Politik

Migration im Bundestag Wie Merz ins offene Messer lief

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Hat eine aufregende Woche hinter sich: CDU-Kanzlerkandidat Merz.

Hat eine aufregende Woche hinter sich: CDU-Kanzlerkandidat Merz.

(Foto: IMAGO/Metodi Popow)

Gemeinsam mit der AfD wollten CDU und CSU im Bundestag ein Gesetz für eine strengere Migrationspolitik beschließen. Anders als am Mittwoch kommt keine Mehrheit zustande. CDU-Chef Merz hat viel riskiert und nichts gewonnen.

Als Friedrich Merz am frühen Abend vor die Journalisten tritt, gibt er sich gelassen, fast heiter. "Ich verlasse die Stadt Berlin mit einem sehr guten Gefühl", behauptet der CDU-Chef. Er gehe davon aus, dass die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland der Union nun wirklich glauben würden, "dass wir es ernst meinen mit der Wende in der Asyl- und Einwanderungspolitik", sagt er. Sieger des Tages sei der Parlamentarismus.

Er selbst war sicher nicht der Sieger. Gerade hatte er die seit Tagen mit Spannung erwartete Abstimmung verloren. Gemeinsam mit AfD, FDP und BSW wollte er das Zustrombegrenzungsgesetz beschließen und so nach dem tödlichen Messerangriff in Aschaffenburg ein Zeichen raus ins Land senden: Seht her, wir reden nicht nur, wir handeln.

Das ist Merz nicht gelungen. Anders als noch am Mittwoch, als Union, FDP und AfD gemeinsam einen Antrag von CDU und CSU beschlossen, kam diesmal die Mehrheit nicht zustande. 338 Abgeordnete stimmten dafür, 349 dagegen. Zwölf Abweichler, zwei davon krankheitsbedingt, gab es in den eigenen Reihen, sie stimmten gar nicht erst ab. Bei der FDP waren es 16 Personen, die der Abstimmung fernblieben, zwei Nein-Stimmen und 5 Enthaltungen. Beim BSW gab es 3 Abweichler. Sie wollten offenbar nicht gemeinsam mit der AfD ein Gesetz beschließen.

Immerhin, die Bilder jubelnder und feixender AfD-Politiker blieben CDU und CSU und dem Rest des Bundestages erspart. Doch wie ein Gewinner fühlte sich die AfD dennoch. Sie stellt sich nun als einzige Kraft dar, die kompromisslos für eine strengere Migrationspolitik ist. Genau das wollte eigentlich Merz für die Unionsparteien erreichen. Sein Wortbruch, niemals auch nur zufällige Mehrheiten mit der AfD in Kauf zu nehmen, sollte ihm zusätzliche Glaubwürdigkeit verschaffen. Nach dem Motto: Uns ist es so ernst, dass wir sogar mit denen da von der AfD abstimmen.

Eigene Reihen falsch eingeschätzt

Auch das ist ihm nicht gelungen. Stattdessen ist nun ein Riss in der Fraktion offenbar geworden. Die Abweichler kommen hauptsächlich aus dem liberalen Flügel der CDU. Deren Vertreter tragen Merz' Forderungen nach einer strengeren Einwanderungs- und Asylpolitik eigentlich mit. Aber genauso meinen sie es ernst mit der Abgrenzung zur AfD. Schon die gemeinsame Abstimmung am Mittwoch für einen folgenlosen Antrag kostete viele Überwindung. Schon da gab es acht Abweichler. Dieses Ergebnis machte deutlich, dass es an diesem Freitag knapp werden würde. Zumal es in der FDP ähnlich rumorte. Die Intervention Angela Merkels am Donnerstag war da nur eine Warnung mehr.

Auch wenn es "nur" zwölf Abweichler waren, zwölf von 196, so dürften viele mit der Faust in der Tasche abgestimmt haben, etwa Armin Laschet. Der liberale und soziale Flügel ist zwar seit dem Ende der Ära Angela Merkels nicht mehr die dominante Kraft. Er ist aber noch da. Darauf war die CDU immer stolz: Volkspartei mit verschiedenen Strömungen zu sein. Ein Vorsitzender muss diesen Laden zusammenhalten. Das ist ihm nicht gelungen.

