt". "Einen Blackout im Sinne eines Komplett-Stromsystem-Ausfalls flächendeckend über ganz Deutschland oder Europa halte ich weiterhin für sehr, sehr unwahrscheinlich." Wenn alles technisch einwandfrei funktioniere, dürfte es diesen flächigen Blackout nicht geben.
Stromausfälle in Deutschland im Europa-Vergleich selten
Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe sagt zwar, Deutschland habe eine sehr sichere Stromversorgung. Es schließt aber einen großflächigen und lang andauernden Stromausfall auch nicht ganz aus. Der Stresstest der vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber hat ebenfalls ergeben, dass ein großflächiger Blackout zwar nicht komplett ausgeschlossen werden kann, in diesem Winter aber sehr unwahrscheinlich ist.
Im europäischen Vergleich schneidet die Stromversorgung in Deutschland bisher sehr gut ab: Im Durchschnitt müssen die Verbraucher pro Jahr 12,7 Minuten ohne Strom auskommen. In Frankreich sitzen die Menschen etwa vier Mal länger im Dunkeln, nämlich 51,5 Minuten. In Italien, Portugal und Großbritannien im Schnitt sogar etwa sieben Mal länger - über anderthalb Stunden. Kurze Stromausfälle können bei uns immer mal passieren, sind aber meist regional begrenzt.
Ein Blackout kann viele Ursachen haben. In der Regel kommt er plötzlich. Es können auch Cyberangriffe oder Sabotage dafür verantwortlich sein, wie bei der Deutschen Bahn vor ein paar Wochen. Anfang Oktober wurden Kabel beschädigt, stundenlang lag fast der komplette Zugverkehr in mehreren Bundesländern lahm. Andere Ursachen sind Naturkatastrophen, wie die Flutkatastrophe im Ahrtal voriges Jahr.
Brownout ist wahrscheinlicheres Szenario
Kai Hufendiek sieht aktuell noch ein weiteres Risiko: dass es nicht ausreichend Gas gibt, um Strom zu produzieren. Die deutschen Gasspeicher sind momentan zwar fast komplett voll. Aber: "Wenn man nur Speicher nutzen würde, würde es zwei Monate reichen. Die Menge insgesamt reicht eigentlich nicht, um unseren normalen Gasverbrauch zu decken."
Wenn das passiert, müssten einzelne Regionen oder Großverbraucher für eine bestimmte Zeit geplant vom Stromnetz getrennt werden. Das nennt sich dann nicht Blackout, sondern Brownout. "Wenn nicht genügend Strom produziert werden kann und die Nachfrage zu hoch ist, würden abwechselnd Netzgebiete einzeln rausgeschaltet werden, um die Last abzusenken", erläutert der Energieexperte im Podcast. Das sei unangenehm, aber nicht kritisch.
Damit es nicht zu diesen stundenweisen Stromausfällen kommt, lässt die Bundesregierung die deutschen Kern- und Kohlekraftwerke vier Monate länger am Netz als ursprünglich geplant. Das hatten auch die Netzbetreiber in ihrem Stresstest so empfohlen.
Stromtrassen für Erneuerbare nicht fertig
Eine Gefahr für die deutsche Stromversorgung sind die maroden Atomkraftwerke in Frankreich. Nur etwa die Hälfte der 56 AKW ist derzeit in Betrieb. Deshalb gibt Deutschland zeitweise Strom an Frankreich ab. Auch das kann bei uns für einen Engpass sorgen.
Die erneuerbaren Energien würden in einer kritischen Situation kaum helfen. Wind, Sonne, Wasser und Biogas erzeugen zwar immerhin schon 48,5 Prozent des Stroms in Deutschland. Wenn das Wetter günstig und viel erneuerbare Energie vorhanden ist, wird es kaum kritische Situationen geben. Ist das Gegenteil der Fall, sind wir allerdings auf konventionelle Stromerzeugung angewiesen. Wenn dann das Gas knapp ist, könnte es eng werden.
Da die Transportleitungen vom Norden in den Süden noch nicht fertig sind, könnte es in bestimmten Situationen auch bei hohen Einspeisungen von erneuerbaren Energien schwierig werden, mahnt Kai Hufendiek. Und zwar, wenn der Strom nicht transportiert werden kann und dann im Süden als Ersatz die Kohle-, Öl-, und Kernkraftwerke nicht ausreichen würden und Gas fehlt. Schuld daran seien ausufernde Genehmigungsverfahren. "Wenn Sie lokal in Widerspruchsverfahren hängenbleiben, haben Sie ein Problem. Der letzte Kilometer Trasse, der fehlt, sorgt dafür, dass die ganze Leitung nicht funktioniert."
Netze werden "Stück für Stück" wieder aufgebaut
Vier große Übertragungsnetzbetreiber kümmern sich in Deutschland maßgeblich darum, dass der Strom bei den Verbrauchern ankommt: 50Hertz, Amprion, TenneT und TransnetBW. Nach einem Blackout müssen sie das Netz wieder hochfahren. Im Frühjahr haben Amprion und TransnetBW in Süddeutschland einen solchen "Schwarzstart" zum ersten Mal erfolgreich durchgespielt. Dafür haben sie ein Pumpspeicherkraftwerk mit einem Stausee benutzt.
Nicht alle Kraftwerke können aus eigener Kraft hochfahren, wenn der Strom weg ist. In Deutschland gibt es davon 174, vor allem Wasserkraftwerke. Schwarzstarten können auch noch Gaskraftwerke oder Druckluftspeicherkraftwerke. Kohle- oder Kernkraftwerke können das nur, wenn sie einen Motor oder eine Gasturbine eingebaut haben. Ähnlich ist das bei Fotovoltaik- und Windkraftanlagen.
Nach einem Blackout werden diese schwarzstartfähigen Kraftwerke dann zuerst hochgefahren und danach die anderen, erklärt Kai Hufendiek im "Wieder was gelernt"-Podcast: "Das funktioniert zellenmäßig. Dann wird man Stück für Stück Kraftwerke hochfahren und dann Stück für Stück, wenn der Strom dann wieder da ist, die Netze reinhängen." Dieser Vorgang kann eine ganze Weile dauern: beim Schneechaos im Münsterland 2005 hat es zum Beispiel sechs Tage gedauert, bis der Strom wieder überall da war. Dort mussten Teile der Netzinfrastruktur wieder aufgebaut werden.
Notvorrat anlegen
Auch wenn er derzeit trotz schwieriger Lage unwahrscheinlich ist: Ein kompletter Blackout hätte katastrophale Auswirkungen, da ohne Strom im ganzen Land fast nichts mehr funktionieren würde.
Telefone, Computer, Herde und Heizungen würden nicht laufen, Fahrstühle würden stecken- und Züge stehenbleiben. Supermärkte könnten keine Lebensmittel mehr kühlen. Der Städtetag hält eine funktionierende Notversorgung mit Wasser und Wärme bei einem Blackout nur für maximal 72 Stunden für sicher. Krankenhäuser könnten einen Stromausfall nur wenige Tage lang durchhalten, hat eine Umfrage des Deutschen Krankenhausinstituts ergeben.
Aber auch wenn der Strom mal nur für ein paar Stunden weg ist, sollten wir uns vorbereiten: Für den Fall empfiehlt das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, einen kleinen Lebensmittelvorrat zu Hause zu haben, außerdem einen Campingkocher, Ersatzakkus für Mobiltelefone, batteriebetriebene Lampen und Radios - und genügend Bargeld, weil Geldautomaten ohne Strom auch nicht mehr funktionieren.
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Quelle: ntv.de