Politik

​Fragen und Antworten Warum die Grünen die Länder bei der Bezahlkarte zappeln lassen

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos
Die Bezahlkarte soll kommen, allerdings könnte die rechtliche Grundlage wackelig bleiben.

Die Bezahlkarte soll kommen, allerdings könnte die rechtliche Grundlage wackelig bleiben.

(Foto: picture alliance / CHROMORANGE)

Die Bezahlkarte für Flüchtlinge kommt, das haben Bund und Länder im November beschlossen. Doch nun ist Sand im Getriebe. Die Grünen blockieren Gesetzesänderungen auf Bundesebene. Damit könnte die Bezahlkarte insgesamt in Gefahr geraten. Was ist da los? Fragen und Antworten.

Worum geht es?

Die Ampelkoalition streitet über die Rechtsgrundlage der Bezahlkarte. Im November hatten Bund und Länder sich darauf geeinigt, bundesweit so eine Karte für Asylbewerber einzuführen. Für die Dauer ihres Asylverfahrens sollen sie dann hauptsächlich mit der Karte zahlen.

Kanzler Olaf Scholz hatte damals versprochen, dass die Bundesregierung flankierend Bundesgesetze erlassen werde, falls sie notwendig sein sollten. Genau darum geht es in dem Streit. Union, SPD und FDP halten diese Bundesgesetze für nötig, die Grünen dagegen nicht. Die Konfliktlinie verläuft also wieder einmal quer durch die Ampelkoalition - nur dass diesmal nicht die FDP, sondern die Grünen auf der Bremse stehen. Das ist auch heikel für Scholz, weil er im Wort steht.

Wie soll die Bezahlkarte ausgestaltet werden?

Kern der Bezahlkarte ist es, Flüchtlingen fast gar kein Bargeld mehr auszuzahlen und damit auch zu kontrollieren, wofür und wo sie das Geld ausgeben. Ein Ziel dabei ist, zumindest für die Union, FDP und SPD, Überweisungen in die Heimatländer zu unterbinden. Es soll auch möglich sein, die Funktion der Karte regional einzuschränken, etwa auf einen Postleitzahlbereich.

Ende Januar einigten sich 14 von 16 Bundesländern auf einheitliche Regeln für die Vergabe des Auftrags zur Umsetzung - darauf können sich dann Unternehmen bewerben. Dabei geht es um Mindeststandards. Bayern und Mecklenburg-Vorpommern gehen dabei eigene Wege. Vor allem Bayern geriert sich dabei als Hardliner und Vorreiter, allerdings gibt es die Bezahlkarte in Hamburg bereits, während im Freistaat erst Mitte März ein Pilotprojekt startet. Wie viel Bargeld ausgezahlt werden darf, entscheidet jedes Land selbst. Bayern beispielsweise beschränkt diese Auszahlung auf 50 Euro. Das Gleiche gilt in Hamburg.

Wie viel Geld bekommen Asylbewerber?

Unterm Strich zwischen 312 und 460 Euro pro Person. Dabei wird unterschieden zwischen dem "notwendigen Bedarf" und dem "notwendigen persönlichem Bedarf". Ersterer wird in Form von Sachleistungen etwa durch Nahrung, medizinische Versorgung und Unterkunft erbracht. Letzeres ist eine Zahlung, die manchmal auch Taschengeld genannt wird. Dabei handelt es sich pro Person zwischen 132 Euro (für Kinder bis fünf Jahre) und 204 Euro für Alleinstehende oder Alleinerziehende. Wer in einer Sammelunterkunft lebt, bekommt 184 Euro. Bisher wurde das in bar ausgezahlt, demnächst wird es als Guthaben auf die Bezahlkarte geladen.

Was soll mit der Bezahlkarte erreicht werden?

Genau an dieser Frage scheiden sich die Geister. Für die Union beispielsweise ist klar, dass die Bezahlkarte auch ein Beitrag zur Begrenzung irregulärer Migration ist. So sagte es der CSU-Politiker Stephan Stracke. Der Sozialstaat werde weniger attraktiv für irreguläre Migration, ohne dass Leistungen gekürzt würden. Zentral sei die Frage der Rücküberweisungen, da das Geld an Schlepper und Schleuser gezahlt werde. Für die Union ist das ein "Pull-Faktor", der die Menschen nach Deutschland "zieht".

SPD und FDP gehen in diesem Punkt mehr oder weniger mit - die Grünen aber eben nicht. Sie sehen in der Bezahlkarte vor allem ein Mittel zur Entbürokratisierung. So führte die Grünen-Abgeordnete Filiz Polat die bereits im November in Hannover eingeführte Bezahlkarte als Beispiel heran. Dort habe die Verwaltung sechs Mitarbeiter eingespart, dadurch dass keine Auszahlungsscheine mehr ausgestellt werden mussten. In Hannover dürfen Asylbewerber aber den vollen Betrag abheben, auch im Ausland.

Wie viel Geld wird ins Ausland überwiesen?

Es gibt keine offiziellen Zahlen darüber, wie viel Geld Flüchtlinge in ihre Heimatländer überweisen. Das räumte Finanzminister Christian Lindner ein. Die Bundesbank führt aber eine Statistik über Rücküberweisungen von Ausländern in ihre Herkunftsländer. Dabei werden Geflüchtete nicht gesondert aufgeführt. 2022 waren das gut sieben Milliarden Euro. Rund fünf Milliarden gehen in europäische Länder, innerhalb und außerhalb der EU. Mit 848 Millionen entfällt der größte Posten auf die Türkei. Nach Syrien wurde demnach 407 Millionen Euro überwiesen, nach Afghanistan 162 Millionen.

