Politik

Öffentliche Kritik an Merz Danke, Merkel

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos
Bei den wenigen Begegnungen zwischen Merz und Merkel gaben sich beide stets betont freundlich. Damit dürfte es fürs Erste vorbei sein.

Bei den wenigen Begegnungen zwischen Merz und Merkel gaben sich beide stets betont freundlich. Damit dürfte es fürs Erste vorbei sein.

(Foto: picture alliance / Flashpic)

Von einem Paukenschlag ist oft die Rede, wenn etwas Überraschendes passiert. Das wäre jetzt untertrieben. Es ist eher ein Erdbeben: Ex-Kanzlerin Merkel kritisiert CDU-Chef Merz öffentlich. Die Folgen sind noch nicht absehbar, aber gut werden sie für die Union nicht sein.

Paukenschlag, Erdbeben, eine platzende Bombe - wie man es auch nennt, was sich an diesem Vormittag ereignet, lässt zumindest in der CDU und im politischen Berlin die Wände wackeln. Wie aus dem Nichts meldet sich Ex-Kanzlerin Angela Merkel zu Wort und kritisiert CDU-Chef Friedrich Merz öffentlich für die gemeinsame Abstimmung mit der AfD am Mittwoch. In einer schriftlichen Mitteilung zitiert sie zunächst ausführlich, Merz' Zusage vom 13. November, parteiübergreifend zu verhindern, dass auch "nur ein einziges Mal eine zufällige oder tatsächlich herbeigeführte Mehrheit mit denen da von der AfD zustande kommt".

Diesen Vorschlag unterstütze sie "vollumfänglich", heißt es in Merkels Mitteilung. "Für falsch halte ich es, sich nicht mehr an diesen Vorschlag gebunden zu fühlen und dadurch am 29. Januar 2025 sehenden Auges erstmalig bei einer Abstimmung im Deutschen Bundestag eine Mehrheit mit den Stimmen der AfD zu ermöglichen." Am Mittwoch hatten CDU und CSU gemeinsam mit AfD und FDP sowie einigen fraktionslosen Abgeordneten einen Antrag beschlossen, der eine strengere Migrationspolitik fordert. SPD, Grüne und Linke hatten dagegen gestimmt.

Unmittelbar nach der Bekanntgabe des Ergebnisses klatschten und johlten die AfDler, während die Abgeordneten von CDU und CSU wie versteinert auf ihren Sitzen saßen. Merz sagte anschließend, er bedaure, dass dieser Antrag mit einer Mehrheit der AfD zustande gekommen sei. Zuvor hatte er stets betont, ein richtiges Anliegen werde nicht dadurch falsch, dass die Falschen zustimmten. Rechtlich bleibt der Antrag folgenlos.

Beispiellose Einmischung Merkels

An diesem Freitag steht allerdings bereits die nächste Abstimmung an. Dann geht es nicht um einen unverbindlichen Antrag, sondern um einen Gesetzentwurf. Der enthält ebenfalls Maßnahmen, um den Zuzug von Asylbewerbern zu begrenzen. Auch den möchte die AfD unterstützen. Merz verlangte daher Gespräche mit SPD und Grünen, um eine gemeinsame Mehrheit in der politischen Mitte für den Gesetzentwurf zu erreichen. Sollte er so angenommen werden, wie er ist, wird er im Bundesrat scheitern. Die Länder, in denen SPD und Grüne mitregieren, dürften dagegen stimmen oder sich enthalten. Damit erscheint eine Mehrheit in der Länderkammer aussichtslos.

Merkels Einlassung platzt also einen Tag vor dieser mit Spannung erwarteten Abstimmung in die Debatte. Das ist beispiellos. Dass ein Ex-Amtsinhaber sich so deutlich gegen den Kanzlerkandidaten der eigenen Partei stellt, dürfte es so noch nie gegeben haben. Auch wenn Merkel und Merz einst Rivalen waren, hielt sich die langjährige Kanzlerin mit Kritik am neuen Parteivorsitzenden zurück. Insofern war das eine große Überraschung. Inhaltlich sieht es anders aus. Merz lässt seit Jahren keinen Zweifel daran, dass er die Flüchtlingspolitik Merkels falsch fand. Als CDU-Chef vollzog er einen klaren Kurswechsel in diesem Punkt, der sich nicht erst im neuen Grundsatzprogramm niederschlug. Auch den Fünf-Punkte-Plan aus dem gestrigen Antrag passt dazu.