Nun kann die AfD sagen: Die Union ist gar nicht geschlossen für eine andere Migrationspolitik. Merkel hat immer noch das Sagen. So wie sie es am Freitagabend getan hat. Die Geschlossenheit der Union und ihre Rückendeckung für Merz, vielleicht das kostbarste Gut im Wahlkampf, stehen jedenfalls infrage. Merz hat den Bogen überspannt, die eigenen Reihen falsch eingeschätzt.

Brücken zu SPD und Grüne in Brand gesetzt

Und wie soll es eigentlich nach der Wahl am 23. Februar weitergehen? Dann wird die Union einen Koalitionspartner brauchen. Wenn es nicht die AfD sein soll, bleiben noch SPD und Grüne. Mit dem Kurs der vergangenen Woche zwingt Merz sie geradezu, Wahlkampf gegen ihn persönlich zu machen. Wie sehr Merz vor allem SPD- und Grünennahe Wähler aufregt, hat sich an den Demonstrationen seit Mittwoch gezeigt. Auch hier hat er einige Brücken in Brand gesetzt.

Einen größeren Gefallen hätte er den beiden Parteien mit seinem AfD-Flirt jedenfalls nicht tun können. Die nun gewonnene "Klarheit" wird ihm auch nicht viel nützen. Denn wenn er weiter eine Koalition mit der AfD ausschließt, muss er ja mit SPD oder Grünen regieren. Aus der Nummer kommt er nicht heraus. Ein Parteivorsitzender muss die strategische Lage der eigenen Partei stärken. Das ist ihm ebenfalls nicht gelungen.

Merz hat in einer Woche viel von dem eingerissen, was er in drei Jahren mühevoll aufgebaut hat: Eine konservativere Ausrichtung der CDU, insbesondere in der Migrationspolitik bei ebenso konsequenter Abgrenzung zur AfD. Das war der Deal: konservativ, aber nicht rechtsextrem. Migration begrenzen, Abschiebungen forcieren, aber aus der Mitte heraus. Ohne rhetorische Baseballschläger.

Nur die Wahl zwischen zwei Übeln

Merz nimmt das immer noch für sich in Anspruch. Er wirft jetzt Rot-Grün vor, nicht zu einer Migrationswende bereit gewesen zu sein. Aber hinterher die Schuld anderen zuweisen, das kann jeder. Er hat nicht bewiesen, unter Hochdruck schwierige Verhandlungen über die Parteigräben hinweg führen zu können. Er hat sich hinreißen lassen, den Weg mit der AfD zu nehmen, den sich die Partei selbst verboten hatte. Er hat viel riskiert und nichts gewonnen.

Vor allem aber hat er die Partei in eine Lage geführt, in der sie nur noch zwischen zwei Übeln wählen konnte: Augen zu und durch und mit der AfD stimmen - entgegen allen vorangegangenen Beteuerungen - oder im letzten Moment einen Rückzieher machen und die eigene Glaubwürdigkeit auf die Art beschädigen. Um es mal so zu sagen: Alternativlos war das nicht.

Merz hoffte darauf, mit seinem Vorpreschen den Unionsparteien noch einmal richtig Schwung im Wahlkampf zu geben. Vielleicht gelingt das sogar. Vielleicht schätzen die Wähler ja tatsächlich die neu gewonnene "Klarheit". Möglich ist alles. Wenn er Pech hat, läuft es aber so: Die einen desertieren zum Ausländer-raus-Original AfD, die anderen fühlen sich abgestoßen und suchen sich eine andere Partei, die FDP vielleicht. Oder gleich zu SPD und Grünen. Immerhin: Langweilig ist der Wahlkampf jedenfalls nicht mehr.

Quelle: ntv.de

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