Politik

Mehrheit dafür, Weg unklar Warum eine Impfpflicht sinnvoll, aber auch schwierig ist

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Impfung am Montag in Dresden.

(Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild)

Eine Mehrheit der Deutschen ist für eine Impfpflicht, doch die Umsetzung ist nach wie vor völlig unklar. Am Ende könnte es eine Teil-Impfpflicht geben, bezogen auf Alters- gruppen und Berufsgruppen. Wir beantworten Fragen zum Stand der Debatte.

Was spricht für, was gegen eine allgemeine Impfpflicht?

Für eine allgemeine Impfpflicht gegen Corona sprechen medizinische Gründe. "Hätten wir das Impfen schon großflächiger geschafft, wäre das Risiko geringer, dass Menschen das Gesundheitssystem belasten", sagt der Epidemiologe Timo Ulrichs.

Ulrichs betont, die Impfpflicht sei trotzdem noch sinnvoll, "denn dann hätten wir ein reduziertes Risiko, dass das Virus in Form einer weiteren Welle im Herbst und Winter zurückkommt". Der Soziologe Armin Nassehi argumentiert: "Für Menschen, die im Moment noch zaudern, sich impfen zu lassen, kann die Impfpflicht eine entlastende Funktion haben." Denn, so Nassehi, "eine Pflicht hilft mir, mich von meinen eigenen Motiven unabhängiger zu machen und womöglich mein Gesicht zu wahren, indem ich die Dinge an die Pflicht auslagern kann".

Der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Tino Sorge, ist dagegen skeptisch. "Je fundierter wir mit Experten über eine allgemeine Impfpflicht beraten, umso deutlicher treten offene Fragen zutage. Sie sind verfassungsrechtlicher und medizinischer, aber auch ethischer und teilweise ganz praktischer Natur", sagt der CDU-Politiker ntv.de. Bei den verfassungsrechtlichen Fragen geht es vor allem um das Recht auf körperliche Unversehrtheit, das Impfverweigerer für sich in Anspruch nehmen. Andererseits haben auch Geimpfte Anspruch auf dieses Recht und der Staat hat die Aufgabe, die Gesundheit der Bürger zu schützen. Auch, indem er gewährleistet, dass Krankenhäuser nicht überlastet werden: "In der Pandemie steht die körperliche Unversehrtheit des einen im direkten Zusammenhang mit der körperlichen Unversehrtheit von anderen, wenn es um eine Infektion und dementsprechende potenzielle substanzielle Gefährdung geht", schreibt der Ethikrat in seiner mehrheitlich beschlossenen Empfehlung für eine Ausweitung der Impfpflicht.

Und die Umsetzung?

Gegen eine Impfpflicht sprechen nicht nur einige grundsätzliche Erwägungen, sondern auch die von Tino Sorge angesprochenen praktischen Gründe: Wie soll eine Impfpflicht in einem Land umgesetzt werden, das es nicht einmal flächendeckend schaffte, alle Impfberechtigten schriftlich zur Impfung einzuladen? Bislang gibt es kein Impfregister, und die Einführung würde lange dauern, wie Bundesjustizminister Marco Buschmann von der FDP sagte.

"Die Orientierungsdebatte im Januar wird eine wichtige Wegmarke im Hinblick auf die konkreten Gruppenanträge sein", sagt SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese. "Die Fragen zur Ausgestaltung - zu Erfassung, Kontrollen und Sanktionen - werden aktuell natürlich ebenfalls diskutiert. Klar ist doch: Eine Impfpflicht, die sich dann in der Praxis nicht umsetzen lässt, brauchen wir nicht."

Wer ist gegen eine Impfpflicht?

Eine Gruppe von FDP-Abgeordneten um Fraktionsvize Christine Aschenberg-Dugnus hat bereits einen Gruppenantrag gegen eine Impfpflicht vorgelegt. Mindestens zwei CDU-Abgeordnete unterstützen diesen Antrag. Generell gibt es in allen Parteien, die sich mit Corona ernsthaft auseinandersetzen, sowohl Befürworter als auch Gegner einer Impfpflicht. Unter den Bundestagsfraktionen tritt nur die AfD bei dem Thema einmütig auf.