Warum braucht es Bundesgesetze bei der Bezahlkarte, wenn sich die Länder einig sind?

Es geht um die Rechtssicherheit. Die Länder setzen die Bezahlkarte zwar um, aber den rechtlichen Rahmen setzt der Bundestag. Die Justizministerin von Baden-Württemberg, Marion Gentges, sagte am vergangenen Donnerstag, sie befürchte eine Klagewelle. Es gehe zum Beispiel um den Schutz persönlicher Daten bei deren Weitergabe an den Bezahlkarten-Dienstleister, wie die CDU-Politikerin ausführte.

Solche rechtlichen Unsicherheiten eröffneten aber die Möglichkeit, gegen die Bezahlkarte zu klagen. Flüchtlingsräte hätten dies schon angekündigt, sagte sie. Die Landesministerin befürchtet auch, dass Unternehmen, die nicht den Zuschlag für die Bezahlkarte bekommen, ebenfalls dagegen klagen. "Bereits das Risiko einer Rechtsunsicherheit können wir uns nicht leisten", sagte Gentges.

Eine entsprechende Gesetzesnovelle hat das Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil schon erarbeiten lassen. Doch die Grünen stellen sich quer.

Warum sind die Grünen dagegen?

Die Grünen legen Wert darauf, dass sie die Bezahlkarte selbst befürworten. Nur halten sie den bisherigen rechtlichen Rahmen bereits für ausreichend. Schließlich gebe es bereits Bezahlkarten in Hannover und in Kürze auch in Bayern. Selbst der Chef der bayerischen Staatskanzlei, Florian Herrmann, habe die Rechtsgrundlage als ausreichend bezeichnet.

Dem Grünen-Abgeordneten Andreas Audretsch zufolge ist für die Grünen der erschwerte Zugang zu Bargeld das Problem. Das treffe vor allem Kinder, die sich dann kein Brötchen mehr kaufen oder auf Klassenfahrten als einzige kein Taschengeld mitnehmen könnten. Er stellte sich außerdem dagegen, die Nutzung der Bezahlkarte auf einen Postleitzahlbereich zu beschränken. Das sei ein Problem, wenn jemand in einem Dorf lebe, in dem es nur einen Kiosk oder eine Tankstelle gebe.

Was sagen die anderen Parteien?

Die Union kauft den Grünen diese Bedenken nicht ab. Die CSU-Abgeordnete Andrea Lindholz sagte im Bundestag, die Grünen versuchten, eine rechtssichere Einführung der Bezahlkarte zu verhindern. "Sie wollen keine rechtssichere Lösung, weil Sie natürlich hoffen, dass Klagewellen das Ding plattmachen", rief Lindholz in Richtung der Grünen-Fraktion.

SPD und FDP sind ebenfalls für flankierende Bundesgesetze. Im Bundestag versuchten deren Abgeordnete zwar vergangene Woche mit großer Lautstärke vom koalitionsinternen Dissenz mit den Grünen abzulenken, sagten aber ein ums andere Mal, sie stünden zu ihrem Wort. "Wir werden das bundesrechtlich absichern, wenn es nötig ist", sagte der FDP-Abgeordnete Jens Teutrine. Rasha Nasr von der SPD sagte: "Ob wir nun Fans sind oder nicht, die SPD steht zu ihrem Wort."

Kann die Bezahlkarte helfen, die Zuwanderung zu begrenzen?

Das ist die Gretchenfrage. Selbst die entschiedensten Befürworter sagen, dass sie nur ein Baustein sein kann. Experten haben sich skeptisch geäußert. Die Möglichkeit, Geld nach Hause zu schicken, sei tatsächlich ein Grund für Migration, sagte Professor Matthias Lücke vom Kieler Institut für Weltwirtschaft dem WDR. "Ob die Möglichkeit, Geld aus Sozialleistungen zu überweisen dabei besonders wichtig ist, kann ich eigentlich nicht nachvollziehen." Die Bezahlkarte gelte ja ohnehin nur für die Dauer des Asylverfahrens. Die Menschen kämen nach Deutschland, weil sie arbeiten wollten. Ob sich Überweisungen tatsächlich unterbinden lassen, bezweifelt er. Wer es selbst nicht könne oder dürfe, kenne vielleicht jemand, der das übernehme.

Lücke sagte, das überwiesene Geld spiele in den Heimatländern eine wichtige Rolle. Weltweit betrachtet, seien solche Rücküberweisungen dreimal so hoch wie die gesamte Entwicklungshilfe aller Länder. Sie helfe den Menschen, sich besseres Essen, bessere medizinische Versorgung oder Bildung leisten zu können. "Das ist durchaus eine Hilfe, die direkt beim Menschen ankommt." Demnach dient es nicht in erster Linie zur Finanzierung von Schleusern, wie es die Union darstellt.

Der Migrationsexperte Raphael Bossong von der Stiftung Wissenschaft und Politik hatte ntv.de im vergangenen Jahr gesagt, der wichtigste Pull-Faktor sei, wenn man schon jemanden in dem Land kenne, seien es Freunde oder Verwandte. Die Höhe der Sozialleistungen sei weniger wichtig. "Es ist nicht so, dass man nichts machen könnte, um die Zahlen zu begrenzen. Aber die Vorstellung, dass die Leute nicht mehr kommen, wenn man es ihnen hier nur etwas unangenehmer macht, die ist zu einfach." Der Migrationsdruck bleibe dennoch bestehen.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen