Blockade der Abschlusserklärung Russland stellt sich schon vor dem G20-Gipfel quer
08.09.2023, 20:34 Uhr Artikel anhören
Vertreten wird Russland in Neu Delhi von Außenminister Sergej Lawrow.
(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)
Moskau unterstellt westlichen Staaten, Druck auf Indien auszuüben, damit die G20 den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine verurteilen. Ein EU-Diplomat wirft wiederum dem Kreml vor, auf dem Gipfel Kompromisse zu blockieren. Das Treffen der Wirtschaftsmächte droht zu scheitern.
Der G20-Gipfel der führenden Wirtschaftsmächte in Indien droht am Streit um eine klare Verurteilung des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine zu scheitern. Es sei schwierig vorherzusagen, ob es möglich sein werde, sich zu verständigen, sagte EU-Ratspräsident Charles Michel vor Beginn des Treffens in der Hauptstadt Neu Delhi an diesem Samstag. Ein Grund sei, dass es anders als im vergangenen Jahr auf Bali für einige Staaten schwieriger scheine, einer klaren Verurteilung zuzustimmen.
Russland verhindert nach Abgaben eines EU-Diplomaten bislang eine Einigung über eine G20-Gipfelerklärung. Indien mache als Gastgeber des G20-Treffens der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer einen "hervorragenden Job", sei engagiert und auf der Suche nach Kompromissen. "Aber bisher blockiert Russland einen sonst für alle annehmbaren Kompromiss", sagte der EU-Diplomat der Nachrichtenagentur Reuters.
Russland hatte im Vorfeld des Gipfels angekündigt, einer gemeinsamen Gipfelerklärung nur unter Bedingungen zuzustimmen. Dabei geht es vor allem um die Passage in der Schlusserklärung zu dem russischen Angriff auf die Ukraine. Aus Delegationen wurde von einem harten Ringen der Unterhändler um die Formulierungen für die Abschlusserklärung berichtet. Den Angaben zufolge stand dem Westen eine Allianz aus China und Russland gegenüber. Peking gilt als international wichtigster Partner Moskaus und hat den Angriffskrieg auf die Ukraine bisher nicht verurteilt.
Kritik an Modis Treffen mit Biden
Gastgeber Indien hofft auf eine gemeinsame Abschlusserklärung. "Wir arbeiten weiter an einem Konsens", sagte der indische Unterhändler Amitabh Kant. Indiens Fokus liege auf Anliegen des globalen Südens. Zur G20 gehören neben der EU 19 der stärksten Volkswirtschaften der Erde. Die Runde ist ein zentrales Forum für die internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit, beschäftigt sich inzwischen aber auch mit anderen Themen von der Terrorbekämpfung bis zum Klimaschutz.
US-Präsident Joe Biden kam derweil am Vorabend des G20-Gipfels in Neu Delhi mit dem indischen Premierminister Narendra Modi zusammen. Biden traf in der Residenz des Regierungschefs ein, wie die mitreisende Presse berichtete. Vorab hatte es seitens der US-Presse große Kritik an dem Treffen mit Modi gegeben, weil der Zugang für die Medien stark eingeschränkt wurde.
Das Weiße Haus hatte versucht, die Journalistinnen und Journalisten zu beschwichtigen. "Dies ist kein typischer bilateraler Besuch in Indien, bei dem die Treffen im Büro des Premierministers stattfinden und es ein richtiges Programm gibt", sagte Bidens Berater Jake Sullivan vor dem Treffen. Modi sei der Gastgeber des G20, der eine "beträchtliche Anzahl von Staatsoberhäuptern in seinem Haus" empfange. Er lege daher die Regeln für den Ablauf fest, so Sullivan. Modi war im Juni mit viel Pomp von Biden als Staatsgast im Weißen Haus empfangen worden.
Guterres ruft zu Einigkeit auf
Damals fand auch eine gemeinsame Pressekonferenz statt, für Modi sehr ungewöhnlich - dieser stellt sich nur selten den Fragen von Journalisten. Bidens Regierung versucht offensiv, Indien als wichtigen Akteur im Indopazifik und auf der internationalen Bühne stärker an sich zu binden. Ziel ist es, dem Machtstreben Chinas in der Region etwas entgegenzusetzen.
UN-Generalsekretär António Guterres rief in der indischen Hauptstadt zum Kampf gegen die Krisen in der Welt auf. "Wir müssen zusammenkommen und geeint agieren für das gemeinsame Wohl." Es bestehe die Gefahr zunehmender Konfrontation. Die G20 könnten helfen, den Übergang zu einer multipolaren Ordnung zu begleiten. Als eine der wichtigsten Aufgaben nannte er den Kampf gegen die Klimakrise.
