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Einen Aufbruch versprüht die sich anbahnende Koalition nicht. Kommt sie zustande, dann ist Merkels dritte Regierung mit der SPD ein großes Reparaturprogramm, ein Eingeständnis des eigenen Versagens. Aber doch auch ein kleiner Neuanfang.
Der Geist dieses Koalitionsvertrages sei, "dass wir eine Große Koalition sind, um auch große Aufgaben für Deutschland zu meistern", sagte Angela Merkel, nachdem sie und ihre Kollegen zu Ende verhandelt hatten. Es gehe um eine Politik "für die kleinen und fleißigen Leute", ergänzte der SPD-Vorsitzende. Er zeigte sich überzeugt, dass die Mitglieder seiner Partei dem Koalitionsvertrag zustimmen würden, weil er "das Leben für die Menschen besser" machen werde.
Das war vor vier Jahren, der SPD-Chef hieß Sigmar Gabriel. Ansonsten scheint sich auf den ersten Blick nicht viel geändert zu haben: zur Schau gestellte Aufbruchsstimmung für eine Sammlung von Projekten. Im Hintergrund von Anfang an Streit über die gerade beschlossenen Kompromisse - was damals die Pkw-Maut war, sind heute der Familiennachzug und die sachgrundlose Befristung. Also alles wie gehabt? Nein.
Bei der Wahl 2013 holte die Union mehr als 41 Prozent, im Bundestag fehlten ihr fünf Sitze zur absoluten Mehrheit. So hielt sich auch die Trauer über den Verlust ihres "natürlichen Koalitionspartners", der FDP, in Grenzen. Bei der SPD spielte Kanzlerkandidat Peer Steinbrück bald keine Rolle mehr, sie war froh, wieder regieren zu können. Im Mitgliedervotum gab es eine Zustimmung von 76 Prozent.
Das ist heute völlig anders. Die Stimmung in der SPD ist deutlich skeptischer als 2013, eine Dreiviertelmehrheit extrem unwahrscheinlich. Zudem ist die Opposition vielfältiger und selbstbewusster: Die FDP ist zurück im Bundestag und nicht vergleichbar mit der müden Truppe, die sich von Rainer Brüderle in den Wahlkampf hatte führen lassen. Die Grünen haben sich ebenfalls verändert. 2013 hatten sie Angst, mit der Union zu regieren, dieses Mal waren sie bereit, Jamaika zu riskieren. Und schließlich hat die AfD eine Stimmung in den Bundestag getragen, die es 2013 so nicht gab. Einzig die Linke ist weitgehend geblieben, was sie war: eine Partei, die sich selbst genügt.
"Wir haben verstanden"
Bereits dieser äußere Rahmen wird sicherstellen, dass die nächste Große Koalition, sofern die SPD-Basis ihr zustimmt, anders wird als das Bündnis der vergangenen vier Jahre. Merkel ist nicht mehr auf dem Höhepunkt ihrer Macht, sie geht dem Ende ihrer Kanzlerschaft entgegen. Schon vor vier Jahren gab es Stimmen in der Union, die auf das Comeback einer "bürgerlichen Mehrheit" hofften. Aber niemand dachte ernsthaft darüber nach, wie ein Übergang in die Zeit nach Merkel bewerkstelligt werden könnte. Es gab dieses latente Frustgefühl noch nicht, für das die Flüchtlingspolitik der alten Bundesregierung ein Katalysator war.
Tatsächlich speist sich die Unzufriedenheit der Unzufriedenen aus vielen kleinen Problemen, die von der Politik zu lange ignoriert wurden. Und auch das Programm der nächsten Koalition stößt auf allgemeines Genörgel. Es fehle die "knackige Formel" für den Koalitionsvertrag, heißt es. Das stimmt: "Eine Große Koalition für große Aufgaben", das klänge 2018 lächerlich.
Die wahre Überschrift der neuen GroKo ist: Wir haben verstanden: dass wir die Digitalisierung vernachlässigt haben, dass wir uns zu wenig um die Schulen gekümmert haben, um die Polizei, die Justiz, den ländlichen Raum und die Mieten in den großen Städten. Der neue Koalitionsvertrag von Union und SPD ist kein großes Projekt, sondern ein großes Reparaturprogramm. Ein Eingeständnis des eigenen Versagens. Man kann und sollte dies den Koalitionären zum Vorwurf machen. Aber das ist der Blick nach hinten. Was die Zukunft angeht, versuchen sie immerhin, ihren Fehler zu beheben. Wer soll es auch sonst tun, nach Lage der Dinge sind nur sie in der Lage, eine Regierung zu bilden.
Im November 2013 war die Stimmung gelöst, als Merkel, Gabriel und Seehofer den Koalitionsvertrag präsentierten. Gut vier Jahre später steht nicht gemeinsames Lachen auf dem Programm, sondern kollektives Gähnen. Die Große Koalition muss abarbeiten, was sie bislang vernachlässigt hat - unter verschärften Bedingungen. Für Merkel steht ihr politisches Erbe auf dem Spiel: Wird man sich an eine Kanzlerin erinnern, die Deutschland mit Bedacht durch unruhige Zeiten lenkte, oder an eine, die früher hätte abtreten sollen? Für die SPD geht es ohnehin um alles.
Aber wenn es nur Merkels Vermächtnis und das Überleben der SPD wären. Im kommenden Jahr wird in drei Bundesländern gewählt, in denen die AfD in den Umfragen derzeit bei 20 Prozent oder noch höher liegt, in Sachsen, Brandenburg und Thüringen. Wenn die politische Stimmung sich bis dahin nicht dreht, droht dem ganzen Land Unregierbarkeit. Dann war die zähe Regierungsbildung jetzt nur ein Vorgeschmack. Genug Gründe also für die Große Koalition, es besser zu machen als bisher. Und das heißt vor allem: anders.
Quelle: ntv.de