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EU-Lieferkettenrichtlinie Die FDP macht sich noch mehr Feinde - aber sie hat recht

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(Foto: REUTERS)

Deutschland stimmt dem EU-Lieferkettengesetz nicht zu. Das Nein erfolgt auf Druck des Koalitionspartners FDP. Und das ist gut so: Berlin hat derartige Vorgaben bereits auf nationaler Ebene. Und wer den Bürokratie-Abbau predigt und die Konjunktur beleben will, kann nicht an anderer Stelle die Auflagen erhöhen.

Die EU-Kommission hat die Lieferkettenrichtlinie vom Tisch genommen, vermutlich für immer. Die Enthaltung der Bundesregierung hat die nötige Mehrheit unter den Mitgliedstaaten infrage gestellt. Und die Enthaltung der Bundesregierung rührt vom Nein der FDP. Die deutschen Nahtod-Liberalen, die nicht nur im europäischen Maßstab eine Splitterpartei sind, sie halten also den versammelten Konvoi der 27 Mitgliedstaaten auf, den größten Binnenmarkt des Planeten? Nach jahrelangen Verhandlungen? Nachdem die Bundesregierung eigentlich schon genickt hatte?

Ja. Ja. Ja. Und es ist gut so.

Die Logik der Liberalen ist so schlicht wie schlüssig: Man kann nicht jeden Sonntag vom Abbau unnötiger Bürokratie predigen -- und am Montag darauf noch mehr davon beschließen. Und, zweiter Punkt: Eine Regel, die objektiv nicht einzuhalten ist, ist eine schlechte Regel. Sie mag das Gewissen derer beruhigen, die sie mit guten Motiven beschließen. Aber Motive allein verändern nicht die Realität. Real ist nur der Aufwand für die Unternehmen.

Was die nun entfesselten Kritiker der deutschen Verweigerung vergessen: Es gibt bereits ein deutsches Lieferkettengesetz. Es versucht, rund um den Globus unter anderem Kinderarbeit und Umweltraubbau zu unterbinden. Genauer: Es überträgt diese Verantwortung, die in Wahrheit eine für Staaten und Politik ist, an Wirtschaft und Unternehmer. Ob dieser systemwidrige Ansatz irgendwo auf dem Globus die Lage der Dinge verbessert, ist ungeklärt und ziemlich offen. Natürlich kann man es trotzdem probieren.

Die EU-Richtlinie jedoch hätte genau das getan, was der Bundeskanzler zu beenden versprochen hat. Auf deutsche Regeln und deutsche Bürokratie soll nicht länger auch noch europäische draufgesattelt werden. Genau das jedoch würde die EU-Richtlinie bewirken: etwa den Kreis der unterworfenen Firmen drastisch zu vergrößern und "Betroffenen" ein neues, umfassendes Klagerecht einzuräumen.

Dabei ist es für ein mittelgroßes Unternehmen faktisch zu keinem vertretbaren Aufwand möglich, rund um die Welt jeden seiner Lieferanten auf die Einhaltung von Umwelt- oder Sozialstandards zu verpflichten – und das bei Strafe auch minutiös nachzuhalten.

Lieber spät reagieren, als gar nicht reagieren

Auf die sichere Seite kämen die Firmen nur durch Geschäftsaufgabe. Andernfalls wirtschaften sie fortan unter dem Damoklesschwert der Strohmann-Klagen besonders engagierter Umweltverbände. Natürlich kann man darum den internationalen (Zuliefer-)Handel weitgehend einstellen, um all dem zu entgehen. Für eine massiv export- und importabhängige Volkswirtschaft wie die deutsche wäre das allerdings wie angekündigter Selbstmord.

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Nichts davon ist eine neue Erkenntnis. Aber wie es scheint, hat die FDP als erste deutsche Regierungspartei erkannt, dass auch die deutsche Wirtschaft nur so lange zum Brunnen geht, bis sie bricht. Wenn sich auch der grüne Wirtschaftsminister um das Wirtschaftswachstum sorgt, sollte man über alles, was es abwürgen könnte, besser zweimal nachdenken. Auch auf die Gefahr, dass man beim zweiten Mal zu einem anderen Ergebnis kommt als beim ersten Mal. So wie jetzt die FDP und mit ihr, gezwungenermaßen, die ganze Koalition.

Als er nach der Bundestagswahl 2017 das ziemlich weitgehend ausgehandelte Jamaika-Bündnis platzen ließ, sagte Christian Lindner: "Besser nicht regieren, als falsch regieren." Ob er damit seine und die Lage des Landes richtig beschrieb, sei dahingestellt. Deutlich klarer ist, was man über Lindners Nein zum EU-Lieferkettengesetz sagen kann: Lieber spät reagieren, als gar nicht reagieren.

Quelle: ntv.de

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