AfD trotz Rekordwert hinter SPD Woidke gelingt großer Triumph - zu einem hohen Preis


Der Sieg der Brandenburger SPD ist ein Ein-Mann-Triumph. Der amtierende Ministerpräsident hat mit seiner großen Beliebtheit und hohem Wagnis eine spektakuläre Aufholjagd hingelegt. Das Ergebnis ist nicht ungetrübt: Woidke musste sich vom Kanzler distanzieren - und wuchs auf Kosten der übrigen Mitte-Parteien.
Dietmar Woidke zog in den Wochen vor dem alles entscheidenden 22. September sämtliche Register. "Diese Wahl ist die größte politische Herausforderung meines ganzen Lebens", sagte der Ministerpräsident im Interview mit ntv.de. "Ich nehme diese Herausforderung nicht nur an, ich werde sie auch bestehen." Das ist ihm tatsächlich gelungen - mit einer gewagten Ansage. Nur mit der SPD als stärkster Kraft vor der AfD wollte er Ministerpräsident bleiben.
Damit hat Woidke eine im Frühjahr noch kaum für möglich gehaltene Zahl an Wählern für seine SPD gewonnen. In bundesweiten Umfragen würden heute nicht einmal halb so viele Menschen für die Kanzlerpartei SPD stimmen. Woidke hat die SPD mit seinen hohen persönlichen Zustimmungswerten und seinem kraftraubenden Wahlkampfeinsatz gerettet - in Brandenburg und im Bund.
Noch im Sommer schien es möglich, dass die SPD in Brandenburg hinter CDU und gar das BSW zurückfällt; hinter die AfD sowieso mit ihrem zwischenzeitlich zweistelligen Umfragevorsprung. Der Verlust eines Landes, das seit der Wiedervereinigung von Sozialdemokraten geführt wird, hätte auch in der Bundespartei für viel Unruhe gesorgt und die ohnehin brüchige Ampelkoalition noch näher an den Abgrund gedrängt. Nun aber wird Woidke das Land länger regieren als seine sozialdemokratischen Vorgänger Manfred Stolpe und Mathias Platzeck.
Unbedingter Fokus auf Brandenburg
"Danke, Dietmar", dürfte ein erleichterter Kanzler während seines Aufenthalts bei den Vereinten Nationen in New York gedacht haben. Dabei hatte der Dietmar über Wochen ein "Danke für nix!" in Richtung Bundesregierung signalisiert. Mit dem auch in Brandenburg unbeliebten Kanzler jedenfalls hatte Woidke keine Wahlkampfauftritte absolviert. Keinesfalls sollten die Brandenburger Wähler den Hühnerhaufen in Berlin mit Woidke in Verbindung bringen. Und das Wahlkampfargument von CDU, AfD und BSW, zusammen mit Woidke auch die Ampelkoalition abwählen zu können, sollte so ins Leere laufen.
"Mir geht es allein um Brandenburg", versuchte Woidke immer wieder den Wahlkampf wegzulenken von bundespolitischen Themen. In einer ersten Reaktion auf das Wahlergebnis sagte er nun: "Es war ein hartes Stück Arbeit, das wir in den vergangenen Monaten hinter uns gebracht haben." Er habe verhindern wollen, "dass unser Land einen großen braunen Stempel kriegt". Sehr hohe 73 bis 74 Prozent Wahlbeteiligung sprechen dafür, dass es vielen Brandenburgerinnen und Brandenburgern ähnlich ging.
Das ist Woidke im Alleingang gelungen: 65 Prozent der Befragten in Brandenburg attestieren ihrem Ministerpräsidenten, gute Arbeit zu leisten. 60 Prozent der SPD-Wähler gaben Infratest dimap an, der Partei ihre Stimme vor allem wegen Woidke gegeben zu haben. Der auf einem Bauernhof in der Lausitz aufgewachsene Zweimetermann mit seinem kernigen Auftreten und dem festen Händedruck kommt auch als Mensch gut an im Land. Kein Lautsprecher, den man aus Talkshows kennt, eher nüchterner Sacharbeiter ohne Allüren.
Starke Wirtschaft, echte Probleme
Selbstbewusst verwies Woidke vor der Wahl auf die gute wirtschaftliche Entwicklung Brandenburgs. Vor allem die vielen neuen Industriejobs, die rund um das Automobilwerk von Tesla in Grünheide und in der Lausitz entstanden sind, kann die rot-schwarz-grüne Landesregierung für sich verbuchen. Kein anderes Bundesland hatte im vergangenen Jahr ein so starkes Wirtschaftswachstum.
Zugleich haben die Menschen mit ihren im Bundesvergleich geringeren Einkommen und Rücklagen die Inflationseffekte der vergangenen Jahre stark zu spüren bekommen. Das Bildungsangebot ist schlecht, nur mit zahlreichen Quereinsteigern ist das benötigte Lehrpersonal überhaupt noch aufzufüllen. Zu Woidkes Stärken zählt, dass er Probleme zumindest nicht leugnet. "Im allgemeinen Bildungsbereich müssen wir ganz klar besser werden", sagte Woidke zu ntv.de.
