Politik

Forderungen der Union Ist es möglich, wehrpflichtigen Ukrainern kein Bürgergeld zu zahlen?

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Empfangshalle im Berliner Ankunftszentrum Tegel. Ursprünglich war auch die Union für den "Rechtskreiswechsel". Der Begriff meint, dass Flüchtlinge aus der Ukraine nicht nach dem Asylbewerberleistungsgesetz Unterhalt bekommen, sondern nach dem Sozialgesetzbuch, sprich: Bürgergeld.

Empfangshalle im Berliner Ankunftszentrum Tegel. Ursprünglich war auch die Union für den "Rechtskreiswechsel". Der Begriff meint, dass Flüchtlinge aus der Ukraine nicht nach dem Asylbewerberleistungsgesetz Unterhalt bekommen, sondern nach dem Sozialgesetzbuch, sprich: Bürgergeld.

(Foto: picture alliance/dpa)

Aus der Union kommt die Forderung, wehrpflichtigen Ukrainern in Deutschland kein Bürgergeld mehr zu zahlen. Auch sollen ihnen keine Ersatzpapiere für ausgelaufene Pässe ausgestellt werden - so sollen die Ukrainer genötigt werden, Deutschland zu verlassen. Beide Forderungen sind rechtlich nicht umsetzbar, sagt Constanze Janda, Professorin für Sozialrecht in Speyer.

Möglich dagegen wäre, allen ukrainischen Flüchtlingen zunächst nicht Bürgergeld zu geben, sondern Unterstützung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Janda bezweifelt allerdings, dass dies sinnvoll wäre.

ntv.de: Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann will auf der heutigen Innenministerkonferenz diskutieren, wie man wehrpflichtige Ukrainer dazu bewegen kann, Deutschland zu verlassen. Wehrpflichtig sind in der Ukraine alle Männer zwischen 18 und 60. Ist vorstellbar, dass diese Gruppe in Deutschland kein Bürgergeld mehr bekommt, sondern nur noch Unterstützung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz?

Constanze Janda lehrt Sozialrecht und Verwaltungswissenschaft an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer.

Constanze Janda lehrt Sozialrecht und Verwaltungswissenschaft an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer.

(Foto: privat)

Constanze Janda: Nach der bisherigen Regelung ist das nicht möglich. Denn alle Personen aus der Ukraine, die in Deutschland temporären Schutz bekommen, haben die gleiche Aufenthaltserlaubnis. Sie alle bekommen auf der Basis dieser Aufenthaltserlaubnis Bürgergeld. Für die Wehrpflichtigen müsste man eine eigene Regelung schaffen. Aber das halte ich für unzulässig und nicht umsetzbar.

Weil man volljährige Männer nicht anders behandeln kann als alle anderen Personen derselben Gruppe, der sie angehören?

Ja. Juristisch geht es bei der Gewährung von Leistungen um das Recht auf Sicherung einer menschenwürdigen Existenz. Es wäre zulässig, alle aus der Ukraine geflüchteten Personen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu versorgen. Aber wenn wir für eine bestimmte Untergruppe in der Gruppe der ukrainischen Kriegsflüchtlinge eine andere Regelung treffen würden, müsste man dies vor dem Gleichheitsgrundsatz rechtfertigen.

Das heißt?

Wir müssten begründen können, worin sich die eine Gruppe so von der anderen unterscheidet, dass sie andere Leistungen braucht. Das Bundesverfassungsgericht sieht Unterschiede bei den existenzsichernden Leistungen nur vor, wenn diese Personengruppen unterschiedliche existenzielle Bedarfe haben. Das ist hier nicht der Fall: Ob jemand wehrpflichtig ist oder nicht - der Lebensbedarf für Nahrung, Kleidung, Unterkunft ist derselbe.

Die Ukraine stellt volljährigen Männern im Ausland keine Pässe mehr aus; wer neue Papiere braucht, muss also in die Ukraine reisen. Herrmann fordert, dass "auf keinen Fall noch Ersatzpapiere ausgestellt werden". Braucht man einen gültigen Pass, um Bürgergeld zu beziehen?

Nach dem Gesetz braucht man für das Bürgergeld den "gewöhnlichen Aufenthalt", muss also seinen Lebensmittelpunkt in Deutschland haben. Zudem muss man erwerbsfähig und hilfebedürftig sein, darf also nicht über genügend eigene Mittel verfügen. Für die Verwaltung muss die Identität der Person natürlich geklärt sein. Aber für das Sozialrecht sind gültige Papiere nicht so stark relevant wie für das Aufenthaltsrecht. Sozialleistungen können auch ohne gültige Ausweispapiere ausgezahlt werden.

Wäre es rechtlich möglich, den Umweg zu gehen, den die CSU vorschlägt: jungen Ukrainern keine Ersatzpapiere auszustellen, um sie zu zwingen, in die Ukraine auszureisen?

Die europäische Richtlinie über den Massenzustrom von Flüchtlingen aus der Ukraine verpflichtet die Mitgliedstaaten der EU, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit diese Personen sich für die gesamte Dauer des Schutzes hier aufhalten können. Erst in der vergangenen Woche haben sich die EU-Staaten darüber verständigt, den Schutz bis 2026 zu verlängern. Deshalb ist Deutschland verpflichtet, diesem Personenkreis bis 2026 einen Aufenthaltstitel zu verschaffen. Zugleich ist die Bundesrepublik verpflichtet, entsprechende Dokumente und Nachweise auszustellen.