EU-Ratspräsident Michel sagte: "Russland greift die Ukraine weiterhin an, tötet die Menschen und zerstört ihre Städte." Deshalb werde die EU die Ukraine weiterhin unterstützen und Druck auf Russland ausüben. Der russische Krieg treffe auch andere Weltregionen. Mehr als 250 Millionen Menschen seien mit Ernährungsunsicherheit konfrontiert. Indem der Kreml ukrainische Häfen für den Getreideexport angreife, nehme er ihnen das Essen, das sie dringend bräuchten.
Moskau beklagt "einseitige Herangehensweise"
US-Finanzministerin Janet Yellen sagte auf die Frage, ob sie eine Einigung auf eine Erklärung mit einem Teil zum Ukraine-Krieg erwarte: "Wir sind bereit, mit Indien zusammenzuarbeiten, um ein Kommuniqué zu verfassen, das dieses Anliegen erfolgreich adressiert." Es sei aber "eine Herausforderung".
Russland warf den führenden demokratischen Wirtschaftsmächten (G7) Druck auf Indien vor. Der Westen versuche, dem G20-Abschlussdokument seine "einseitige Herangehensweise bei der Lage um die Ukraine" aufzuzwingen, teilte das Außenministerium in Moskau mit. Geopolitische Fragen, die "Krise in der Ukraine" und andere bewaffnete Konflikte sollten auf Ebene der Vereinten Nationen (UN) behandelt werden.
Die UN kommen übernächste Woche zur Generalversammlung in New York zusammen. Zur G7-Runde gehören neben Deutschland auch Frankreich, Italien, Japan, Kanada, die USA und Großbritannien. Die G7 verurteilen den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und wollen diese Position auch in der G20-Erklärung widergespiegelt sehen.
USA: Mehr Geld für Entwicklungsbank
Beim G20-Gipfel auf der indonesischen Ferieninsel Bali hatte sich Moskau 2022 offensichtlich auf Druck Chinas einverstanden erklärt, in die Abschlusserklärung den Satz aufzunehmen: "Die meisten Mitglieder verurteilen den Krieg in der Ukraine aufs Schärfste." Russlands Position wurde mit den Worten abgebildet: "Es gab andere Auffassungen und unterschiedliche Bewertungen der Lage und der Sanktionen."
Das russische Außenministerium betonte nun: "Wir sind überzeugt, dass die Entscheidungen der G20 nur auf Konsens beruhen sollten, ohne dass auch nur einziges ihrer Mitglieder ausschert." Priorität habe eine Erklärung, die der Gesundung der Weltwirtschaft, der nachhaltigen Entwicklung und damit den Interessen aller Länder diene. Vertreten wird Russland in Neu Delhi von Außenminister Sergej Lawrow. Russlands Präsident Wladimir Putin hatte den Krieg gegen die Ukraine am 24. Februar 2022 begonnen. Er bleibt dem Gipfel wie schon 2022 fern. Gegen ihn ist ein internationaler Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag in Kraft. Auch Chinas Staatschef Xi Jinping kommt nicht nach Indien und lässt sich durch Ministerpräsident Li Qiang vertreten.
US-Finanzministerin Yellen setzt bei dem Treffen auf Zusagen für eine stärkere Unterstützung ärmerer Länder. "Wir hoffen, dass andere Länder sich je nach ihren finanziellen Möglichkeiten uns anschließen werden." Es soll auch um Geld für die Weltbank gehen, die armen Ländern Geld zu günstigen Konditionen leiht. "Diese Woche bietet auch die Gelegenheit, einen Schuldenerlass zu diskutieren", sagte Yellen angesichts der Schuldenkrise ärmerer Länder. Schon lange steht China unter internationalem Druck, Schuldenerleichterungen für arme Staaten zuzustimmen - nachdem diese Kredite in Peking aufgenommen hatten.
Sicherheitsvorkehrungen schränkten das Leben in Neu Delhi schon am Tag vor Beginn des Gipfels stark ein - Teile des Zentrums erinnerten an eine Geisterstadt. Die Behörden hatten sich auch bemüht, die in Neu Delhi zahlreich lebenden Affen und Straßenhunde aus dem Stadtzentrum zu vertreiben.
Quelle: ntv.de, lve/dpa/rts