Wer ist dafür?

Ausdrücklich gefordert wird die Impfpflicht von Bundeskanzler Olaf Scholz, von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, vom grünen Gesundheitsexperten Janosch Dahmen - und von einer klaren Mehrheit der Deutschen. Auch Linksfraktionschef Dietmar Bartsch hat sich für eine Impfpflicht ausgesprochen. Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus und NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst unterstützen das Vorhaben ebenfalls, legen den Schwerpunkt allerdings auf Kritik an der Ampel und an Scholz: Sie bemängeln, die Umsetzung lasse zu lange auf sich warten. Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner sagte beim digitalen Dreikönigstreffen der FDP, er sei "nicht mehr prinzipiell dagegen", aber "auch nicht positiv entschieden".

Wenn der Kanzler dafür ist, warum dauert es dann so lange?

Scholz hatte Ende November - damals war er noch Bundesfinanzminister - gesagt, eine allgemeine Impfpflicht solle spätestens ab Anfang März gelten. Einen eigenen Gesetzentwurf plant die Bundesregierung aber nicht. Der Bundeskanzler "überlässt es dem Bundestag, wie er den Zeitplan jetzt gestalten will", sagte Vizeregierungssprecherin Christiane Hoffmann. "Er ist der Meinung, dass es schnell gehen sollte."

"Wir als Union standen jederzeit für Beratungen bereit", sagt CDU-Mann Tino Sorge. "Der Bundeskanzler und sein zuständiger Gesundheitsminister haben es aber versäumt, in dieser zentralen Frage Führung zu zeigen."

SPD-Fraktionsvize Wiese sagte, ein "Abschluss des Gesetzgebungsprozesses" sei für das laufende Quartal angestrebt, also bis Ende März. "Wir haben stets gesagt, die mögliche Einführung einer allgemeinen Impfpflicht ist nicht das Instrument, um die aktuelle Welle zu brechen. Sie könnte uns allen aber den kommenden Herbst deutlich erleichtern." Die Abgeordneten würden sich in dieser Frage nicht treiben lassen, "sondern - im wahrsten Wortsinn - gewissenhaft entscheiden", also sowohl gründlich als auch dem eigenen Gewissen folgend; die Fraktionsdisziplin soll für die Abstimmung aufgehoben werden.

Liegt es an Karneval?

Wegen Karneval sei für Februar nur eine Sitzungswoche angesetzt, sodass der Bundestag frühestens in der Woche ab dem 14. März über die Impfpflicht entscheiden könne, hieß es am Sonntag in Berichten über Verzögerungen bei dem Vorhaben, was bei manchen den Eindruck erweckte, die Abgeordneten würden lieber feiern, statt zu arbeiten. Aber die Pläne des Bundestags zu den Sitzungswochen werden langfristig erstellt, sie orientieren sich an Feiertagen und Schulferien, nicht an politischen Plänen. Und natürlich ist ohnehin jederzeit eine Sondersitzung des Bundestags möglich.

Die Verzögerung im Zeitplan habe "meiner Kenntnis nach nichts mit Karneval zu tun", sagt denn auch Aschenberg-Dugnus, die eine Impfpflicht ablehnt. "Ich bin überzeugt, dass die Verschiebung etwas mit der Ernsthaftigkeit der Sache zu tun hat. Alle Beteiligten machen sich die Entscheidung nicht leicht und viele erarbeiten fraktionsübergreifende Gruppenanträge. Eine Impfpflicht, sollte sie denn kommen, darf nicht im Hauruckverfahren beschlossen werden. Durch dieses transparente Verfahren stärkt man die Akzeptanz innerhalb der Bevölkerung."

Wie lange würde die Impfpflicht gelten?

Das ist unklar. "Ich gehe davon aus, dass die Ausgestaltung einer solchen Regelung in den entsprechenden Gruppenanträgen für eine Impfpflicht formuliert wird", so Aschenberg-Dugnus.

Könnte es sein, dass Omikron die Debatte über eine Impfpflicht überflüssig macht?