AfD legt zu auf Rekordniveau
Für eine Wiederauflage der rot-schwarz-grünen Regierung dürfte es eher nicht reichen. Eventuell geht Rot-Schwarz oder Woidke muss sich mit dem BSW arrangieren. Dem Land drohen komplizierte Mehrheitsverhältnisse. CDU und Grüne mussten deutlich Stimmen abgeben, auch weil viele ihrer Wähler dem Woidke-Appell gefolgt sind und für die SPD stimmten. Zusammengenommen haben die Parteien der Mitte in Brandenburg - wie auch schon vor drei Wochen in Sachsen und Thüringen - an Stimmen verloren. Die in Brandenburg besonders rechtsradikale AfD hat derweil ein Rekordergebnis erzielt, trotz hoher Wahlbeteiligung. Sie könnte noch auf eine Sperrminorität von einem Drittel der Landtagsmandate kommen, womit sie künftig wichtige Entscheidungen im Parlament blockieren könnte.
Trotz Woidkes Ultimatum hat die AfD im Vergleich zu früheren Umfragewerten eben nicht verloren, sondern sogar noch zugelegt. Woidkes Versprechen, im Falle eines AfD-Wahlsiegs nicht weiterzuregieren, scheint zugleich auch das Lager der Woidke-Gegner für die AfD mobilisiert zu haben. Das BSW etwa schneidet deutlich schwächer ab, als es die Umfragen im Sommer erwarten ließen: Potenzielle BSW-Wähler scheinen sich noch für die AfD entschieden zu haben. Die Themen Ukraine-Krieg und Zuwanderung waren laut Infratest dimap für die BSW-Wähler die wichtigsten.
"Das ist lediglich eine Etappe, wir sind die stärkste Kraft im Osten", ordnete AfD-Chefin Alice Weidel das Ergebnis in Brandenburg ein. Dass so viele Menschen eigens Woidke wählten, um die AfD als stärkste Kraft zu verhindern, machte Weidel am Abend an der Angstmacherei anderer fest. Die Furcht vieler Menschen vor der AfD sei "maßgeblich den Medien zu verdanken", klagte Weidel. Die Enttäuschung darüber, nicht stärkste Kraft geworden zu sein, ist offenkundig. Doch der Trend der drei Landtagswahlen im Osten spricht aus AfD-Sicht für sich: Es geht immer weiter bergauf für die AfD, egal, wie radikal sie sich geriert, egal, wie einmütig andere Parteien und Medien vor den wahren Absichten der AfD warnen.
BSW wirft Linke raus
Nach zwischenzeitlich knapp unter 20 Prozent in den Umfragen war der Enthusiasmus beim BSW über die voraussichtlich 12 Prozent gebremst. Offenbar konnte die Partei im Rennen zwischen SPD und AfD ihr Potenzial nicht ausschöpfen. Zudem scheint anders als in Sachsen und Thüringen eine Regierungsbildung ohne BSW möglich zu sein. Eine Mehrheit ohne BSW bilden zu können, wäre für Woidke der zweite Triumph dieses Abends, denn sein Misstrauen in die Person Sahra Wagenknecht sitzt tief.
Richtiggehend bitter ist der Wahlabend für die Linke: Die Partei hat zwei Legislaturperioden in Brandenburg mitregiert, hat immer wieder Bürgermeister gestellt und war immer wieder stärkste Kraft auf kommunaler Ebene. Nun verschwindet sie in der Bedeutungslosigkeit. Der Erfolg des BSW geht vor allem zulasten dieser Partei und kaum auf Kosten der AfD.
Das Wahlergebnis ist trotz des SPD-Siegs insgesamt Ausdruck eines Rechtsrucks: Die Themen Migration und auch der Zweifel an der militärischen Unterstützung der Ukraine haben die Wahlentscheidungen jener mehr als 40 Prozent geprägt, die für AfD und BSW stimmten. Soziale Gerechtigkeit oder etwa das Bekenntnis zum deutschen Asylrecht waren Themen, mit denen die Linke nicht punkten konnten.
Für Woidke bedeutet das, dass er in den kommenden fünf Jahren zwar mit einer SPD als stärkster Kraft regieren kann. Die Positionen seiner Partei stehen aber der Mehrheitsstimmung im Land entgegen. Und den Kanzler mögen die meisten Menschen in Brandenburg - ein Jahr vor der nächsten Bundestagswahl - auch nicht. Dennoch wird Woidke in einem Jahr für Olaf Scholz Wahlkampf machen müssen. Gemeinsame Auftritte wären dann nicht mehr zu vermeiden.
Quelle: ntv.de