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Rishi Sunak vor der Abwahl Der Verlierer könnte am Ende der Sieger sein

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Nigel Farage dürfte mit seinen Rechtspopulisten nicht viele Mandate bekommen - noch nicht.

Nigel Farage dürfte mit seinen Rechtspopulisten nicht viele Mandate bekommen - noch nicht.

(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)

An diesem Donnerstag wird Premierminister Sunak abgewählt, so viel ist sicher. Wahlsieger dürfte die Labour-Partei sein. Die wahre Gefahr für die britischen Konservativen - und das Königreich insgesamt - geht jedoch von einem anderen aus: Nigel Farage.

Es kommt einem nicht so vor, als sei das Brexit-Referendum schon acht Jahre her. Und doch hat sich vieles seitdem verändert im Vereinigten Königreich - hauptsächlich zum Schlechteren: die Corona-Pandemie, der Tod der Queen, der Zusammenbruch der Wirtschaft unter Premierministerin Liz Truss. Eine Konstante jedoch gab es: die Konservative Partei. Seit vierzehn Jahren sind die Tories an der Macht - was bleibt, wenn sie am Donnerstag zwangsläufig abgewählt werden, sind Chaos, eine gespaltene Gesellschaft und die Vorahnung, dass es möglicherweise noch schlimmer wird.

Er sei immer noch fest davon überzeugt, dass das Brexit-Referendum unter den damaligen Umständen der richtige Weg war, sagte Ex-Premierminister David Cameron Mitte Juni bei einer Pressekonferenz der Foreign Press Association in London. Cameron war es, der das Referendum angesetzt hatte. Mittlerweile ist er Außenminister unter seinem vierten Nachfolger Rishi Sunak - denn lange hat seit seiner Regierungszeit keiner durchgehalten.

Viele Gründe sprechen gegen die Tories

Dass Cameron acht Jahre nach seinem Rücktritt wieder einen Posten im Kabinett hat, zeigt, wie sehr den Konservativen die Ideen ausgegangen sind. Und trotzdem sei das Land heute lebenswerter als 2010, findet Premierminister Sunak - damals, vor vierzehn Jahren übernahm Cameron das Amt von Labour-Premier Gordon Brown. Eine seiner Begründungen für die positive Bilanz: britische Schülerinnen und Schüler seien im internationalen Vergleich die besten im Lesen. Scheint verwunderlich, denn in vierzehn Jahren Tory-Regierung sind die öffentlichen Ausgaben für Bildung im Land real um acht Prozent gesunken - das entspricht rund 10 Milliarden Pfund, knapp 12 Milliarden Euro. Darüber hinaus wurde im vergangenen Jahr in mehr als 200 Schulen mangelhafter Beton oder Asbest festgestellt, sodass viele Kinder in Zelten oder Containern dem Unterricht folgen mussten.

Und auch sonst geht es den Menschen in Großbritannien um einiges schlechter als 2010. Zum Beispiel gesundheitlich. Das Gesundheitssystem NHS steht kurz vor dem Zusammenbruch. Schon als die Konservativen ihr Amt antraten, warteten zweieinhalb Millionen Menschen auf einen Behandlungstermin im Krankenhaus. Vor der Pandemie, 2019, waren es 4,6 Millionen; doch der Rekord wurde erst im September 2023 erreicht: 7,8 Millionen Menschen auf der Gesundheits-Warteliste. Und das, obwohl Sunak noch im Januar zuvor versprochen hatte, die Wartezeit zu reduzieren.

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Wer nicht auf einen Arzttermin wartet, hat es trotzdem kaum besser. Die Lebenshaltungskosten sind in den vergangenen Jahren enorm gestiegen, die Löhne jedoch nicht. Besonders berufstätige Eltern mit Kindern sind davon betroffen, wie eine Erhebung zeigt: 2023 lebten drei Millionen Kinder in arbeitenden Haushalten unterhalb des Existenzminimums. Kein Wunder also, dass immer mehr Menschen auf Lebensmitteltafeln angewiesen sind. Während der Trussel Trust, der das größte Netzwerk von Tafeln im Vereinigten Königreich betreibt, im Jahr 2010 etwa 35 Zentren hatte, waren es zwischen 2019 und 2020 schon fast 1300, und die sind auch heute mehr als nötig.