Ob eine Impfpflicht nötig oder unnötig ist, ist eine politische Entscheidung - siehe oben. Impfungen jedenfalls werden durch Omikron nicht überflüssig: "Diese Welle wird leider nicht harmlos", sagt etwa der Leiter der Forschungsgruppe für Infektionsimmunologie der Berliner Charité, Leif Erik Sander. Dahmen warnt, besonders bei Ungeimpften könne auch Omikron zu Erkrankungen mit Krankenhausaufenthalten bis hin zum Tod führen. "Wir dürfen uns nichts vormachen, ein möglicherweise milderer Verlauf bei Omikron-Infektionen im Vergleich zur Delta-Variante, bedeutet nicht: milder Verlauf. Es bleibt eine tückische und gefährliche Erkrankung." Die Impfung biete nach aktueller Studienlage bei einer Infektion mit Omikron bis zu sechs Monate nach der zweiten Impfung und besonders nach einer Booster-Impfung einen sehr hohen Schutz vor einer Hospitalisierung beziehungsweise vor einem schweren Verlauf.

"Neue Studien zeigen außerdem, dass bei einer geimpften Person eine Omikron-Durchbruchsinfektion die neutralisierenden Antikörper deutlich erhöht, sowohl gegen Omikron als auch gegen Delta", so Dahmen. "Bei einer ungeimpften Person hingegen führt eine Omikron-Infektion nicht zu einer besseren Immunität gegen eine Deltainfektion. Auch hier schützt also eine Impfung sowohl die geimpfte Person als auch die Funktionsfähigkeit kritischer Infrastrukturen. Die Ausbreitung von Omikron spricht also eher für und nicht gegen eine Impfpflicht."

Wie wahrscheinlich ist es, dass die Impfpflicht überhaupt noch kommt?

Auch das ist unklar. "Zum jetzigen Zeitpunkt lässt die Bundesregierung alle unbequemen Fragen zur Impfpflicht unbeantwortet - vom Zeitplan bis hin zur möglichen Umsetzung", sagt Tino Sorge. "Sie weigert sich auch, den aktuellen Planungsstand öffentlich zu machen. Da ist es nur schwer vorstellbar, dass eine allgemeine Impfpflicht eine parlamentarische Mehrheit finden wird. Dafür fehlt zur Stunde ein belastbares Konzept." Aschenberg-Dugnus von der FDP sagt, es sei schwer abzuschätzen, ob eine Impfpflicht vom Deutschen Bundestag verabschiedet wird oder nicht. "Das wäre der Blick in die Glaskugel."

Was sind die Alternativen?

Angesichts der offenen Fragen bei der Umsetzbarkeit wird zunehmend über andere Möglichkeiten diskutiert. Der FDP-Gesundheitsexperte Andrew Ullmann etwa plädiert für eine Impfpflicht für Personen ab 50 Jahren und will einen entsprechenden Gruppenantrag in den Bundestag einbringen. Sorge hält eine Teil-Impfpflicht ebenfalls für denkbar. Aus anderen Ländern gebe es positive Berichte über Impfpflichten für bestimmte Sektoren und Altersgruppen. "Differenzierungen dieser Art könnten auch der Debatte in Deutschland guttun. Sie könnten wegweisend werden für ein mögliches deutsches Modell."

Der Grüne Dahmen bleibt bei seiner Forderung nach einer allgemeinen Impfpflicht zum Schutz individueller und kollektiver Freiheit. Um schnell reagieren zu können, fordert er ein "zweistufiges Verfahren", bei dem "so schnell wie möglich" die bereits beschlossene und ab März geltende einrichtungsbezogene Impfpflicht auf Polizei, Feuerwehr und andere Bereiche der kritischen Infrastruktur ausgeweitet wird. "In einem zweiten Schritt sollten wir schnellstmöglich die allgemeine Impfpflicht auf Grundlage von Gruppenanträgen im Bundestag und der Empfehlung des Ethikrates beschließen. Diese parteiübergreifende Entscheidungsfindung kann zur Depolarisierung der Gesellschaft beitragen."

Quelle: ntv.de

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