Parallel zur Debatte, ob männliche Flüchtlinge aus der Ukraine Bürgergeld beziehen sollen, gibt es noch eine zweite Diskussion: Union und FDP fordern, allen neu ankommenden Ukrainern nur noch Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu geben. Wäre das rechtlich möglich?

Das wäre rechtlich möglich, weil die sogenannte Massenzustrom-Richtlinie nur einen sozialrechtlichen Mindeststandard vorsieht, beispielsweise in der Gesundheitsversorgung. Dieser Mindeststandard entspricht dem Unterhalt nach dem deutschen Asylbewerberleistungsgesetz. Auch verfassungsrechtlich wäre ein solcher Schritt nicht problematisch, weil man alle Personen gleich behandeln würde. Eine andere Frage ist, ob es praktisch sinnvoll wäre.

Und, wäre es sinnvoll?

Die Politik hat sich 2022 ganz bewusst dafür entschieden, die Ukrainer, die temporären Schutz bekommen, aus dem Asylbewerberleistungsgesetz herauszunehmen. Begründet wurde dies vor allem damit, dass die Gesundheitsversorgung verbessert und die Ukrainer schnell in den Arbeitsmarkt vermittelt werden sollten. Wenn man das Ganze jetzt wieder rückgängig machen würde, würde man gerade die Arbeitsmarktintegration gefährden, von der immer geklagt wird, dass sie unzureichend sei.

Tatsächlich hat die Arbeitsvermittlung von Ukrainerinnen und Ukrainern in Deutschland nicht so gut geklappt wie in anderen Ländern. Im Februar 2024 waren nur 21 Prozent der Geflüchteten berufstätig, in den Niederlanden und in Dänemark waren es schon im vergangenen Jahr deutlich mehr. Woran liegt das?

Es wird immer gern behauptet, dass allein die Höhe der Sozialleistungen dazu führt, dass die Menschen nicht arbeiten. Aber so extrem hoch sind die Leistungen nicht. Aktuell muss eine alleinstehende Person im Monat mit 563 Euro zuzüglich der Kosten für Unterkunft und Heizung auskommen. Das ist kein Anreiz, sich in die vermeintliche soziale Hängematte zu legen. Meines Erachtens liegt es eher an strukturellen Ursachen: Aus der Ukraine sind viele junge Frauen mit Kindern nach Deutschland geflüchtet. Und wir alle wissen, dass wir in Deutschland ein Kinderbetreuungsproblem haben, was der Erwerbstätigkeit entgegensteht. Ein weiterer Grund ist unser bisheriger Ansatz, die Menschen erst mal in Sprachkurse zu schicken. Damit stehen sie dem Arbeitsmarkt zunächst nicht zur Verfügung. Sie sind zwar hier und beziehen Leistungen, sollen aber erst die Sprache lernen. Erst mit dem Job-Turbo hat die Bundesregierung das umgedreht. Und vielleicht spielt eine Rolle, dass die Ukrainerinnen typischerweise sehr gut qualifiziert sind. In der öffentlichen Debatte wird häufig gesagt: Die können doch in der Gastronomie arbeiten oder ähnliche Jobs annehmen. Das ist leicht gesagt - in der Praxis riskiert man dann, seine Qualifikation einzubüßen.

Bislang hat der Job-Turbo von Bundesarbeitsminister Heil noch keine dramatischen Erfolge erzielt: Auf diesem Weg sind nach Angaben der "Passauer Neuen Presse" bislang knapp 33.000 ukrainische Geflüchtete auf den deutschen Arbeitsmarkt gelangt.

Für eine Trendumkehr ist es vielleicht noch zu früh. Aber insgesamt kann man feststellen, dass die Erwerbsbeteiligung der Menschen aus der Ukraine seit 2022 beständig ansteigt.

Wäre es für Ukrainer als Asylbewerber schwieriger, einen Job zu bekommen?

Ja, das wäre schwieriger. Nicht, weil sie dann einen Asylantrag stellen müssten, denn sie wären weiter geschützt durch die Massenzustrom-Richtlinie. Das Problem läge darin, dass die Kommunen das Asylbewerberleistungsgesetz verwalten. Die Flüchtlinge kämen dann in die Zuständigkeit der Sozialämter. Die haben sehr, sehr viele Aufgaben - die Arbeitsvermittlung gehört nicht dazu.

Artikel 12a des Grundgesetzes sagt, zumindest indirekt, dass man aus Gewissensgründen den Kriegsdienst mit der Waffe verweigern kann. Gilt das nur für Deutsche in Deutschland oder könnte sich auch ein Ukrainer darauf berufen, der Angst davor hat, aus dem Land geekelt oder geworfen zu werden?

Dieser Artikel bezieht sich nur auf Menschen, die dem deutschen Wehrdienst unterliegen. Aber man braucht gar nicht auf diese spezielle Norm zu verweisen. Es gibt das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit, auf das sich auch Personen berufen können, für die Artikel 12a nicht gilt. Auch die Gewissensfreiheit ist als Grund- und Menschenrecht geschützt. Der Umgang mit Wehrpflichtigen ist eine interne Angelegenheit der Ukraine. Diese Frage von Deutschland aus anzugehen, zumal über das Sozialrecht, halte ich für sehr problematisch.

Mit Constanze Janda sprach Hubertus Volmer

Quelle: ntv.de

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