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Anschlag auf den Weihnachtsmarkt Welche Rolle die Herkunft des Täters spielt

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Beim Anschlag auf den Breitscheidplatz starben mindestens 12 Menschen. Fast 50 wurden verletzt.

Beim Anschlag auf den Breitscheidplatz starben mindestens 12 Menschen. Fast 50 wurden verletzt.

(Foto: picture alliance / Britta Peders)

Ist der Täter Asylbewerber oder nicht? Diese Frage treibt gerade viele um, wenn es um den Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin geht. Praktisch ist allerdings ziemlich egal, wie sie ausfällt.

Seit dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin wird viel über die innere Sicherheit diskutiert und genauso viel darüber, ob der Terrorakt Deutschland verändern wird. Die Debatte hat aber noch eine dritte Facette: Viele fragen sich nicht nur, wer der Täter ist, sie wollen wissen, ob es sich bei ihm um einen Asylbewerber handelt. Doch das ist ziemlich unwichtig.

Natürlich wollen wir möglichst viel über den Täter wissen. Nicht nur aus Neugier, sondern auch, um die Hintergründe zu verstehen und um ähnliche Taten in Zukunft zu verhindern. Doch selbst, wenn sich der Verdacht erhärten sollte, dass es sich beim Täter mit Anis Amri um einen Tunesier handelt, der einen Asylantrag in Deutschland gestellt hat, ginge die praktische Bedeutung dieser Erkenntnis gegen Null. Und dafür gibt es gleich mehrere Gründe.

Die Bundesregierung hat seit dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise im Spätsommer 2015 diverse Maßnahmen ergriffen, um Migration zu steuern. Erstens kommen deutlich weniger Flüchtlinge in Deutschland an. Zweitens werden die, die es trotzdem schaffen, nun umfangreich registriert und polizeilich überprüft. Drittens verkündete das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) bereits im August, dass alle Flüchtlinge, die 2015 nach Deutschland gekommen sind, mit Fingerabdrücken, Foto und Personendaten erfasst und polizeilich überprüft wurden. Dass eine bessere europäische, womöglich auch weltweite Kooperation im Anti-Terrorkampf, samt einem effektiveren Datenaustausch über Gefährder, hilfreich sein könnte, wird auch nicht erst seit dem 19. Dezember diskutiert.

Selbst wenn stimmt, dass Amri der Täter ist, wäre das nach bisherigen Erkenntnissen eher ein Beleg dafür, dass diese Maßnahmen greifen. Er wurde Medienberichten zufolge von deutschen Sicherheitsbehörden als sogenannter Gefährder eingestuft, sein Asylantrag wurde abgelehnt und er lediglich geduldet. Das Problem wäre demnach, dass A. untertauchen konnte.

Der Spielraum für verhältnismäßige Maßnahmen ist dahin

Wer das Gebot der Verhältnismäßigkeit nicht vollends außer Augen verliert, stellt fest: Der Spielraum für weitere Maßnahmen ist nicht groß. Schon eine Totalüberwachung der Syrien- und Irak-Rückkehrer mit deutscher Herkunft ist nicht zu leisten. Auch dass sich ein Mensch – egal ob Flüchtling oder nicht – in Deutschland radikalisiert, lässt sich nie ausschließen. Könnte es bei den Attentätern von Würzburg und Ansbach, beides Asylbewerber, so gewesen sein? Die Genese ihrer Radikalisierung ist noch nicht abschließend geklärt.

Für die verschärften Sicherheitsmaßnahmen wiederum, die nun wegen des Anschlags in Berlin diskutiert werden, spielt der Status Asylbewerber keine Rolle. Es gibt keine Beton-Poller, die nur dann aus dem Boden schnellen, wenn sich ein Asylbewerber nähert. Auch Polizeibeamte werden hoffentlich nie den Lauf ihrer Maschinenpistole nur dann heben, weil jemand irgendwie fremd aussieht.

Selbst für die Bewertung von Merkels "Grenzöffnung" ist es unbedeutend, ob der Attentäter von Berlin ein Flüchtling gewesen ist. Zwar ist leicht behauptet: Hätte Merkel die Grenzen geschlossen, gäbe es keine Flüchtlinge, die Anschläge verüben könnten. Aber abgesehen von den juristischen Problemen, die mit solch einer Politik einhergegangen wären, ist die Frage, ob der Islamische Staat (IS) sich dann nicht andere Wege gesucht hätte, damit nicht beantwortet. Frankreich und die USA sind ein Beispiel dafür, dass auch eine restriktivere Aufnahme von Flüchtlingen kein Sicherheitsgarant ist.

Der Druck auf Merkel steigt so oder so

Dass nicht einmal der Druck auf Merkel steigen würde, wenn es sich tatsächlich um einen Flüchtling handeln würde, bewies ausgerechnet ihr Oberkritiker Horst Seehofer. "Wir sind es den Opfern, den Betroffenen und der gesamten Bevölkerung schuldig, dass wir unsere gesamte Zuwanderungs- und Sicherheitspolitik überdenken und neu justieren", sagte er kurz nach dem Anschlag. Der CSU-Chef wartete nicht einmal darauf, dass es Belege für die Identität des Täters gibt. Ihm geht es nicht um Fakten, sondern um Stimmung.

Von Relevanz ist ein möglicher Asylantrag des Täters vor allem unter einem Gesichtspunkt: Er würde die moralischen Abgründe eines Individuums offenbaren. Das formulierte übrigens auch die Kanzlerin so in zwei wohl austarierten Sätzen: "Ich weiß, dass es für uns alle besonders schwer zu ertragen wäre, wenn sich bestätigen würde, dass ein Mensch diese Tat begangen hat, der in Deutschland um Schutz und Asyl gebeten hat", sagte Merkel. "Dies wäre besonders widerwärtig gegenüber den vielen, vielen Deutschen, die tagtäglich in der Flüchtlingshilfe engagiert sind, und gegenüber den vielen Menschen, die unseren Schutz tatsächlich brauchen und die sich um Integration in unser Land bemühen." Eine schwer zu ertragende Widerwärtigkeit eines Einzelnen – nicht mehr und nicht weniger.

Quelle: ntv.de

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