Sunak tut immer noch so, als könnte er gewinnen

Die Wählerinnen und Wähler haben genug. In neuesten Umfragen liegt Sunak mit seinen Konservativen zwanzig Prozentpunkte hinter Labour. Und trotzdem tut der Noch-Premier zumindest nach außen hin so, als könne er die Wahl gewinnen. Auf die Frage von BBC-Moderatorin Laura Kuenssberg, ob er am Freitag noch Premierminister sein werde, sagte er: "Ja. Ich kämpfe sehr und ich glaube, dass die Menschen langsam aufwachen und die wahre Gefahr erkennen, die eine Labour Regierung mit sich bringt."

Diese "Gefahr" ist dem Wahlprogramm der Opposition allerdings nicht zu entnehmen. Tatsächlich wirkt es eher nichtssagend, langweilig und vor allem: kaum machbar, ohne Steuern zu erhöhen. Das Wahlprogramm der Labour-Partei zeigt: Sie haben erkannt, dass es bei dieser Wahl nicht um Wahlversprechen geht. Diese Wahl ist eine emotionale, eine sehr persönliche, denn es geht um Moral und politische Orientierung. Denn auch, wenn das Vertrauen der britischen Bevölkerung in die Parteien generell eher gering ist: Keir Starmer vertrauen immerhin 36 Prozent der Wählerinnen und Wähler; Rishi Sunak nur 16 Prozent. Allerdings ist da noch jemand, dem sie genau so sehr vertrauen, und der stellt die wahre Gefahr für die Tories dar: Nigel Farage.

"Die Konservativen haben einen schlechten Job gemacht, Labour ist auch schlecht, deswegen müssen wir jetzt einen Mittelweg finden und der heißt Nigel Farage", sagt eine Wählerin, als wir für einen Bericht im südenglischen Seebad Brighton unterwegs sind. Ein "Mittelweg" ist Nigel Farage jedoch keineswegs. Der Rechtspopulist sorgte erst kürzlich für Empörung, als er in einem Interview im britischen Fernsehen dem Westen die Schuld für Russlands Krieg in der Ukraine gab. Bekannt wurde Farage besonders durch die Brexit-Kampagne als Vorsitzender der damaligen Anti-EU-Partei UKIP. Später lief er zur Brexit-Partei über, die inzwischen "Reform UK" heißt.

Farage hat einen anderen Plan

Schon sieben Mal hat Farage versucht, sich ins Unterhaus wählen zu lassen, bisher ohne Erfolg. Doch der achte, zumindest der neunte Versuch könnte endlich gelingen, denn in den Umfragen liegt Reform UK nur knapp hinter den Konservativen. Groß vertreten wird seine Partei im Parlament wohl trotzdem nicht sein, dafür sorgt das britische Wahlsystem, bei dem in jedem Wahlkreis nur der Kandidat mit den meisten Stimmen den Sitz gewinnt. Selbst wenn eine Partei landesweit 16 Prozent der Stimmen bekommt, könnte sie am Ende mit nur einem Prozent der Sitze dastehen.

Doch Nigel Farage hat einen anderen Plan, abgeguckt bei der Reform-Partei in Kanada. 1993 zogen die kanadischen Rechtspopulisten so viele Stimmen von den bis dato regierenden Konservativen ab, dass die Partei zerstört wurde und ihre Mitglieder sich auf neue Parteien aufteilten - etwas, vor dem sich die Tories in London immer mehr fürchten. Denn so wie der Brexit das Land gespalten hat, haben die vergangenen Jahre auch die Tories gespalten. Fünf Premierminister in vierzehn Jahren und keiner von ihnen hat es geschafft, die Partei zusammenzuhalten. Besonders die Rechtsausleger unter den Konservativen könnten Farage am Ende die Tür öffnen.

Düstere Aussichten also - nicht nur für die Tories, auch für Großbritannien insgesamt. Denn Labour wird in der kommenden Legislaturperiode kaum lösen können, was die Tories in vierzehn Jahren verbockt haben. Das könnte Nigel Farage und Reform UK bei den nächsten Unterhauswahlen die Chance geben, das Unterhaus und die berühmte schwarze Tür mit der 10 darauf zu erobern.

Quelle: ntv.de

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