Zentraler Punkt darin ist Merz' Ankündigung, Asylbewerber schon an den deutschen Grenzen zurückzuweisen, ohne dass diese ein Asylverfahren beantragen dürfen. Das ist rechtlich umstritten. SPD und Grüne lehnten diesen Punkt auch deswegen ab. Merz sieht Verfassungsexperten auf seiner Seite. Merkel hingegen hatte immer gesagt, Zurückweisungen an der Grenze seien nicht möglich. Darüber entbrannte 2018 ein epischer Streit mit CSU-Chef Horst Seehofer, der das gefordert hatte. Zeitweise drohte gar die Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU zu zerbrechen.

Wie einst die Wutbürger

Merkels Einlassung ist ein Tiefschlag für Merz, aber auch für den Wahlkampf von CDU und CSU. Geschlossenheit einer Partei ist die Grundvoraussetzung für Erfolg bei den Wählern. Wenn nun ein Konflikt über den Umgang mit der AfD offen ausbricht, schadet das der Partei. Besonders weil Kanzler Olaf Scholz nun in diese Kerbe haut. Er sagt, nach der Wahl könne es gar zu einer Koalition von Union und AfD kommen. Merz kann also, wie einst die Wutbürger, sarkastisch rufen: "Danke, Merkel".

Oder nützt es ihm sogar? Dass die CDU sich unter seiner Führung vollkommen von Merkels Flüchtlingspolitik losgesagt hat, wird dadurch nur untermauert. Manche enttäuschten einstigen Unionswähler könnten das ansprechen. Dennoch hätte Merz sicher gern auf Merkels Einlassung verzichtet.

Denn für sein Agieren seit dem tödlichen Messerangriff von Aschaffenburg stand er ohnehin schon in der Kritik. Zunächst punktete er mit der Ankündigung, am ersten Tag einer etwaigen Kanzlerschaft Zurückweisungen an den Grenzen anzuordnen. Als es später hieß, es sollten Anträge im Bundestag dazu folgen, gab er allerdings der AfD das Momentum. Mit ihrer erwartbaren Ankündigung, den Unionsvorhaben zuzustimmen, brachte sie die Christdemokraten in die Bredouille: Gemeinsam mit der AfD für das eigene Anliegen stimmen? Oder lieber zurückziehen und keine Zweifel an der Brandmauer nach rechts aufkommen lassen? Merz entschied sich für Ersteres.

Nicht nur SPD und Grüne tobten. Auch in den eigenen Reihen, insbesondere auf dem liberalen Flügel der Union dürften viele Abgeordnete Bauchschmerzen gehabt haben. Acht von ihnen blieben der Abstimmung fern, eine stimmte gar gegen den eigenen Antrag. "Ich bin nicht glücklich mit dem, was gestern passiert ist", sagte der sächsische CDU-Abgeordnete Marco Wanderwitz bei ntv. "Ich hoffe sehr, dass sich das morgen nicht wiederholt", fügte er mit Blick auf die Abstimmung über den Gesetzentwurf am Freitag hinzu. Wanderwitz war der Abstimmung am Mittwoch ferngeblieben. Er hat den AfD-Verbotsantrag, der an diesem Nachmittag im Bundestag abgestimmt wird, mit initiiert. Vier weitere CDU-Abgeordnete schlossen sich dem an.

Aber warum meldete sich Merkel so zu Wort? Dass sie nur ihrem alten Rivalen Merz eins auswischen wollte, erscheint unwahrscheinlich. Das hätte sie auch in ihrer Autobiografie ("Freiheit") machen können, unterließ es aber. Die einfachste Erklärung könnte stimmen: Sie war empört über die gemeinsame Abstimmung, so wie einige andere in ihrer Partei, und wollte das dokumentieren. Ihr Vorgehen dürfte in der CDU viele ärgern. Klar ist vorläufig jedenfalls eines: Merz und Merkel werden keine Freunde mehr.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen